Wirtschaftliche Transparenz bedeutet einen kreditwürdigen Staat

Der Kommentar zu wirtschaftlicher Transparenz von Marshall L. Stocker, Ph.D., CFA, Erin Thornton und Patricia Tan, jeweils Eaton Vance*

Unter wirtschaftlicher Transparenz eines Staates versteht man das Ausmaß, in dem Behörden zeitnahe, verlässliche und zugängliche Informationen in Bezug auf die Fiskal- und Geldpolitik sowie die allgemeine Wirtschaft bereitstellen. In diesem Research Paper untersuchen wir den Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Transparenz und Rendite-Spreads, Kreditwürdigkeit, Aktienkursvolatilität und Vertrauen in die Regierung in 130 Ländern. Dabei korreliert eine größere wirtschaftliche Transparenz mit niedrigeren Renditeaufschlägen für Staaten und besseren Kredit-Ratings.

Die empirischen Ergebnisse sind ein überzeugender Beleg für unsere anhaltenden Anstrengungen, staatliche Emittenten einzubinden und mehr wirtschaftliche Transparenz zu empfehlen. Umgekehrt stellen wir fest, dass größere wirtschaftliche Transparenz nicht mit größerer Volatilität am Kapitalmarkt eines Landes korreliert, gemessen an der Aktienkursvolatilität.

Das von den Bürgern eines Landes angegebene Vertrauen in die Regierung korreliert ebenfalls nicht mit wirtschaftlicher Transparenz.

Insgesamt zeigt unsere Untersuchung, dass sowohl Investoren als auch Staaten von einer verbesserten wirtschaftlichen Transparenz profitieren – ein Win-Win-Ergebnis für ESG-Engagement.

Rendite-Spreads, Kreditwürdigkeit, Vertrauen in die Regierung und Aktienkursvolatilität

Länder, die unter finanziellem Stress gelitten haben, verfügten häufig nicht über die Menge an öffentlich verfügbaren Daten, die finanziell gesündere Nationen bereitwillig zur Verfügung stellen. Ein verlässliches Beispiel ist Argentinien, das seit der Gründung des Landes 1816 bereits neun Mal in Zahlungsverzug geraten ist.

So schön kann sich die argentinische Hauptstadt präsentieren – leider ist das Land nur häufig pleite

Mehr als ein Jahr vor Argentiniens Zahlungsausfall 2014 rügte der Internationale Währungsfonds IWF das Land, da es keine genauen Daten zu Inflation und Wirtschaftswachstum zur Verfügung stellte.

Doch schon beim ersten Staatsbankrott Argentiniens 1890 gab es außerbilanzielle Staatsverbindlichkeiten, die zum Ausfall beitrugen. Bei diesem Zahlungsausfall war die Ausgabe von Geschäftsbankanleihen erlaubt worden, solange sie durch staatliche Goldanleihen gedeckt waren. Die Finanzinnovation „stellte eine neue Verbindlichkeit in der Bilanz der Regierung dar“ (Mitchener & Weidenmier, 2008); eine, die mehr als 30 Mio. GBP betrug.

Zum Vergleich: Argentiniens Zahlungsausfall von 1890 hatte einen Umfang von 48 Mio. GBP. Während eine Verschlechterung der Terms of Trade und eine Inkongruenz zwischen Aktiva und Passiva die Hauptursachen für den Zahlungsausfall waren, stellte Ford (1956) fest, dass „er [der Investor] von der argentinischen Regierung grob getäuscht wurde, die aufgrund ihrer schwierigen Haushaltslage weiterhin Kredite im Ausland aufnahm, nur um die bestehenden Nebenkosten auf die einfachste Art und Weise zu tilgen“, was hindeutet, dass Argentinien seit seinem ersten Staatsbankrott mit Transparenzproblemen zu kämpfen hatte.

In Anerkennung der Wichtigkeit wirtschaftlicher Transparenz haben multilaterale Finanzinstitutionen, einschließlich des IWF und der Weltbank, die Behörden dazu ermutigt, ihr Transparenzniveau zu erhöhen (Internationaler Währungsfonds, n.d.; Weltbank, 2020). Dies rührt von dem Verständnis her, dass Transparenz der Öffentlichkeit ermöglicht, die Behörden zu überwachen und zur Verantwortung zu ziehen (Cukierman, 2001). Darüber hinaus kann dieser Trend zu größerer Transparenz auch als „Teil eines breiteren Trends …, die Regierung gegenüber der Öffentlichkeit reaktionsfähiger zu machen“ (Dincer & Eichengreen, 2014) verstanden werden.

Rendite-Spreads

1996 schuf der IWF zwei Rahmenwerke – den Special Data Dissemination Standard und das General Data Dissemination System –, die von den Teilnehmerländern verlangen, „dem IWF bestimmte Informationen über [ihre] Praktiken bei der Verbreitung von Wirtschafts- und Finanzdaten zu liefern.“ Der IWF betrachtet alle Daten, die er erhält, anhand von vier Dimensionen: Merkmale der Daten (Erfassungsgrad, Periodizität und Aktualität), Zugänglichkeit für die Öffentlichkeit, Integrität und Qualität der Daten. Dieses Rahmenwerk hat vielen Ländern bei ihrem Streben nach Transparenz als Vorbild gedient. Dies geschah aus der Erkenntnis heraus, dass jede vergangene Episode staatlicher Finanzturbulenzen gezeigt hat, dass selbst „internationale Rettungspakete für krisengeschüttelte Länder durch Datenmängel beeinträchtigt wurden.“

In einem Papier von 2017 stellten die Autoren Choi und Hashimoto fest, dass Schwellenländer, die die zuvor erwähnten Rahmenregelungen des IWF übernommen haben, „ein Jahr nach diesen Reformen eine 15-prozentige Verringerung der Spreads erlebten“, was auf einen greifbaren wirtschaftlichen Nutzen der verbesserten Datenbereitstellung hindeutet.

Kreditwürdigkeit

Forscher haben auch bestimmte Bereiche der Transparenz untersucht, darunter die fiskalische Transparenz. 2012 versuchten Arbatli und Escolano herauszufinden, welche quantitativen und qualitativen Variablen sich auf die Ratings von Staaten auswirken würden. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass ein transparenteres Steuersystem den politischen Entscheidungsträgern einen Anreiz bieten würde, die Anzahl der „Lieblingsprojekte“ und „Lieblingsorganisationen“ zu reduzieren und damit die Ausgabenverschwendung zu verringern.

Darüber hinaus kamen Arbatli und Escolano (2012) zu dem Schluss, dass „eine Erhöhung der fiskalischen Transparenz sowohl für fortgeschrittene als auch für sich entwickelnde Volkswirtschaften mit besserer Bonität verbunden ist. Fiskalische Transparenz scheint sowohl einen direkten Glaubwürdigkeitseffekt auf die Ratings zu haben als auch einen indirekten Effekt durch ihre Rolle bei der Förderung einer besseren Fiskalpolitik.“

In der Folge untersuchten Montes und de Oliveira (2019) 50 Länder mit einem Paneldatenansatz. Ihre Ergebnisse zeigten ebenfalls, dass eine größere fiskalische Transparenz eine bessere Bonität erklärt.

Vertrauen in die Regierung

Transparenz wurde auch als ein Schlüssel für das Vertrauen in die Regierung angepriesen. Grimmelikhuijsen (2012) kam zu dem Schluss, dass „Transparenz von Bürgern, Interessengruppen und einigen Wissenschaftlern stark befürwortet wird … sie lässt Regierungsbeamte besser arbeiten, verhindert Korruption und erhöht das Vertrauen der Bürger in die Regierung.“

Andere Forschungen haben versucht zu verstehen, wie sich die Wahrnehmung der Bürger von Transparenz und Vertrauen in die Regierung entwickelt. Die Ergebnisse zeigen, dass eine Regierung nicht nur Informationen freigeben muss, um das Vertrauen in die Regierung zu erhöhen, sondern dass die Informationen auch korrekt sein müssen (Alessandro, Lagomarsino, Scartascini, Streb, & Torrealday, 2021).

Gleichzeitig hat die Forschung gezeigt, dass Transparenz und Vertrauen in die Regierung nicht systematisch positiv korreliert sind (Mabillard & Pasquier, 2016). Unter Verwendung von Open-Source-Indizes untersuchten Mabillard & Pasquier 10 Länder aus den Jahren 2007-2014 und führten eine vergleichende Studie über den Zusammenhang zwischen Transparenz und Trust In Government durch.

Die Studie zeigte nicht eindeutige Ergebnisse, aber sie stellten die Hypothese auf, dass „es nicht das niedrige Transparenzniveau ist, das zu einem geringeren Vertrauen der Bürger führt, sondern eher das anfängliche Misstrauen der Bevölkerung gegenüber den Behörden, dass mehr Anfragen nach Zugang zu offiziellen Dokumenten und eine proaktivere Transparenzpolitik der Regierung auslöst.“ Unter Berücksichtigung dieser früheren Forschungsergebnisse bei der Untersuchung von Vertrauen in die Regierung und Transparenz haben wir uns entschieden, weiter zu untersuchen, ob eine Beziehung besteht, indem wir einen eigenen Index für wirtschaftliche Transparenz verwenden.

Aktienkursvolatilität

Ein weiterer möglicher Zusammenhang besteht zwischen Transparenz und Kapitalmarktvolatilität. Papadamou et al. (2014) untersuchten mehr als 40 Länder im Zeitraum von 1998 bis 2005 und fanden heraus, dass „der Übergang zu geldpolitischer Transparenz empfohlen wird, da die Aktienmarktvolatilität erheblich reduziert werden kann, was erhebliche Vorteile für die Finanzstabilität mit sich bringt.“ Für Investoren bedeutet eine geringere Volatilität einen niedrigeren Diskontierungssatz bei der Bewertung von Vermögenswerten.

Verbesserung der Kreditwürdigkeit durch größere wirtschaftliche Transparenz

Der Zweck unseres Researches und unserer ökonometrischen Modelle ist es, die Beziehung zwischen der wirtschaftlichen Transparenz eines Landes und seinen definierenden Anlagequalitäten wie Rendite-Spreads und Kreditwürdigkeit besser zu verstehen. Wir nutzen Metriken der wirtschaftlichen Transparenz, um wahrscheinliche Änderungen der Vermögensbewertung in Echtzeit zu prognostizieren.

Marshall Stocker, Eaton Vance

Auf diese Weise sind wir in der Lage, ökonometrisch fundierte Erkenntnisse über den Wert von Staatsanleihen zu liefern. Gleichzeitig versuchen wir, souveräne Länder über unsere Erkenntnisse bezüglich der wirtschaftlichen Transparenz zu informieren. Wir haben damit begonnen, die Ergebnisse dieses Research Papers als Grundlage für unseren Dialog mit politischen Entscheidungsträgern zu nutzen. Wir glauben, dass die politischen Entscheidungsträger daran interessiert sind, zu erfahren, wie sie ihre Kreditkosten senken und ihre Kreditwürdigkeit verbessern können, indem sie eine größere wirtschaftliche Transparenz anstreben.

Wir möchten auch darauf hinweisen, dass wir in Zukunft eine überarbeitete Version der Scoring-Methodik verwenden werden. Die Methodik wird weiterhin die gleichen Komponenten verwenden, die wir derzeit erfassen, und zusätzlich mehr Daten über staatliche Unternehmen hinzufügen. Darüber hinaus werden wir die Qualität und Genauigkeit der zur Verfügung gestellten Informationen gründlich überprüfen und, falls erforderlich, die Scores entsprechend anpassen.

Das vollständige Eaton Vance Research Paper “Economic Transparency means a creditworthy sovereign“ finden Sie unter https://global.eatonvance.com/viewpoints.php?post=economic-transparency-means-a-creditworthy-sovereign  und als pdf beigefügt.

*) Marshall L. Stocker, Ph.D., CFA, ist Director of Country Research, Portfolio Manager, Erin Thornton, Senior Research Associate, und Patricia Tan, Global Income: Research Co-Op, jeweils bei Eaton Vance