BGH löst „Vergütungsdilemma“ für den gemeinsamen Vertreter im Insolvenzverfahren

Dr. Christian Becker (li) und Dr. Lutz Pospiech, GÖRG

Law Corner von Dr. Christian Becker, Partner, Dr. Lutz Pospiech, Counsel, GÖRG Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB, München

In zwei Urteilen vom 10.3.2022 hat sich der BGH jüngst erneut mit dem überaus praxisrelevanten Thema der Vergütung eines gemeinsamen Vertreters im Insolvenzverfahren befasst. Der BGH hat nunmehr entschieden, dass ein gemeinsamer Vertreter in der Insolvenz seine Vergütung aus der vom Insolvenzverwalter an die Anleihegläubiger auszuschüttenden Quote einbehalten darf – zunächst als Vorschuss, der nach Beendigung des Insolvenzverfahrens endgültig abzurechnen sei.

Rechtliche Grundlagen und bisherige BGH-Entscheidungen
In § 7 VI SchVG ist geregelt, dass ein Emittent die durch die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters (gV) entstehenden Kosten und Aufwendungen einschließlich seiner angemessenen Vergütung zu tragen hat.

Der BGH hat in seinen Urteilen vom 21.1.2021 (IX ZR 89/20, IX ZR 77/20) klargestellt, dass diese Vorschrift grundsätzlich auch dann gelte, wenn ein gV erst nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens bestellt wird. Zugleich hat der BGH daran festgehalten, dass die Vergütung des gV nicht zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zähle und auch keine Masseverbindlichkeit sei. Entgegen zahlreichen anderslautenden Stimmen im Schrifttum hatte der BGH bereits in seinem Urteil vom 12.1.2017 (IX ZR 87/16) überraschend entschieden, dass die Vergütung des gV nach Insolvenzeröffnung nicht automatisch vorab als Masseverbindlichkeit aus der Insolvenzmasse zu zahlen ist.

Nach Ansicht des BGH könne ein Insolvenzverwalter ausnahmsweise mit dem gV eine eigene, eine Masseverbindlichkeit begründende Vergütungsvereinbarung abschließen, wenn mit Blick auf die Insolvenzmasse die Mitwirkung eines gV angezeigt ist – sofern also die Vorteile aus der Einbeziehung eines gV dessen Kosten aufwiegen. In der Praxis hat sich diese Ausnahmelösung nicht durchgesetzt. Wohl um etwaige Haftungsrisiken für den Insolvenzverwalter durch Abschluss derartiger Vergütungsvereinbarungen zu vermeiden, haben Insolvenzverwalter oftmals davon Abstand genommen. Dementsprechend führten die bisherigen BGH-Entscheidungen zu einem „Vergütungsdilemma“ des gV in der Insolvenz. Der BGH hat wiederholt den Gesetzgeber aufgerufen, eine bessere Absicherung des Vergütungsanspruchs des gV in der Insolvenz zu schaffen.

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Urteile des BGH vom 10.3.2022 (Az. IX ZR 178/20 / IX ZR 196/20)
In den diesen Urteilen zugrundeliegenden Sachverhalten wurde nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Rahmen einer AGV nach § 19 II SchVG jeweils ein gV bestellt. Die beiden Kläger versuchten anschließend, ihre Forderungen aus den Schuldverschreibungen zur Insolvenztabelle anzumelden. Dies lehnte der jeweilige Insolvenzverwalter mit Hinweis auf den bestellten gV ab. Der gV meldete danach jeweils die vollständige Anleihe zur Insolvenztabelle an. In beiden Insolvenzverfahren kehrte der Insolvenzverwalter später eine Abschlagszahlung auf die Insolvenzquote an den gV aus. Hiervon behielt der gV einen Vorschuss auf seine (angemessene) Vergütung und Auslagen ein und kehrte den Restbetrag anteilsmäßig an die Gläubiger aus. Die Kläger verlangen nun vom jeweils beklagten gV die Auszahlung des einbehaltenen Betrages. Der BGH hat den weiteren Zahlungsanspruch der Anleihegläubiger jeweils abgelehnt.

Zunächst bekräftigt der BGH in seinen aktuellen Entscheidungen, dass zwischen gV und Anleihegläubigern grds. die Regelungen zur entgeltlichen Geschäftsbesorgung (§§ 675 ff. BGB) entsprechend gelten und damit auch der Herausgabeanspruch aus § 667 BGB. Dieser Anspruch finde nach dem BGH jedoch seine Grenze in dem Recht des gV, eine angemessene Vergütung einzubehalten. Auch in der Insolvenz gelte grds. § 7 VI SchVG – unabhängig davon, dass ein solcher Vergütungsanspruch in der Insolvenz nur schwer durchsetzbar ist. Die Wertung des Gesetzgebers, dass Anleihegläubiger keine Nachschusspflicht treffen kann, sie also nur mit ihrem bereits eingesetzten Kapital haften, stößt nach dem BGH in der Insolvenz jedoch an eine Grenze. Daher könne der gV seine Vergütung von der auf die einzelnen Anleihegläubiger entfallenden Insolvenzquote einbehalten.

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Anleihegläubiger könnten außerhalb einer Insolvenz eine Anleihe umfassend restrukturieren und hierbei insbesondere die Hauptforderung durch Mehrheitsbeschluss herabsetzen (§ 5 III 1 Nr. 3 SchVG). Jeder Anleihegläubiger trage mithin auch das Risiko, dass „seine“ Anleihe ohne oder gegen seinen Willen durch Mehrheitsbeschluss in der Hauptforderung gekürzt wird, denn Mehrheitsbeschlüsse gelten für alle Gläubiger derselben Anleihe gleichermaßen (§ 5 II SchVG). Ein solcher Beschluss zur Herabsetzung der Hauptforderung könne zwar nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nicht mehr getroffen werden; dann seien Anleihegläubiger nur noch befugt, durch Mehrheitsbeschluss einen gV zu bestellen (§ 19 II SchVG). Allerdings verwirkliche sich das vorgenannte Risiko auch in der Einbehaltungsbefugnis des gV in Bezug auf die ausgekehrte Insolvenzquote für die Anleihegläubiger. Grundlage für die Entnahmebefugnis des gV ist nach Auffassung des BGH der Mehrheitsbeschluss zur Bestellung des gV nach § 19 II SchVG.

Fazit
Der BGH hat mit seinen Entscheidungen vom 10.3.2021 einen Weg geebnet, um die Vergütung des gV in der Insolvenz abzusichern: Künftig dürften gV im Hinblick auf ihre Vergütung in der Insolvenz regelmäßig den Weg über den (teilweisen) Einbehalt der Insolvenzquote der Anleihegläubiger gehen. Um Unklarheiten über die Höhe der Vergütung zu vermeiden, empfehlen wir, im Rahmen der Bestellung eines gV zugleich einen entsprechenden Beschluss über seine Vergütung zu fassen.

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