Die e.Anleihe GmbH ist bereits gemeinsamer Vertreter der Anleihe Ekosem-Agrar 2019/24 und wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit auch bei der Altanleihe 2012/22. Die ‚Maximalforderungen‘ von Square sowie den Aufruf zum Boykott der Abstimmungen halten die Juristen für ‚Wahnsinn‘. Im Gespräch mit BondGuide raten Dr. Benjamin Büttner und Christoph Chardon noch einmal zur Überzeugungsarbeit bei allen Involvierten.
Herr Dr. Büttner, Herr Chardon, bei Ekosem-Agrar geht es im Vorfeld der AGVs kommende Woche weiter hin und her zwischen One Square, die offenbar eine Sperrminorität anstreben, und Ihnen als gemeinsamen Vertreter für mindestens die Anleihe 2019/24. Die Vermeidung einer Insolvenz müsse oberste Priorität haben – über den optimalen im Sinne von sicherstem Weg kann gestritten werden. Daher zum Einstieg: Was wäre der sicherste Weg für Ekosem-Agrar? – mal losgelöst von der Nebenbedingung, ob Investoren dieser gefallen würde.
Chardon: Der sicherste Weg ist, dem Gegenantrag des Gläubigerbeirates zu folgen und für das jetzt vorliegende Maßnahmenpaket auf den anstehenden Versammlungen zu stimmen. Damit können die Anleihegläubiger ein Insolvenzrisiko aktuell bannen. Das setzt voraus, dass die Gläubiger am kommenden Montag und Dienstag die dafür notwendigen Abstimmungsquoren in den Versammlungen sicherstellen. Der Aufruf zum Abstimmungsboykott von One Square ist absolut kontraproduktiv.
Büttner: Der Aufruf von One Square ist ein Widerspruch in sich: Zum Boykott der Versammlungen aufrufen, um die Beschlussfähigkeit zu verhindern, und gleichzeitig eine Insolvenz der Emittentin vermeiden wollen. Das verträgt sich nicht miteinander. Die Anleihegläubiger, mit denen wir gesprochen haben, haben die Risiken sehr gründlich abgewogen. Sie unterstützen den Gegenantrag, damit es weitergeht. Deswegen sollte es für alle Anleihegläubiger in deren ureigenem Interesse sein, die gesetzlich vorgeschriebene Mindestpräsenz durch Anwesenheit oder Vollmachterteilung sicherzustellen.
Ein Punkt ist, der Außenstehenden Fragezeichen auf den Tisch wirft, dass die SdK anfangs mit One Square gemeinsam auftrat, z.B. im Info-Webcast. Die SdK ist jetzt im Gläubigerbeirat. So reklamiert One Square mittlerweile, dass die ursprüngliche Forderung der SdK nach einem Eigenbeitrag des Managements im Rahmen der Restrukturierung vom Tisch gefallen sei. Können Sie etwas Licht in diesen auch nicht gerade unbedeutenden Sachverhalt bringen?
Chardon: Als gemeinsamer Vertreter sind wir mit der SdK im Dialog, seitdem die Emittentin die Restrukturierung der Anleihen veröffentlicht hat. Also auch schon in der Phase, in der die SdK ihre Interessen auf der Plattform bei One Square dargelegt hat. Als Interessenvertretung der Klein- und Privatgläubiger war die SdK für alle Beteiligten ein selbstverständliches Mitglied des Gläubigerbeirats. Der Gläubigerbeirat bündelt in dieser außergewöhnlichen, politisch geprägten Restrukturierung die Kompetenzen der SdK sowie eines renommierten Kredit- und eines erfahrenen Bondanalysten. Darüber hinaus stehen wir als gemeinsamer Vertreter für langjährige Erfahrungen und Erfolge bei der Restrukturierung von Unternehmen.
Büttner: Im Austausch mit dem Gläubigerbeirat und der Emittentin konnte ein Bündel an Maßnahmen zu einem Gesamtpaket geschnürt werden, das alle Beteiligten herausfordert, aber nicht überfordert…
…es gehe um die beschworene ‚Lastenverteilung‘ bei Ekosem-Agrar …
Büttner: … die wir ausführlich diskutiert haben. Das Unternehmen hat bereits dargelegt, dass die Aktionäre in der Vergangenheit keine Ausschüttungen erhalten haben. Die ursprünglichen Anleihebedingungen sehen während der Laufzeit der Anleihen Entnahmebeschränkungen zu Lasten der Aktionäre vor. Daran ändert sich nichts. Mit der Wertaufholung am Ende der Laufzeit sollen die Anleihegläubiger gerade nicht endgültig auf wesentliche Vermögenswerte verzichten. Vielmehr geht es im Wesentlichen darum, dass alle Stakeholder während dieser politisch heiklen Situation ein vorübergehendes Moratorium akzeptieren.
Trägt die russische RSHB, mit der es ja bereits umfangreichen Gesprächsbedarf gab, das mit?
Die Gesellschafter haben sich darüber hinaus bereits während der herausfordernden Gespräche mit der russischen Landwirtschaftsbank RSHB im vergangenen Jahr dafür eingesetzt, dass die deutsche Emittentin mit ausreichend finanziellen Mitteln ausgestattet wird. In diesem Kontext wurde bei dem Gesamtpaket des Gegenantrags auch der mittlerweile durch das Unternehmen bekannt gemachten Tatsache Rechnung getragen, dass die wesentlichen Aktiva und Anteile an den operativen Tochtergesellschaften in Russland als Sicherheiten und Call-Optionen in den Händen des russischen Finanzierers liegen. So konnte die Emittentin nach unserem Verständnis den Wachstumskurs der vergangenen Jahre absichern.
Ein wichtiger Aspekt scheint derweil definitiv der Verzicht auf ein vorzeitiges Kündigungsrecht im Falle eines Kontrollwechsels, die sog. Put-Option für den CoC-Fall [Change of Control]. In der Tat scheint etwas kontraintuitiv, warum Anleger dieser mit 51% zustimmen sollten laut Ihrem konsolidierten Beschlussvorschlag statt umgekehrt 51% dagegen. Wer sollte denn im Falle des Falls die Mehrheit FÜR eine vorzeitige Kündigung organisieren, etwa der Emittent u/o seine Dienstleister (?)
Chardon: Trotz der ganzen Erfahrungen von One Square haben sie diesen im Grunde einfachen Sachverhalt gründlich missverstanden. Denn der Gegenantrag des Gläubigerbeirates verändert nichts an dem grundlegenden Recht aller Anleihegläubiger, ihr eingesetztes Kapital bei einem Kontrollwechsel zurückzurufen, mit der Put-Option. Angepasst werden lediglich die für eine wirksame Ausübung der Put-Optionen erforderlichen Kapitalmehrheiten. Für beide Anleihen soll diese zukünftig einheitlich bei 51% sein, nach bislang 25 bzw. 50%. So will der Gegenantrag sicherstellen, dass im aktuellen politischen Umfeld nur eine Mehrheit über das Schicksal der Emittentin entscheidet. Die grundsätzliche Systematik bleibt durch den jetzigen Gegenantrag aber unverändert.
Gut, dann klären Sie bitte noch einmal auf zu diesem Punkt.
Die Dinge sind ganz einfach: Nach der Anzeige einer Change-of-Control-Mitteilung haben die Gläubiger die Möglichkeit, ihre Put-Option gegenüber dem Unternehmen auszuüben. Diese erlangt Wirksamkeit, sofern die Anzahl der ausübenden Gläubiger die oben beschriebenen Kapitalmehrheiten erreicht. Das Konzept ist derzeit bereits in den Anleihebedingungen geregelt. Lediglich die Quoren sollen von 50 auf 51% in der Anleihe 2012/22 und von 25 auf 51% in der Anleihe 2019/24 nach oben angepasst werden. Somit besteht auch keinerlei Notwendigkeit, irgendwelche Abstimmungen zu organisieren.
Büttner: Im Übrigen macht der von One Square vorgeschlagene gegenteilige Weg einer automatischen Rückzahlungspflicht, die mit 51%iger Kapitalmehrheit ‚geheilt‘ werden kann, insolvenzrechtlich überhaupt keinen Sinn. Unmittelbar nach einer veröffentlichten Mitteilung über einen Kontrollwechsel hätte der Vorstand dann höchstwahrscheinlich keine positive Fortführungsprognose mehr und würde insolvenzantragspflichtig. Wir gehen davon aus, dass auch One Square diesen Fall vermeiden möchte.
Moniert wird, dass man sehr wohl Geld aus Russland transferieren könne, man müsse es allerdings beantragen, dies zumindest probieren – oder vorweisen, dass es untersagt wurde. Der Punkt scheint nachvollziehbar: Hat Ekosem-Agrar denn einen Antrag gestellt bei welchem Pseudoministerium in Russland auch immer oder es tatsächlich gleich als unmachbar abgehakt?
Chardon: Wir nehmen die Autorität sowie das aktuelle Umfeld der Behörden und Banken der Russischen Föderation sehr ernst. Angesichts der politischen Lage und der Sicherheiten der russischen Landwirtschaftsbank ist es für eine Überweisung von Zinszahlungen ins westliche Ausland nicht mit dem Ausfüllen eines Überweisungsträgers und einem Antrag an die relevante Behörde getan – egal bei welcher Bank. Grundsätzlich sind Zahlungen aus Russland nach Deutschland für Lieferungen und Leistungen im regulären Geschäftsverkehr nach behördlicher Prüfung zwar in gewissem Umfang noch möglich – wobei derzeit keineswegs gesichert ist, dass die beteiligten Banken die Überweisungen dann auch tatsächlich ausführen. Viel wichtiger ist Folgendes: Das Unternehmen ist – wie jeder Agrarbetrieb weltweit – auf Subventionen angewiesen. Die Russische Föderation subventioniert das Unternehmen als systemrelevanten Grundversorger für Lebensmittel während der aktuellen politischen Wirren sogar noch massiver als früher. Von diesen Subventionen einen signifikanten Anteil an unbesicherte Anleihegläubiger ins ‚unfreundliche Ausland‘ zu transferieren, das ist mit der Russischen Föderation derzeit aus nachvollziehbaren Gründen wohl nicht verhandelbar.
Und weshalb muss der Kupon reduziert werden, wenn es im Kern um besagte Transferschwierigkeiten von den operativen Gesellschaften in Russland zur deutschen Holding in Walldorf geht? Da wäre doch eine Stundung der Zinsen bis zur Behebung das einleuchtendere Mittel.
Büttner: Die im Gegenantrag vorgesehene Systematik kommt einer reinen Stundungslösung wegen der Wertaufholungskomponente wirtschaftlich grundsätzlich recht nahe. Jedoch soll über das Anreizsystem für die Anleihegläubiger eine möglichst schnelle Refinanzierung der Anleihen gewährleistet werden. Wir hatten aus unseren zahlreichen Gesprächen mit Gläubigern den Eindruck gewonnen, dass dies aktuell ein Kernanliegen vieler Beteiligter ist.
Den Punkt mit der Laufzeitverlängerung aufgrund der Fortführungsprognose versteht man: Damit man nicht binnen Monaten wieder AGVs halten muss bzw. gar permanent an der Grenze zu einer Insolvenzantragspflicht stünde. Trotzdem: Wieso sollen beide Anleihen um fünf Jahre verlängert werden, also bis 2027 bzw. 2029 – rechnet Ekosem-Agrar denn mit fünf und mehr Jahren Ukraine-Krieg und Ausnahmezustand?
Chardon: Der Gegenantrag des Gläubigerbeirats will sicherstellen, dass der abgestufte Anreizmechanismus in die Tat umgesetzt werden kann. Bei einer Laufzeit von weniger als fünf Jahren wäre dieser Mechanismus wohl ein reiner Papiertiger. Denn alle Beteiligten gehen davon aus, dass eine Refinanzierung der Anleihen in den kommenden zwei Jahren in Anbetracht der Ukraine-Krise ausgeschlossen sein dürfte. Aus unserer Sicht ist das kein völlig unvernünftiger Kompromiss. Das Unternehmen hat über die Wertaufholungskomponente nach unserer Meinung genug Anreiz, eine möglichst schnelle Rückzahlung herbeizuführen, sobald die Kapitalmärkte dies wieder erlauben.
Sie sind neu auf dem Markt der Anleiherestrukturierungen und müssen sich vom Marktführer den Vorwurf gefallen lassen, Sie würden Investoren in die Falle locken. Und verweigerten den Dialog mit OSA, befürworteten einen Vorschlag aus der Schublade „Nepper, Schlepper, Bauernfänger“.
Chardon: Wir sind gemeinsamer Vertreter der Anleihegläubiger und denken und handeln in deren Interesse. Der Vorwurf, wir würden deren Interesse nicht unabhängig wahrnehmen, sagt ganz sicher viel über das Selbstverständnis eines Platzhirsches aus. Beeindruckt sind wir davon nicht. Offensichtlich reift auch dort die Erkenntnis, dass bei Ekosem-Agrar die eingefahrenen Wege verlassen werden müssen und bewährte Maximalforderungen in diesem politisch geprägten Fall maximalen Schaden anrichten werden.
Büttner: Wir nähern uns der Analyse umsichtig und danken den kompetenten Mitgliedern im Gläubigerbeirat für ihr Engagement. Dieser Dialog wird formell wie inhaltlich der Sache der Anleihegläubiger gerecht. Natürlich werden wir – so, wie der Gesetzgeber es vorsieht – wie jeder andere gemeinsame Vertreter oder Berater bei den diversen weiteren Anleiherestrukturierungen von der Emittentin bezahlt. Als unabhängiger gemeinsamer Vertreter wiederholen wir unseren Ratschlag, am 30. und am 31. Mai 2022 persönlich oder per Vollmacht an den Gläubigerversammlungen teilzunehmen, um die gesetzlich vorgeschriebene Mindestpräsenz sicherzustellen. Jeder andere Ratschlag ist grob fahrlässig.
Herr Chardon, Herr Büttner, besten Dank an Sie beide, dass Sie das Gespräch suchten und im Vorfeld der AGVs die wichtigen Punkte noch einmal etwas erläutern konnten!
Interview: Falko Bozicevic
Fotos 1-4: @ Ekosem-Agrar