Am Tropf von Russland – mehr noch aber von China

Die wirtschaftlichen Unpässlichkeiten für uns durch den Krieg um die Ukraine sind unangenehm, aber lösbar. Ein Krieg mit China um Taiwan wäre es nicht. Von Dieter Wermuth, Economist und Partner bei Wermuth Asset Management

Medien und Politiker regen sich zurzeit angesichts der hohen Inflationsraten darüber auf, dass die Wirtschaft und damit der Lebensstandard zu sehr von Russland abhängen. Wie wir im Verlauf des kommenden Winters sehen werden, kostet die Abnabelung von Gazprom Geld und braucht ein bisschen Zeit, so wie jeder Strukturwandel, ist aber für unsere Marktwirtschaft ein lösbares Problem.

Am Ende kann uns der russische Diktator nicht mehr erpressen. Dafür kommt es hierzulande zu einem Wachstumsschub bei den Erneuerbaren, mit vielen neuen Arbeitsplätzen, und einem weiteren Rückgang der CO2-Emissionen. Zudem dürfte der deutsche Netto-Kapitalimport aus Russland in diesem Jahr etwa 30 Mrd. EUR erreichen; das ist der Gegenposten zum russischen Überschuss in der bilateralen Leistungsbilanz.

Unterdessen bleibt Russland ein relativ armes Land, das immer wieder vom Auf und Ab der Weltmarktpreise für Gas und Erdöl geschüttelt werden wird – weil es nicht gelingt, die Wirtschaft auf eine breitere Basis zu stellen. Aber für Deutschland, und die EU insgesamt, sind die russischen Machtspiele mit dem Gas letztlich nicht nur ziemlich irrelevant, sondern sogar ein sehr willkommener Weckruf.

Wie in der Vergangenheit braucht die weitere Integration des Kontinents immer mal wieder eine größere Krise, so wie wir sie gerade erleben. Sie schärft die Sinne dafür, was wir an der EU haben. Um hier mal Mephistopheles (mit Bezug auf Russland) zu zitieren: „(Ich bin ein) Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.“

Der nicht so nette Nachbar von fast nebenan

Anders sieht es mit der Abhängigkeit von China aus. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres hatten die deutschen Warenexporte nach China einen Anteil von 7,1% an den Gesamtexporten, verglichen mit Russlands Anteil von 1,1%. Wenn sich der bisherige Trend bei den deutschen Exporten fortsetzt, dürfte China bis zum Ende des Jahrzehnts die USA als größtes Zielland außerhalb Europas abgelöst haben. Bei den deutschen Importen hatte China einen Anteil von inzwischen 12,4%, Russland einen von nur 3,0% – trotz der Preisexplosion bei Öl und Gas.

Aus volkswirtschaftlicher Sicht hätte ein Krieg zwischen China und dem Westen gravierendere Folgen als Russlands Invasion der Ukraine. Der gesamte Wertschöpfungsprozess wäre betroffen, und ich habe den Eindruck, dass das inzwischen auch den sensiblen High Tech-Sektor umfasst. Da gibt es nicht so viele Substitutionsmöglichkeiten wie bei fossilen Brennstoffen. Ich empfehle zu diesem Thema eine detaillierte Analyse von Jürgen Matthes vom Kölner Institut der deutschen Wirtschaft.

Häufig wird beklagt, dass deutsche Unternehmen immer mehr Direktinvestitionen in China tätigen, statt den inländischen Kapitalstock zu vergrößern. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich allerdings, dass die Dinge ganz anders liegen: Netto betrugen die chinesischen Kapitalexporte nach Deutschland im ersten Halbjahr 2022 nicht weniger als 41 Mrd. EUR oder 2,2% des deutschen BIP.

Dieter Wermuth

Die Arbeitsteilung zwischen China und Deutschland (und den OECD-Ländern insgesamt) wird immer enger und nützt beiden Seiten – so wie es sein sollte. Ein Krieg, ausgelöst etwa durch einen Versuch, Taiwan zu erobern, würde katastrophalere Folgen haben als das, was wir gerade im Verhältnis zu Russland erleben. Hoffen wir, dass die Führung in Peking das weiterhin auch so sieht und keinen Vorwand für irrationale Aktionen bekommt.

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