Zunehmende Spannung zwischen fundamentalen Realitäten und Markbewertungen

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In einem klassischen Goldilocks-Umfeld besteht eine Kombination aus schwachem, aber positivem Wirtschaftswachstum, tiefer Inflation und deshalb lockerer Geldpolitik. Dies ist äußerst positiv für die Aktien- und Kreditmärkte und nur moderat zinstreibend. Erstaunlicherweise verhalten sich die Finanzmärkte wie in Goldilocks-Zeiten, obwohl aktuell genau entgegengesetzt ein ‚Anti-Goldilocks‘-Umfeld vorherrscht: beispielsweise häufen sich Rezessionssignale, die Inflation bleibt hartnäckig, Inflationserwartungen steigen und die Geldpolitik ist historisch restriktiv. Damit nimmt die Spannung zwischen fundamentalen Realitäten und Markbewertungen weiter zu. Beat Thoma, CIO bei Fisch Asset Management in Zürich, äußert sich zur aktuellen Marktsituation:

Die restriktive Geldpolitik der vergangenen Monate wurde durch eine Reihe von liquiditätssteigernden Effekten im privaten Banken- und Kreditsystem ausgeglichen. Dies ist Geldschöpfung durch Kreditwachstum, Abbau von Überschussreserven und in den USA eine Verringerung des Treasury General Account (TGA) bei der Fed. Dies erklärt die bisher sehr moderaten Auswirkungen der restriktiven Geldpolitik auf die Aktienmärkte und die Wirtschaft sowie die in letzter Zeit rückläufigen Stresssignale des US-amerikanischen NFCI-Stress-Index. Alle diese Faktoren haben jedoch begonnen, sich global abzuschwächen. Die Bankreserven, die Reverse-Repo-Volumen sowie die Bankeinlagen sinken alle. Auch der TGA-Saldo ist mittlerweile tief und kann die Bilanzreduzierung der Fed und der anderen Notenbanken nicht mehr vollständig ausgleichen. Deshalb ist in absehbarer Zeit mit einer wesentlich stärkeren Wirkung der restriktiven Geldpolitik zu rechnen.

Auffallend sind auch die von den Notenbanken stark beachteten und wieder leicht steigenden Inflationserwartungen sowohl auf ein Jahr als auch auf fünf Jahre. Das ist potenziell gefährlich, da die Notenbanken damit länger an ihrem restriktiven Kurs festhalten. Als Reaktion auf die höheren Inflationserwartungen steigen die langfristigen Staatsanleihenzinsen in den USA und in der Eurozone wieder moderat an. Die Abschwächungssignale verschiedener Konjunkturindikatoren und der sehr schwache Häusermarkt werden dagegen ignoriert. Dementsprechend fällt zumindest im Moment die normalerweise wirksame Konjunkturstabilisierung durch tiefere Zinsen weg. Insgesamt ergibt sich damit eine problematische Kombination aus steigenden Zinsen, auch am langen Ende, bei gleichzeitig nachgebender Konjunktur.

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Abschließend noch zu den Unternehmensgewinnmargen. Diese waren historisch betrachtet bei fallender Inflation rückläufig. Grund ist eine Kombination aus stagnierenden Verkaufspreisen bei gleichzeitig hohen Lohnkosten. Dementsprechend ist die tiefere Inflation in den kommenden Monaten paradoxerweise negativ für die Unternehmen. Damit ergibt sich ein weiteres Warnsignal für die Aktien- und Kreditmärkte.

Wir halten eine defensive Positionierung generell für weiterhin angebracht. Staatsanleihen und Investment-Grade-Unternehmensanleihen etwa sollten vom nur noch moderaten Zinsaufwärtsdruck profitieren. Und Wandelanleihen sind angesichts der Unsicherheiten einmal mehr die adäquate Aktienalternative für Investoren, die den teilweisen Schutz in der Abwärtsbewegung suchen, aber auf mittel- bis langfristige Sicht von Aktienkurssteigerungen ausgehen.

Beat Thoma, Fisch AM

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