Schon Trump 1.0 hat das globale Nachhaltigkeitsfinanzsystem erschüttert, und seine Rückkehr könnte die Stabilität erneut auf die Probe stellen. Von Deepshikha Singh, Head of Stewardship, Crédit Mutuel Asset Management
Angesichts des bevorstehenden Amtsantritts von Donald Trump im Januar 2025 dürfte seine Präsidentschaft die weltweite Dynamik nachhaltiger Investitionen vor große Herausforderungen stellen. Trumps erste Amtszeit war geprägt von einem Abbau des Umweltschutzes, dem Ausstieg aus dem Pariser Abkommen und einer offensichtlichen Skepsis gegenüber der Klimawissenschaft. Diese Entwicklungen haben das globale Nachhaltigkeitsfinanzsystem erschüttert, und seine Rückkehr könnte die Stabilität von ESG-Investitionen erneut auf die Probe stellen.
Trumps zu erwartende Energiepolitik, die sich auf die Belebung fossiler Brennstoffe konzentriert, könnte die unter der Biden-Regierung erzielten Fortschritte untergraben. Der Inflation Reduction Act (IRA), der als wegweisendes Gesetz für Investitionen in saubere Energien gepriesen wurde, könnte vor Herausforderungen stehen, darunter reduzierte Finanzmittel oder geänderte Bestimmungen.
Allerdings rechnen wir nicht mit einer vollständigen Aufhebung des IRA, da dies dem Wachstum von Arbeitsplätzen in der heimischen Industrie und Investitionen in saubere Energien schaden könnte, von denen ein Großteil den von republikanischen Abgeordneten geführten Bezirken und Bundesstaaten zugutegekommen ist [1].
Außerdem könnte eine vollständige Abschaffung des IRA die Wettbewerbsfähigkeit des US-Sektors für saubere Energie gegenüber China beeinträchtigen. Trumps wahrscheinliche Unterstützung fossiler Brennstoffe und die Abkehr von der Klimapolitik könnte jedoch erhebliche Hindernisse für den Sektor und auch für Unternehmen bedeuten, die ihre Kohlenstoffbilanz reduzieren wollen. Sollten die staatlichen Anreize für erneuerbare Energien schrumpfen und gleichzeitig die Unterstützung traditioneller Energieindustrien zunehmen, könnte sich dies möglicherweise auf die Geschwindigkeit und den Umfang der Umsetzung der Dekarbonisierungspläne von Unternehmen in den USA auswirken.
Für Investoren sind die Aussichten gemischt. Anleger könnten erhebliche Abstriche an bundesstaatlichen Klimaschutzmaßnahmen und Berichtsstandards sehen. Der von Trump ausgewählte SEC-Vorsitzende Paul Atkins war ein entschiedener Gegner der SEC-Vorschriften zur Klimaberichterstattung [2]. Staaten wie Kalifornien und New York werden sich jedoch wahrscheinlich weiterhin ehrgeizige Klimaziele setzen. Darüber hinaus könnten große institutionelle Anleger die Nachfrage nach nachhaltigen Anlagen unterstützen. Denn sowohl die finanziellen Risiken des Klimawandels als auch der Wunsch nach langfristiger Stabilität bleiben zentrale Anliegen von Vermögensverwaltern und Pensionsfonds. […]
Europa ist auf dem besten Weg, seine Führungsrolle im Bereich nachhaltiger Finanzen auszubauen – nicht zuletzt, weil es seine Verpflichtungen von der COP-29 in Baku erfüllen will [6]. Mit der EU-Taxonomie, der Verordnung über die Offenlegung nachhaltiger Finanzprodukte (Sustainable Finance Disclosure Regulation – SFDR) und dem europäischen Green Deal, die das Rückgrat der ESG-Strategie bilden, dürfte die Eurozone die Messlatte für nachhaltige Investitionen anheben. Trumps Präsidentschaft könnte die transatlantische Kluft vertiefen. Europäische Regulierungsbehörden könnten ihre Standards weiter verschärfen, um die internationalen Klimaziele einzuhalten und einen Wettbewerbsvorteil auf dem Weltmarkt zu wahren.
Diese Divergenz könnte Europa für globale Investoren als Drehscheibe für nachhaltige Anlagen positionieren. Europäische Unternehmen, die sich an die strengen ESG-Vorschriften halten, könnten mehr Kapital anziehen. US-Firmen, die internationale Standards nur schwer erfüllen können, müssen dagegen mit höheren Kosten und einem eingeschränkten Zugang zu ausländischen Märkten rechnen. Die Ausrichtung der europäischen Finanzindustrie an den Zielen des Pariser Abkommens und der COP-29 bietet Chancen für diejenigen, die grünen Investments Priorität einräumen. Europa könnte auch versuchen, die globalen Finanzmärkte zu beeinflussen, indem es die ESG-Offenlegungspflichten für international tätige Unternehmen ausweitet, was sich auf multinationale Konzerne mit Sitz in den USA und anderswo auswirken könnte. […]
Fazit
Die Stabilität nachhaltiger Investitionen beruht auf ihrer Fähigkeit, sich an politische Zyklen anzupassen. Auch wenn Trumps Politik einige Aspekte des ESG-Investments in Frage stellen mag, ist es unwahrscheinlich, dass die überwältigende Verlagerung der globalen Märkte in Richtung Nachhaltigkeit rückgängig gemacht wird. Investoren, die sowohl vom Risikomanagement als auch von Chancen getrieben sind, werden weiterhin ESG-Faktoren in ihre Portfolios integrieren, selbst wenn sie auf Widerstand stoßen. Die Nachfrage nach transparenten, verantwortungsvollen Investitionen wird anhalten, unabhängig davon, wer im Weißen Haus sitzt. Tatsächlich könnte Trumps zweite Amtszeit sogar die Dringlichkeit einer Führungsrolle des privaten Sektors unterstreichen, um die Bewegung für nachhaltige Investitionen in den USA und anderswo voranzutreiben.
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