Wer hat Angst vor Deflation? – Kolumne von Raimund Brichta, n-tv

Raimund Brichta

In jüngster Zeit wird häufig vor einer Deflation gewarnt. Doch wie begründet ist die Angst davor? Und was ist eine Deflation überhaupt? Telebörse-Moderator Raimund Brichta bringt Klarheit in das Verwirrspiel.

„Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?“ „Niemand!“ „Und wenn er kommt?“ „Dann laufen wir!“ Zu solchen Rufen ist vermutlich jeder mal kreischend über den Schulhof gerannt. Und genau daran fühle ich mich erinnert, wenn ich derzeit Warnungen vor Deflation vernehme. Denn die meisten von uns haben vor dieser doch genauso wenig Angst, wie sie als Pennäler vorm schwarzen Mann hatten.

Wenn wir Deutschen uns vor etwas fürchten, dann eher vor dem Gegenteil, also vor Inflation. Denn damit mussten unsere Vorfahren schlechte Erfahrungen machen. Zudem hat man uns in den vergangenen Jahren doch immer genau vor diesem Gegenteil gewarnt – warum also sollte jetzt plötzlich das Gegenteil des Gegenteils drohen? Da kann der normale Bürger nur verständnislos den Kopf schütteln.

Im Prinzip fängt die Verwirrung schon damit an, dass die meisten Leute „Inflation“ mit steigenden Preisen gleichsetzen – und „Deflation“ entsprechend mit fallenden. Wenn aber steigende Preise schlecht sind, warum sollten dann fallende ebenfalls schlecht sein? Wäre es im Gegenteil nicht sogar schön, wenn alles billiger würde? Schließlich stöhnen wir doch immer darüber, dass alles teurer wird!

Ökonomie zu leicht gemacht
Ökonomen erklären dann gerne, wenn die Preise fielen, würden die Leute nichts mehr kaufen, sondern ihr Geld bunkern – in der Hoffnung, sich in Zukunft mehr dafür kaufen zu können. Genau dies sei das Schlechte an einer Deflation. Wenn nichts mehr gekauft würde, ginge es auch der Wirtschaft schlecht.

Mit Verlaub – solche Erklärungen erinnern mich an den verzweifelten Versuch, Deflation für „Dummies“ zu erklären und dabei selbst ins Dümmliche abzugleiten. Zumal hier Symptome und ihre Ursachen verwechselt werden.

Grundsätzlich sind fallende Preise nämlich gut, weil man sich dann fürs gleiche Geld mehr leisten kann. Dass dann weniger gekauft würde, stimmt nicht. Im Gegenteil: Wenn sich ein bestimmtes Produkt mehr Leute leisten können, wird es vermutlich auch von mehr Leuten gekauft, sofern es ein sinnvolles Produkt ist, das man auch haben will. Wurden etwa weniger Handys gekauft, als sie billiger wurden? Oder in früheren Zeiten weniger Computer, Fernseher oder Autos? Nein, sondern die Nachfrage stieg, je weiter die Preise fielen. Insgesamt wurden damit nach dem Preisrutsch sogar größere Geschäfte gemacht als vorher.

Und das ist auch schlüssig: Wenn ich zum Beispiel jetzt ein Handy haben will, dann kaufe ich es mir, sofern ich es mir leisten kann, auch wenn es später eventuell noch billiger werden könnte. Das Gleiche gilt für Sachen, die weniger hip sind. Oder fahren wir etwa weniger Auto, wenn der Spritpreis fällt? Mitnichten. Und selbst wer mit der einen oder anderen größeren Anschaffung noch etwas warten sollte, weil er auf fallende Preise hofft, der verschiebt den Kauf damit allenfalls, er bläst ihn aber nicht ab.

Das Übel liegt woanders
Das kann es also nicht sein, was Deflation schlecht macht. Was ist es aber dann? Ganz einfach: Es ist das, was hinter den fallenden Preisen steht. Denn im Unterschied zur weit verbreiteten Ansicht sind diese weder die Ursache noch das wesentliche Problem einer Deflation.

Die Ursachen liegen in der Geldmenge. Denn die Menge an Geld muss ständig wachsen, damit unser System reibungslos funktioniert. Schrumpft sie dagegen, was passieren kann, wenn weniger Kredite neu aufgenommen als gleichzeitig getilgt werden, gibt es ein Problem: Dann steht zum Beispiel nicht mehr genug Geld zur Verfügung, damit alle Schuldner ihre Kredite ordentlich bedienen können. Zum Bezahlen von Zinsen und Tilgungen braucht man schließlich Geld. Und davon ist nur bei wachsenden Geldmengen immer genügend vorhanden. Bei schrumpfenden Geldmengen werden Schuldner also benachteiligt, da es für sie schwieriger wird, die festgesetzten Raten zu begleichen

Klappt es nicht mit dem Geldmengenwachstum, geht es bergab mit der Wirtschaft. Und kommt es ganz schlimm wie in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts, wird daraus sogar eine anhaltende und tiefe Krise. Die große Depression, wie sie damals genannt wurde, ist das einzige Beispiel in der jüngeren Geschichte, in dem die Geldmenge in den USA über längere Zeit hinweg geschrumpft ist. Kein Wunder also, dass die Notenbanken Ähnliches mit allen Mitteln verhindern wollen.

Fallende Preise sind in einer solchen Krise nur ein Symptom des Übels. Denn wenn Schuldner nicht mehr in Lage sind, Kredite zu bedienen, müssen sich die Gläubiger an eventuellen Sicherheiten schadlos halten, etwa an Häusern, Grundstücken oder Wertpapieren. Da sie daran aber gar nicht interessiert sind, sondern nur am Geld, werden sie die Pfänder verscherbeln, so schnell es geht, und damit deren Preise drücken. Fallen aber die Werte von Sicherheiten, geraten dadurch weitere Schuldner in die Bredouille, so dass daraus leicht eine Abwärtsspirale entsteht, die letztlich zu der ausgemachten Wirtschaftskrise führt, in deren Verlauf immer mehr Menschen arbeitslos werden und sich immer weniger leisten können. Außerdem schränken diejenigen, die noch Arbeit haben, wegen der unsicheren Aussichten ebenfalls ihre Ausgaben ein.

Dies führt dann zu insgesamt fallenden Preisen, die aber nicht das eigentliche Problem darstellen, sondern nur seine Folge sind.

Was ist aber nun zu erwarten? Wir haben schon lange eine Inflation in Form aufgeblähter Geldmengen, sie hat sich bisher lediglich noch nicht in hohen Teuerungsraten niedergeschlagen – und das muss sie auch nicht (vgl. dazu „Die Inflation ist da!“). Doch auch ohne vorangehenden Preisschub wäre irgendwann mit dem Umkippen in eine deflatorische Krise zu rechnen, in deren Verlauf die Geldmengen wieder schrumpfen und die vorangegangenen Übertreibungen korrigiert werden. Solche Korrekturen gehören zu unserem Geldsystem genauso, wie ein Gewitter zum Sommer gehört.

In diesem Sinne, also in der Gefahr schrumpfender Geldmengen mit ihren garstigen Folgen, hätten die derzeitigen Deflationswarnungen somit einen realen Hintergrund. Berechtigt wäre aber auch diese Angst nur, wenn man nicht in das System eingriffe und es sich selbst überließe. Genau das aber tun die Notenbanken nicht. Solange diese also noch über genügend Munition verfügen, um mit ihren Geldkanonen schrumpfende Geldmengen abzuwehren – wie sie das in der letzten Finanzkrise getan haben -, so lange brauchen wir uns vor einer Deflation genauso wenig zu fürchten wie vorm schwarzen Mann,

meint Ihr

Raimund Brichta, Moderator und Börsenreporter beim Nachrichtensender n-tv.
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