Dividenden – Zinsersatz oder Placebo?

Noch sieht die Lage an den wichtigsten internationalen Börsenplätzen gut aus. Der allseits beschworene Crash, der doch jetzt, irgendwann einmal, bald, ganz bestimmt, demnächst kommen muss, glänzt weiter munter durch Abwesenheit. Von Torsten Reidel und Thomas Grüner.

Gewiss, die Unsicherheit steigt, und auch die Krisenherde rund um den Globus scheinen in immer schnellerer Folge aufzutreten. Auch erste Zeichen, dass der Konjunktur, gerade der bundesdeutschen, allmählich die Luft ausgeht, sind nicht wegzudiskutieren. Laufende Erträge sind aufgrund des extrem niedrigen Zinsniveaus jedoch zur großen Herausforderung geworden, weshalb Dividendenstrategien als alternative Ertragsquellen in den Fokus rücken. Unbestritten: Eine satte Dividende kann jede Gesamtrendite aufhübschen – doch trotzdem lohnt unserer Meinung nach ein genauerer Blick, ob Dividenden nicht nur scheinbare Beruhigung versprechen.

Was steckt hinter dem Thema Dividendenstrategie? Unter dem Schlagwort werden Anlagekonzepte zusammengefasst, bei denen bei der Auswahl von Aktientiteln die voraussichtliche Auszahlung von Dividenden, also zusätzlichen Ausschüttungen am Ende von Geschäftsperioden, ein wichtiges Auswahlkriterium ist. Die Gesamtrendite einer Aktie wird damit nicht nur vom jeweiligen Börsenkurs beeinflusst. Vermeintlich sichere Zahlungen sorgen für ein wohliges Sicherheitsgefühl.

Langfristig gesunde Unternehmensentwicklung entscheidend

Diese Betrachtungsweise aber ist eine kurzfristige. Denn jeden Euro, jeden Dollar, jeden Yen, den ein Unternehmen in die Auszahlung an seine Aktionäre investiert, kann es nicht mehr in die Weiterentwicklung seiner Geschäftstätigkeit stecken, fehlt also in Forschung und Entwicklung, Marketing, Personal und Vertrieb. Das ist solange kein Problem, in dem das Unternehmen in der Lage ist, mit seinem Geschäft einen kontinuierlichen Cashflow zu generieren. Dann sind Dividendenzahlungen möglich, ohne Investitionen in andere Bereiche zu gefährden. Anders wäre die Lage, wenn die Dividendenzahlungen an der dringend notwendigen Investitionssubstanz eines Unternehmens knabbern. Dass solch eine Praxis langfristig nicht im Sinne einer gesunden Unternehmensentwicklung ist, liegt auf der Hand.

Wenn man sich also bei der persönlichen Geldanlage für eine Dividendenstrategie entscheidet, gilt es genau hinzusehen: Auf die Dividendenhistorie des betreffenden Unternehmens, und in die Geschäftsberichte, die Auskunft geben über die Finanzlage und Prognosen aus Sicht der Unternehmensleitung. Blicken wir zunächst auf die Historie: Hat ein Unternehmen bereits in der Vergangenheit eine stets solide Dividendenpolitik verfolgt, in der die Dividenden kontinuierlich in etwa derselben Höhe festgelegt wurden, so deutet dies auf ein ausgereiftes Geschäftsmodell und einen soliden Kundenstamm hin. Größere Skepsis ist dagegen angebracht, wenn die Dividenden in der Vergangenheit sowohl in Höhe als auch im Auszahlungsrhythmus stärker schwankten oder in manchen Jahren ganz ausfielen. Dies kann Indikator für ein sehr volatiles Geschäftsmodell oder kompetitives, sich veränderndes Wettbewerbsumfeld sein.

Wer schlägt den Markt?

Der zweite Aspekt, der Blick in die Finanzberichte, ist ebenso wichtig. Hier finden sich möglicherweise Hinweise darauf, wie es um die allgemeine Finanzlage des Unternehmens besteht ist und ob die Dividenden möglicherweise zu Lasten der Zukunftsfähigkeit gehen. Die Frage, die sich hier stellt, ist die nach der Erfolgswahrscheinlichkeit aus Sicht eines Anlegers: Schafft es das Unternehmen, durch Investitionen erfolgreich zu sein und so den eigenen Kurs über die zu erzielende Rendite des Marktes hinaus zu steigern, hat sich der Dividendenverzicht dennoch gelohnt. Andernfalls wäre eine Auszahlung der Dividende, die dann wiederum anderweitig angelegt werden und Renditen hätte erzielen können, die aus Anlegersicht bessere Entscheidung gewesen. Diese Überlegung ist ein Grund dafür, warum wachstumsstarke Unternehmen in der Regel kaum oder keine Dividenden zahlen. Apple beispielsweise hat seinen Aktionären seit 1995 eine Dividende verweigert und erst zum vierten Quartal 2012 einen Kurswechsel eingeläutet – dann also, als sich der iPhone- und iPad-Wachstumskurs verstetigte, aber sich die Aussichten auf sprunghafte weitere Zunahme eintrübten.

Schließlich gilt zu beachten, dass sich Dividendenzahlungen unmittelbar in Börsenkursen widerspiegeln. Zahlt ein Unternehmen bei einem Kurswert von 50 EUR pro Anteilsschein eine Dividende von 1,80 EUR, fällt der Kurs am darauffolgenden Handelstag um genau diesen Betrag auf 48,20 EUR. Überdies fallen auf Dividendenzahlungen in aller Regel direkt Steuern an, sodass vom Betrag weniger übrigbleibt.

Was bedeutet all das unterm Strich für den Anleger? Sind Dividenden ein wichtiges Kriterium, das in die eigene Anlagestrategie Einzug halten sollte, oder doch nur ein gefühlter Zinsersatz in turbulenten Zeiten, der Anlageentscheidungen vermeintlich einfacher macht – sozusagen ein Placebo für die eigenen Nerven, gegen nervöse Märkte? Eine eindeutige Antwort darauf gibt es nicht, es hängt immer am einzelnen Titel. Klar ist, dass eine sorgfältig austarierte Dividendenkomponente Platz in jeder Anlagestrategie haben kann. Sie ist aber weder unverzichtbar, noch ein Allheilmittel gegen die Turbulenzen des Marktes. Gegen diese helfen wie immer nur sorgfältige Beobachtung, hohe Diversifikation und auf Fakten basierende Entscheidungen.

Firmensitz von Grüner-Fisher in Rodenbach

Torsten Reidel ist Geschäftsführer der Grüner Fisher Investments GmbH, Thomas Grüner ihr Gründer und Vice Chairman. Die Vermögensverwaltung wurde 1999 gegründet, 2007 erwarb Asset Manager und Milliardär Ken Fisher eine Beteiligung.

Fotos: Pixabay, Grüner-Fisher