Neues Inflationsregime voraus?

Mit welchem Inflationsregime wir es zu tun haben werden, hängt allein von den Zentralbanken ab – von Alex Holroyd-Jones und Jason Borbora-Sheen, Ninety-One

Eine so hohe Inflation wie derzeit haben die meisten von uns noch nicht erlebt. Müssen wir uns darauf einstellen, dass die Preise noch länger so stark steigen, oder wird die Inflation wieder auf das niedrigere Niveau zurückkehren, an das wir uns in den vergangenen 40 Jahren gewöhnt haben?

In der Politik bedeutet „Regimewechsel“ in der Regel, dass eine Regierung durch eine andere abgelöst wird. In der Wirtschaft dagegen bezeichnet der Begriff eine Verschiebung in verschiedenen Bereichen des Wirtschafts- oder Finanzsystems. Politische Regimewechsel sind offensichtlich – einen Regimewechsel in der Wirtschaft zu erkennen kann schwieriger sein.

Das Inflationsumfeld ist dafür ein gutes Beispiel. In den Jahren 1948 bis 1980 befanden sich die Industrieländer über lange Zeiträume in einem strukturellen Inflationsregime. Nach dem Zweiten Weltkrieg, dem US-Wirtschaftsboom ab Mitte der 1960er und dem Ölboom der 1970er kam es zu aggressiven Preissteigerungen. Seit 1980 befinden wir uns dagegen in einem von einer strukturellen Disinflation geprägten Umfeld.

Unter Fed-Chef Paul Volcker, der die US-Notenbank während eines Großteils der 1980er Jahre leitete, wurde die Inflation letztlich dadurch eingedämmt, dass sich die Fed auf das Wachstum der Geldmenge und nicht auf die Zinsen konzentrierte. In der Folge blieb das Preisniveau bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie auf einem niedrigen Niveau stabil.

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Seit dem dritten Quartal 2020 liegt die Teuerung konsequent über den Erwartungen. Wie das nächste Inflationsregime aussehen wird, ist jedoch weiterhin offen – und liegt unserer Ansicht nach allein in den Händen der Zentralbanken.

Ist eine Rezession unvermeidbar?

Wenn sich die Inflation nicht selbst korrigiert, gibt es nur zwei Möglichkeiten: eine tiefe Rezession oder einen Eintritt in ein neues Inflationsregime – einen Paradigmenwechsel, wie er in der Regel nur einmal in einer Generation vorkommt.

Im ersten Fall würden die Zentralbanken die Inflation durch eine längere Straffung der Geldpolitik wieder unter Kontrolle bringen und die Wirtschaft so in eine Rezession stürzen.

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Interessanterweise weist das heutige Umfeld einige Parallelen zur Nachkriegsära der späten 1940er Jahre auf, die ebenfalls durch eine hohe Inflation gekennzeichnet war. Damals wie heute kam es zu einem Nachfrageschub durch einen aufgestauten Konsum und ausgabefreudige Verbraucher. Nach Jahren der Kriegswirtschaft überforderte die wirtschaftliche Neuausrichtung die Lieferketten. Hinzu kamen weitreichende Rohstoffschocks. Die Fed – die die Geldmenge von 1939 bis 1946 verdreifacht hatte, um die Kriegswirtschaft zu stützen – bemühte sich um eine Rückführung ihrer Bilanz und eine Drosselung des Kreditangebots. Nach Inflationsraten von fast 20% kam es dadurch zur Deflation. Ab Ende 1948 befand sich die Wirtschaft elf Monate lang in einer Rezession.

Die zweite Möglichkeit ist, dass die Zentralbanken die Geldpolitik zwar straffen, die Zügel aber aufgrund des schwachen Wachstums so schnell wieder lockerlassen, dass die Inflation nicht unter Kontrolle gebracht werden kann. Längerfristig dürfte das schmerzhafter sein, da ein derartiges Vorgehen eine Stagflation wahrscheinlicher macht. In der Vergangenheit waren Stagflationsphasen aufgrund der geringeren Wachstumsdynamik mit einer schwachen Performance risikoreicherer Anlagewerte verbunden. Anders als im Rezessionsszenario schneiden im Stagflationsszenario aber auch Anleihen unterdurchschnittlich ab, während Sachwerte eine Inflationsabsicherung bieten können.

Wie verhalten sich die Zentralbanken?

In den Medien sind die Zentralbanken in den letzten Monaten zu Recht nicht gut weggekommen. Sie haben mit ihren Inflationsprognosen falsch gelegen, weil ihre eigenen Inflationsmodelle so konzipiert sind, dass sie stets eine Rückkehr der Inflation auf den Zielwert prognostizieren. Dadurch sind sie nicht in der Lage, mit Schocks umzugehen. Ein Blick auf die im dritten Quartal 2020 abgegebenen Inflationsprognosen für die USA, die Eurozone, Japan und China verdeutlicht dies. Sie waren so ungenau, dass ein Zufallsgenerator bessere Ergebnisse erzielt hätte. Zugegeben waren allerdings auch die Prognosen aus der Privatwirtschaft nicht viel besser.

Alex Holroyd-Jones, Ninety-One

Gleichzeitig kam es zu mehreren weitreichenden und miteinander verknüpften wirtschaftlichen Schocks, die zunächst die Güter- und dann auch die Dienstleistungspreise steigen ließen. Dazu gehören die pandemie- und kriegsbedingten Lieferengpässe in allen Bereichen. Dadurch sind die Zentralbanken hinter die Kurve zurückgefallen. Inzwischen tun sie aber, was nötig ist, und die Finanzierungsbedingungen werden bereits restriktiver. Die Zinserhöhungen haben zwar erst begonnen.

Wie die Präsidentin der San Francisco Fed, Mary Daly, zu Beginn dieses Jahres feststellte, könnten „die langen und variablen Wirkungsverzögerungen [zwischen dem Einsatz des geldpolitischen Instrumentariums und der Änderung des Preisniveaus]“ angesichts der zunehmenden Größe des Finanzsektors im Verhältnis zur Gesamtwirtschaft und der relativ hohen Verschuldung jedoch „nicht so lang oder variabel sein wie normalerweise angenommen“.

Jason Borbora-Sheen, Ninety-One

Der aktuelle Zinserhöhungszyklus ist bereits einer der steilsten der letzten Jahrzehnte, und es wird erwartet, dass sich der Fed-Leitzins bis Ende 2022 auf 3,6% zubewegt. Die Fed hat klargestellt, dass sie einen Eintritt in ein dauerhaft höheres Inflationsregime verhindern will – und dafür, wenn nötig, auch ein geringeres Wachstum und niedrigere Vermögenspreise in Kauf nehmen wird.

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