AG Hamburg: keine insolvenzgerichtliche Prüfung der Wirksamkeit der vorherigen Bestellung eines gV

Dr. Lutz Pospiech, Lena Gerhard, RAs, GÖRG

Wurde vor der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Anleiheemittenten noch kein gemeinsamer Vertreter (gV) bestellt, ist das Insolvenzgericht nach § 19 II SchVG verpflichtet, eine Anleihegläubigerversammlung (AGV) zur Bestellung eines gV einzuberufen. Von Lena Gerhard und Dr. Lutz Pospiech*

Das AG Hamburg hat sich in seinem Beschluss vom 16.03.2023 u.a. mit der Rechtsfrage befasst, ob das Insolvenzgericht (inzident) zu prüfen hat, ob ein vorinsolvenzlicher Beschluss der Anleihegläubiger zur Bestellung eines gV wirksam gefasst wurde.

Entscheidung des AG Hamburg (Az. 67g IN 173/17)

In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt hatte ein Emittent im Jahr 2013 eine Unternehmensanleihe begeben. Auf einer AGV im Juni 2017 wählten die Anleihegläubiger einen gV in Rechtsform einer GmbH & Co. KG. Einen Großteil der Stimmen, mit denen der gV gewählt wurde, gaben mehrere Treuhänder ab, die die Schuldverschreibungen treuhänderisch für den damaligen Alleingesellschafter des Emittenten hielten. Im Jahr 2020 ist das Vermögen des gV infolge einer liquidationslosen Vollbeendigung seiner letztverbleibenden Gesellschafterin, einer schweizerischen Gesellschaft mit beschränkter Haftung, angewachsen.

Nachdem in der Folge ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Emittenten eröffnet worden war, haben zwei Anleihegläubiger, die zusammen mehr als 5% der ausstehenden Schuldverschreibungen (§ 9 I SchVG) der Anleihe halten, das Insolvenzgericht zur Einberufung einer AGV zum Zwecke der Wahl eines gV gemäß § 19 II SchVG aufgefordert. Ihr Einberufungsverlangen haben die beiden Anleihegläubiger damit begründet, dass ein gV in der AGV im Juni 2017 nicht wirksam bestellt worden sei.

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Keine inzidente Prüfung durch das Insolvenzgericht

Nach § 19 II 1 SchVG können Anleihegläubiger durch Mehrheitsbeschluss zur Wahrnehmung ihrer Rechte im Insolvenzverfahren einen gV bestellen. Das Insolvenzgericht hat zu diesem Zweck eine AGV nach den Vorschriften des SchVG einzuberufen, wenn ein gV noch nicht bestellt worden ist (§ 19 II 2 SchVG).

Das AG Hamburg hat in seiner Entscheidung deutliche Zweifel an der wirksamen Bestellung des gV in der AGV im Juni 2017 geäußert, die sich insb. in der Teilnahme der Treuhänder an der Wahl des gV begründen. Die Anleihebedingungen, die inhaltlich § 6 I SchVG entsprechen, regeln das Ruhen des Stimmrechts, „solange die Anteile der Emittentin oder einem mir ihr verbundenen Unternehmen zustehen“.

Es stelle sich daher grundsätzlich die Frage, ob der damalige Alleingesellschafter als verbundenes Unternehmen anzusehen und wegen einer Interessenkollision nicht zur Stimmabgabe, auch nicht über die Treuhänder, berechtigt gewesen sei. Nach Ansicht des AG Hamburg spreche viel dafür, dass der Alleingesellschafter selbst das Vorliegen eines Interessenkonflikts in seiner Person gesehen habe, da er sonst nicht die Treuhänder eingeschaltet hätte.

Allerdings konnte das AG Hamburg diese Rechtsfrage offenlassen, da es klargestellt hat, dass der Einwand der unwirksamen Bestellung des gV nicht inzident in dem insolvenzgerichtlichen Verfahren geprüft werden könne. Vielmehr müsse dieser Einwand nach dem Grundsatz vom Vorrang des Beschlussmängelrechts durch Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage vor dem Landgericht geltend gemacht werden. Zwar sehe das SchVG keine Nichtigkeitsklage wie das Aktienrecht in § 249 AktG vor, eine etwaige Beschlussnichtigkeit könne aber durch Erhebung einer allg. Feststellungsklage (§ 256 ZPO) geltend gemacht werden.

Das AG Hamburg hat zudem die Frage offengelassen, ob durch die liquidationslose Vollbeendigung des gV sein Amt als solches erloschen ist. Auch insoweit sei es nicht die Aufgabe des Insolvenzgerichts, eine solch komplexe Rechtsfrage inzident zu prüfen.

Fazit

Eine Pflicht des Insolvenzgerichts nach § 19 II SchVG zur Einberufung einer AGV zur Wahl eines gV besteht nur dann, wenn vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Emittentin kein gV der Anleihegläubiger bestellt wurde. Nach der Rechtsprechung des AG Hamburg lebt eine Einberufungspflicht des Insolvenzgerichts selbst dann nicht auf, wenn der gV nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegfällt – etwa wegen der Feststellung der Nichtigkeit seiner Wahl. Eine inzidente Prüfung der Wirksamkeit der vorinsolvenzlichen Bestellung eines gV durch das Insolvenzgericht führte angesichts des Vorrangs des Beschlussmängelrechts zur Umgehung der gesetzlich ausdrücklich geregelten Zuständigkeit des jeweiligen Landgerichts gemäß § 20 III SchVG.

*) Lena Gerhard ist Rechtsanwältin und Dr. Lutz Pospiech Partner der GÖRG Partnerschaft von RAn mbB, München

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