Law Corner: Insiderinformationen liegen auch dann vor, wenn die Kursrichtung nicht absehbar ist

Dr. Anne de Boer, Rechtsanwältin und Partnerin, Sarah Dupont, Rechtsanwältin, Heuking Kühn Lüer Wojtek
Dr. Anne de Boer (li), Sarah Dupont,
Heuking Kühn Lüer Wojtek

Der Law Corner Beitrag von Dr. Anne de Boer, Rechtsanwältin und Partnerin, und Sarah Dupont, Rechtsanwältin, Heuking Kühn Lüer Wojtek

Nachdem der EuGH im Fall „Geltl/Daimler“ entschieden hatte, dass auch bei kursrelevanten Zwischenschritten eine Pflicht besteht, eine Ad-hoc-Mitteilung zu veröffentlichen, konkretisiert er im Urteil vom 11. März 2015 nun den Begriff der präzisen Insiderinformationen im Hinblick darauf, ob eindeutig sein muss, wie der Kurs sich bewegen wird.

Sachverhalt
Die Wendel SA hatte in den Jahren 2006 und 2007 so genannte „Total Return Swaps“ von Kreditinstituten erworben, denen Aktien von Saint-Gobain zugrunde lagen. Zu deren Deckung erwarben die Kreditinstitute insgesamt 85 Mio. Aktien an Saint-Gobain. Zudem erhielt die Wendel SA bei Abschluss der Swaps u.a. von den beteiligten Kreditinstituten finanzielle Hilfen in Höhe eines Gesamtbetrags, der den Swaps nahe kam. 2007 traf Wendel SA offiziell die Entscheidung, die wirtschaftliche Beteiligung an Saint-Gobain in physischen Aktienbesitz umzuwandeln. Infolgedessen erwarb Wendel mehr als 66 Mio. Aktien.

Die französische Finanzmarktbehörde (AMF) hat der Wendel SA und deren CEO Geldbußen in Höhe von jeweils 1,5 Mio. EUR auferlegt, da sie den Erwerb der Swaps und die konkrete Möglichkeit und Absicht der Beteiligung nicht offen gelegt hatten. Wendel SA verteidigte sich mit dem Argument, es sei nicht absehbar gewesen, in welche Richtung – positiv oder negativ – sich dies auf den Kurs ausgewirkt hätte. Daher handele es sich nicht um eine präzise Information im Sinne der Insiderregelungen. Die französische Cour de Cassation hat die Frage daraufhin dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt.

Problemstellung
Nach der Marktmissbrauchsrichtlinie liegt eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation vor, wenn eine (1) nicht öffentlich bekannte, (2) präzise Information gegeben ist, die (3) einen Emittenten von Finanzinstrumenten betrifft und (4) geeignet ist, den Kurs der Finanzinstrumente oder Derivate erheblich zu beeinflussen. Strittig war in der vorliegenden Konstellation, ob eine „präzise“ Information vorliegt, wenn zwar eine Kursveränderung zu erwarten ist, jedoch nicht absehbar ist, in welche Richtung.

Entscheidung des EuGH vom 11. März 2015
Der EuGH lehnte in seiner Entscheidung die Auffassung der Wendel SA ab und entschied, dass bereits eine Insiderinformation vorliegt, wenn der Insider weiß, dass es – unabhängig von der Richtung – überhaupt zu einer Kursveränderung kommen wird. Ein verständiger Anleger könne seine Anlageentscheidung auch auf solche Informationen stützen, die es ihm nicht ermöglichen, die Änderung des Kurses des Finanzinstruments in eine bestimmte Richtung vorherzusehen. Eine Einschränkung des Anwendungsbereichs der Insiderregelungen würde daher dem Sinn und Zweck der Marktmissbrauchsrichtlinie zuwider laufen. Schließlich ergäbe sich ein Missbrauchspotenzial, wenn der Insider Unsicherheiten bezüglich der Richtung der Kursbewegung „vorgeben“ und den Anlegern so bewusst Informationen vorenthalten könne.

Folgen für den Kapitalmarkt
Das vorliegende Urteil bestätigt die bisherige Tendenz des EuGH, nach der es für Ad-hoc-Publizitätspflichten und das Vorliegen von Insiderinformationen darauf ankommt, ob sich ein wesentlicher Teil des Kapitalmarkts von der betreffenden Information beeinflussen lassen würde. Sofern die Information nicht veröffentlicht werden soll, ist nunmehr öfter – sofern möglich – ein Befreiungsbeschluss zu fassen. Emittenten im Freiverkehr sollten zudem beachten, dass die gesetzlichen Pflichten über Ad-hoc-Mitteilungen ab 3. Juli 2016 auch für den Freiverkehr aufgrund der dann geltenden neuen EU-Marktmissbrauchsregelungen gelten werden und sie diese Rechtsprechung damit ebenfalls betrifft.

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