
Gemeinsamer Vertreter der Wirecard-Anleihegläubiger warnt: BGH-Entscheidung von fundamentaler Bedeutung für Deutschland als Investitions- und Finanzierungsstandort
⮚ kapitalmarktrechtliche Konsequenzen wären gravierend
⮚ Insolvenzordnung verhindert seit über 25 Jahren Nachteile für Anspruchsberechtigte, „natürliche“ Insolvenzgläubiger wie Anleihegläubiger
⮚ Ausgerechnet ein konservativer Anlagemanager versucht, sichere Anlagen zu gefährden
Als gemeinsamer Vertreter der Anleihegläubiger der 500 Mio. EUR Wirecard-Anleihe (DE000 A2YNQ5 8) hat die Alpine2Ocean Capital Advisers (A20), vormals K & E Treuhand GmbH, mit Sitz in Düsseldorf jüngst beim Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe ihre Revision des Zwischenurteils des Oberlandesgerichts (OLG) München über die Anerkennung von Schadensersatzansprüchen von gut drei Dutzend institutioneller Anleger als Insolvenzforderungen begründet. Diese professionell gemanagten Fonds hatten in Wirecard-Aktien spekuliert.
Der Geschäftsführer der A2O, Dr. Frank Nikolaus, verweist aus diesem Anlass auf „die fundamentale Bedeutung der BGH-Entscheidung für Deutschland als Investitions- und Finanzierungsstandort“. Denn die kapitalmarktrechtlichen Konsequenzen einer Entscheidung im Sinne der Klägerin wären gravierend: Würden spekulative Aktionärsansprüche mit Gläubigeransprüchen gleichgestellt, dann würden sich Kredite erheblich verteuern.
Seit über 25 Jahren verhindert die moderne deutsche Insolvenzordnung Nachteile für anspruchsberechtigte, „natürliche“ Insolvenzgläubiger wie Anleihegläubiger und gewährleistet damit im internationalen Vergleich in hohen Maße Finanzierungssicherheit.
Institutionelle Anleger versuchen, ihre Profite aus Spekulationsgeschäften zu privatisieren und Wertverluste zu Lasten der Insolvenzgläubiger zu sozialisieren
Nunmehr versuchen institutionelle Anleger unter Federführung des Investmentfonds in der genossenschaftlichen Finanzgruppe in einem Pilotverfahren, ihre Profite aus Spekulationsgeschäften zu privatisieren und Wertverluste als Insolvenzforderungen zu Lasten der Insolvenzgläubiger zu sozialisieren; Insolvenzgläubiger, die Lieferungen und Leistungen erbracht oder Darlehen begeben haben.
In der Natur des Aktieninvestments liegt jedoch, dass Aktionäre als Eigenkapitalgeber, Teilhaber und Miteigentümer das Risiko von Wertverlusten oder auch Ausfällen selbst zu tragen haben. Dies gilt auch dann, wenn Verluste unter Umständen durch schädigendes Verhalten ausgelöst wurden.
Der gemeinsame Vertreter der Anleihegläubiger erwartet, dass höchstrichterlich keine Gerechtigkeitslücke zu Gunsten von Aktionären als Eigenkapitalgeber und zu Lasten „natürlicher“ Insolvenzgläubiger begründet wird.
Denn sollten festverzinsliche Anlageformen ihren Insolvenzrang gegenüber spekulativen Anlegern einbüßen, dann stünde ausgerechnet die bisherige Strategie der Klägerin, zu über 70% in sichere Anlagen zu investieren, vollständig zur Disposition. Union Invest stünde dann vor der Herkulesaufgabe, die Nachteile abzufedern, die sie gerade für sichere Anlageformen wie Anleihen herausfordert und einklagt.
„Über den Gläubigerschutz hinaus betrifft die Entscheidung auch die Bedeutung, den Stellenwert und die Verlässlichkeit verbriefter Gläubigeransprüche bei Unternehmensanleihen als Treiber zur Finanzierung von Investitionen und Wirtschaftswachstum“, so Dr. Nikolaus.
Hintergrund
Mit Beschluss vom 25. August 2020 eröffnet das Amtsgericht München das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Wirecard AG sowie sechs weiterer deutscher Wirecard-Gesellschaften und bestellt Dr. jur. Michael Jaffé von der Kanzlei JAFFÉ Rechtsanwälte Insolvenzverwalter jeweils zum Insolvenzverwalter.
Im Frühjahr 2021 bestreitet der gemeinsame Vertreter der Anleihegläubiger Forderungen von Eigenkapitalgebern zur Wirecard-Insolvenztabelle. Insolvenzverfahren dienen der Gläubigerbefriedigung und Eigenkapitalgebern stehe im Rahmen eines Insolvenzverfahrens kein Schadensersatz zu, der angeblich durch fehlerhafte und unterlassene Kapitalmarktinformationen der Wirecard AG entstanden sei.
Im Sommer 2021 verklagt die Union Investment sowohl den Insolvenzverwalter von Wirecard als auch den gemeinsamen Vertreter der Anleihegläubiger beim Landgericht München.
Im Spätherbst 2022 weist das Landgericht (LG) München die Klage ab. Ansprüche, die auf einer Aktionärsstellung beruhen, begründen keinen Vermögensanspruch gegen die insolvente Wirecard und können somit grundsätzlich nicht zur Insolvenztabelle angemeldet werden. Eine Schadensersatzforderung von Eigenkapitalgebern als spekulativer Aktionärsanspruch könne nicht mit gewöhnlichen Gläubigeransprüchen gleichgesetzt werden. Sie gehe zu Lasten der Insolvenzgläubiger und sei „mit den maßgeblichen Grundwerten des Insolvenzrechts nicht vereinbar“.
Zum Jahresende 2022 geht Union Investment in Berufung beim OLG München.
Im Herbst 2024 entscheidet das OLG München in einem Zwischenurteil in diesem Pilotverfahren ausschließlich über die Zulässigkeit der Klage. Bislang sei höchstrichterlich nicht entschieden, ob Schadensersatzforderungen von Eigenkapitalgebern Insolvenzforderungen im Sinne der Insolvenzordnung seien. Deswegen lässt das OLG die Revision zu.
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