Das Kartell ungefiltert ausgeschleckt – Millionenklage gegen Melitta daher abgewiesen

Wer selbst in erheblichem Maße an einem Kartell beteiligt ist, kann grundsätzlich keinen Schadensersatz verlangen – bei Schlecker versuchte man es trotzdem. Von Arthur P. Vorreiter*

Die obligatorische Tasse Kaffee gehört für die meisten zu einem gelungenen Start in den Tag schlicht dazu und bildet zugleich den Basisproviant des etablierten Office Survivals. Je nach Gusto variieren hierbei die Nuancen und Stärken der Röstbohnen. Weniger Geschmack, aber umso mehr Stärke hingegen dürfte der Insolvenzverwalter der ehemaligen Drogeriekette Schlecker an dem justiziellen Filtrat und dem daraus folgenden Serviervorschlag des Landgerichts Stuttgart empfunden haben.

Denn dieses habe im Zusammenhang mit dem sogenannten Kaffeerösterkartell eine Klage des ehemaligen Schlecker-Insolvenzverwalters gegen jenes Kartell abgewiesen. Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz hatte rund 54 Mio. EUR Schadensersatz geltend gemacht. Nach Auffassung des Gerichts fehle Schlecker jedoch bereits die Anspruchsberechtigung – da sich das Unternehmen selbst an kartellrechtswidrigen Preisabsprachen beteiligt habe (LG Stuttgart Urt. v. 30.01.2025 – 11 O 124/16).

Halbgar reicht für Beteiligung an einem Kartell und seinen immanenten Absprachen

Halbgar reicht für Beteiligung an einem Kartell und seinen immanenten Absprachen

Hintergrund des Rechtstreits bildet das Kaffeerösterkartell

Zwischen 1999 und 2008 hätten mehrere bekannte Hersteller – darunter Melitta, Mondelez, Dallmayr und Tchibo – ihre Preisgestaltung für Röst- und Filterkaffee abgestimmt. Ziel dieser Absprachen sei gewesen, das bestehende Preisgefüge an den Endverbrauchermärkten zu stabilisieren und Preiserhöhungen koordiniert umzusetzen.

Schlecker, bis zur Insolvenz im Jahr 2012 eines der größten deutschen Einzelhandelsunternehmen, bezog in diesem Zeitraum Röstkaffeeprodukte von drei der beteiligten Kartellanten im Gesamtwert von etwa 283,5 Mio. EUR. Der Insolvenzverwalter machte geltend, dass Schlecker durch die abgestimmten Preissteigerungen überhöhte Einkaufspreise zahlen musste und daraus ein Schaden in besagter Höhe von 54 Mio. EUR entstanden sei.

Keine Ansprüche wegen eigener Kartellbeteiligung

Mit dem Stuttgarter Urteil zum Kartell verflüssigte sich der vermeintliche Anspruch von Schlecker

Mit dem Stuttgarter Urteil zum Kartell verflüssigte sich der vermeintliche Anspruch von Schlecker

Das Landgericht Stuttgart verneinte einen Schadensersatzanspruch. Schlecker habe nicht nur Kenntnis von den horizontalen Herstellerabsprachen gehabt, sondern sei selbst aktiv an sogenannten vertikalen Vereinbarungen mit der beklagten Rösterei beteiligt gewesen.

Nach umfangreicher Beweisaufnahme – einschließlich Zeugenaussagen und der Auswertung interner Unterlagen – stellte die Kammer fest, dass Schlecker gemeinsam mit der Beklagten Endverkaufspreise für Röstkaffeeprodukte, insbesondere für Aktionsware, abgestimmt und weitgehend eingehalten habe. Für die Preisdisziplin erhielt das Unternehmen demnach finanzielle Anreize.

Flankierend habe Schlecker ein Preisüberwachungssystem (‚Preistracking‘) etabliert, um die Verkaufspreise von Wettbewerbern im Handel zu kontrollieren, sowie ein sogenanntes ‚Preispflege‘-System betrieben, mit dem auf Händler eingewirkt wurde, die von den vereinbarten Preisen abwichen.

Damit sah das Gericht eine systematische Beteiligung Schleckers an verbotenen Vertikalabsprachen als erwiesen an.

Kartellrecht - einmal für Schlecker durchgesiebt

Kartellrecht – einmal für Schlecker gründlich durchgesiebt

Funktionale Verknüpfung von Horizontal- und Vertikalkartellen

Nach den Feststellungen des Gerichts war das Kaffeerösterkartell eng mit mehreren Vertikalkartellen zwischen Herstellern und Händlern verknüpft. Die vertikalen Preisbindungen dienten dazu, die zwischen den Röstereien abgestimmten Preiserhöhungen im Endkundenmarkt durchzusetzen.

Vor diesem Hintergrund lehnte das Gericht eine Schadensersatzberechtigung Schleckers ab. Wer selbst in erheblichem Maße an einem Kartell beteiligt sei, kann nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs grundsätzlich keinen Schadensersatz verlangen. Jedenfalls bei erheblicher Mitverantwortung – wie im Fall Schlecker – entfällt die Anspruchsberechtigung vollständig.

Keine Haftung auch für andere Kartellanten

Kartell : angeblich drei verschiedene, in Wirklichkeit ähnliche oder gleiche Preise

Kartell : angeblich drei verschiedene, in Wirklichkeit ähnliche oder gleiche Preise

Der Insolvenzverwalter hatte argumentiert, die Beklagte müsse auch für Schäden haften, die aus den Preisabsprachen anderer Kartellanten entstanden seien. Dies wies das Gericht zurück. Zwar haften Kartellteilnehmer grundsätzlich gesamtschuldnerisch, doch in diesem Fall seien die Vertikalabsprachen ausschließlich in Bezug auf die Beklagte festgestellt worden. Aufgrund der funktionalen Verbindung zwischen dem Horizontal- und den Vertikalkartellen sowie der erheblichen Marktbedeutung Schleckers lasse sich der Sachverhalt nicht künstlich in verschiedene Beschaffungsvorgänge aufspalten. Schlecker könne daher auch für Einkäufe bei anderen Kartellanten keinen Ersatz verlangen.

Fazit

Das Landgericht Stuttgart hat die Klage des Insolvenzverwalters abgewiesen. Es bestätigt, dass ein Unternehmen, das selbst aktiv an kartellrechtswidrigen Preisbindungen mitwirkt, seine Mitverantwortung nicht im Nachhinein zu Geld machen kann. Das Verfahren zeigt, dass die Grenze zwischen ‚Kartellopfer‘ und ‚Kartellteilnehmer‘ im Einzelfall fließend sein kann. Für insolvente Unternehmen mit kartellrechtlicher Vorgeschichte bedeutet es, dass Chancen auf erfolgreiche Regressforderungen gering bleiben dürften, wenn eigene Beteiligungen nicht auszuschließen sind. Vor der Aufnahme des Klageverfahrens gegen die Kartellanten wären womöglich die drei Siebe, oder an unseren Fall angelehnt: die drei Filter des Sokrates der Findung der eigenen Position förderlich gewesen.

Arthur P. Vorreiter

*) Arthur Vorreiter ist Fachautor für u.a. Wirtschaftsrecht und publiziert regelmäßig zu Fachthemen wie Insolvenz und Restrukturierungsrecht, grenzüberschreitenden Wirtschaftsthemen sowie Gesundheitswirtschaft und Kunstrecht.

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