Interview mit Ingo Wegerich, Rechtsanwalt und Partner der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, über den Prospektausnahmetatbestand öffentlicher Angebote im Gesamtgegenwert von weniger als 8 Mio. EUR
BondGuide: Herr Wegerich, Ihr letzter Beitrag in der Law Corner vom 5. April mit dem Titel „Volumina von insgesamt 30+ Mio. EUR prospektfrei“ hat eine sehr große Resonanz gehabt. Das Interesse im Markt ist enorm. Im Zusammenhang mit dem Beitrag hatten Sie einen kostenlosen Workshop angeboten. Wie war die Resonanz?
Wegerich: Die große Resonanz hat mich selbst überrascht. Wir hatten viele Anfragen für einen Workshop und ich habe auch bereits diverse Workshops für Emittenten und Wertpapierdienstleistungsunternehmen durchgeführt.
BondGuide: Wo sehen Sie den größten Anwendungsbereich für diesen Ausnahmetatbestand?
Wegerich: Den sehe ich ganz eindeutig ab dem 21. Juli 2019 bei Bezugsrechtsemissionen. Zu diesem Zeitpunkt tritt die Gesetzesänderung in Kraft, die unser Interessenverband durch seine Petition und Stimmensammlung, an der sich über 100 Vorstände börsennotierter Unternehmen beteiligt hatten, durchgesetzt hat. Die Einzelanlageschwellen für nicht qualifizierte Anleger gelten dann nicht mehr für Wertpapiere, die den Aktionären im Rahmen einer Bezugsrechtsemission angeboten werden. Hier sind wir auch von diversen Unternehmen angesprochen worden. Wir haben dies auch bereits für einen Emittenten mit der BaFin abgestimmt. Für solche Bezugsrechtsemissionen bedarf es dann zukünftig nur noch eines Wertpapier-Informationsblattes.
BondGuide: Wie sieht es bei Anleihen aus?
Wegerich: Bei Anleihen haben wir die Einzelanlageschwellen für nicht qualifizierte Anleger weiterhin. Aber auch hier ist das Interesse sehr groß. Ich war davon ausgegangen, dass kleine Anleihen bis zu einem Volumen von 8 Mio. EUR für institutionelle Investoren weniger interessant sind, da die Liquidität dieser Wertpapiere nicht so hoch ist. Hier bin ich aber eines Besseren belehrt worden. Ich hatte diesbezüglich verschiedene Gespräche mit institutionellen Investoren, die mir versichert haben, dass sie auch in geringvolumige Anleihen investieren, wenn das emittierende Unternehmen akzeptabel ist.
BondGuide: Was ist bei diesen Anleihen rechtlich zu beachten?
Wegerich: Das Gesetz verlangt hier, dass die Wertpapiere ausschließlich im Wege der Anlageberatung oder Anlagevermittlung über ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen vermittelt werden, das rechtlich verpflichtet ist, zu prüfen, ob der Gesamtbetrag der Wertpapiere, die von einem nicht qualifizierten Anleger erworben werden können, die Einzelanlageschwellen nicht übersteigt. Das klingt zunächst kompliziert, ist aber praktisch umsetzbar.
BondGuide: Und wie ist das im Falle von Direktbanken?
Wegerich: Anlagevermittlung erfasst bereits die Weiterleitung von Willenserklärungen des Anlegers, die auf die Anschaffung oder Veräußerung von Finanzinstrumenten gerichtet sind, an denjenigen, mit dem der Anleger ein Geschäft abschließen will. Damit sind die Anforderungen bereits erfüllt, wenn ein reines Ausführungsgeschäft von einer Direktbank weitergeleitet wird.
BondGuide: Ist die Umsetzung der Prüfungspflicht des Wertpapierdienstleistungsunternehmens praktisch darstellbar?
Wegerich: Die erforderlichen Auskünfte können formal abgefragt und somit in die Prozesse der Wertpapierdienstleistungsunternehmen z.B. in Form eines Onlineformulars integriert werden. Ganz wichtig ist, dass das Wertpapierhandelsgesetz vorsieht, dass das Wertpapierdienstleistungsunternehmen die Fehlerhaftigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben seines nicht qualifizierten Anlegers nicht zu vertreten hat, wenn die Informationen auf dessen eigenen Angaben beruhen. Wir beraten hier bereits Emittenten und Anbieter bei der Umsetzung. Der große Vorteil ist hier, dass der Emittent ein öffentliches Angebot machen kann. Er kann die Emission der Anleihe öffentlich bewerben und damit natürlich deutlich mehr Aufmerksamkeit auf die Emission und das Unternehmen lenken als bei einer Privatplatzierung.
BondGuide: Also gänzlich neue Optionen für einen Emittenten?
Wegerich: In der letzten Law Corner hatte ich bereits ausgeführt, dass der Ausnahmetatbestand angebotsbezogen ausgelegt wird, so dass auch große Volumina über die mehrfache Nutzung dieses Angebotstatbestandes möglich sind. Darüber hinaus ist dieser Prospektausnahmetatbestand mit allen weiteren bekannten Prospektausnahmetatbeständen kombinierbar. Dies eröffnet den Unternehmen ganz neue Möglichkeiten.
BondGuide: Herr Wegerich, wir danken Ihnen für das Gespräch und die sehr interessanten Ausführungen.
Das Interview führte Falko Bozicevic.
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