BGH: Uneingeschränkte AGB-Kontrolle bei unverbrieften Namensschuldverschreibungen / Werthaltigkeitsanforderungen für Anlegerschaden

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Law Corner von Dr. Lutz Pospiech, Rechtsanwalt und Partner, und Lena Gerhard, Rechtsanwältin, GÖRG Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB, München

>> aus BondGuide #20-2024 vom 04. Okt. <<

In seinem Urteil vom 18.01.2024 hatte sich der BGH erneut mit der Frage zu befassen, inwieweit bei unverbrieften Namensschuldverschreibungen (NSV) aufgrund einer Mehrheitsklausel durch Beschluss nach Belieben in die Rechtsposition der Inhaber der NSV eingegriffen werden kann. Diesbezüglich hält der BGH am strengen Transparenzgebot gemäß § 307 I 2 BGB fest. Eine zweite Kernaussage der Entscheidung betrifft die Berechnung eines Anlegerschadens bei Pflichtverletzungen nach Vertragsschluss. Der BGH stellt klar, dass dem geschädigten Anleger die Darlegungs- und Beweislast für den kausalen Schaden obliegt.

Urteil des BGH (Az. III ZR 245/22)
Der Kläger investierte im Jahr 2014 in unverbriefte NSV einer Emittentin und bevollmächtigte eine Treuhänderin auf Grundlage eines Treuhandvertrags (THV) diese Kapitalanlage für ihn zu verwalten und die damit verbundenen Rechte auszuüben. Die Treuhänderin sollte diese Rechte nach „ihrem freien Ermessen und unter Berücksichtigung des Gesamtinteresses aller Anleger“ ausüben. Gemäß § 18 der Anlagebedingungen der NSV (AB) waren Beschlüsse der Anleger über Rechte und Pflichten der Anleger im Zusammenhang mit den NSV in Anlegerversammlungen (AV) zu treffen; Beschlüsse zu Änderungen der AB bedurften einer Mehrheit von 75% der abgegebenen Stimmen. Für Anleger, die nicht an der AV teilnahmen, übte die Treuhänderin gemäß der AB die Stimmrechte nach ihrem freien Ermessen aus.

Am 08.10.2015 fand eine AV statt, in der die Anleger Änderungen der AB beschließen sollten, wonach die Emittentin die Möglichkeit erhielt, das Anleihekapital zzgl. Zinsen vorzeitig zurückzuzahlen; zugleich wurde der Emittentin die Option eingeräumt, den Anlegern an Erfüllung statt Aktien an einer anderen Gesellschaft zu übertragen. Die Anleger stimmten mit der erforderlichen Mehrheit der Stimmrechte für die entsprechenden Änderungen der AB. Bei der Abstimmung war die Zustimmung der Treuhänderin ausschlaggebend, die auch mit den Stimmen derjenigen Anleger, die ihr keine Weisung erteilt hatten, für die Änderungen der AB stimmte. Auch der Kläger erteilte der Treuhänderin keine Weisung. Die Emittentin nahm die Option noch in der AV wahr, sodass der Kläger in der Folge im Austausch für die von ihm gehaltenen NSV Aktien einer mit der Emittentin verbundenen AG erhielt. Die Emittentin wurde am 11.04.2016 wegen Vermögenslosigkeit aus dem Handelsregister gelöscht. Über das Vermögen der Treuhänderin wurde mit Beschluss vom 16.12.2020 das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger begehrt vorliegend von dem Insolvenzverwalter der Treuhänderin als Beklagtem Schadensersatz in Höhe des von ihm investierten Kapitals. Der Kläger wirft der Treuhänderin vor, ihre Pflichten aus dem THV verletzt zu haben, da sie bei der AV nicht im Interesse derselbigen gehandelt habe.

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Pflichtverletzung der Treuhänderin und Verstoß gegen das Transparenzgebot
Vorliegend hat der BGH entschieden, dass die Treuhänderin ihre Pflichten aus dem THV verletzte, indem sie mit den Stimmrechten derjenigen Anleger, die ihr keine Weisung für die Stimmabgabe erteilt hatten, für die Änderungen der AB stimmte. Da derart weitreichende Änderungen der AB für die Anleger zum Zeitpunkt der Zeichnung nicht erkennbar waren, hätte die Treuhänderin den Änderungen der AB mit diesen Stimmrechten nicht ohne ausdrückliche Weisung zustimmen dürfen. Der dritte Zivilsenat des BGH hat sich in seiner Entscheidung einer früheren Entscheidung des neunten Zivilsenats des BGH (Az. IX ZR 351/18) angeschlossen, in der dieser den wortlautidentischen § 18 der AB eines Schwesterfonds der Emittentin wegen der Unvereinbarkeit mit dem Transparenzgebot des § 307 I 2 BGB für unwirksam erklärte. Die Anleger hätten sich aus dem abstrakt gehaltenen § 18 der AB kein Bild davon hätten machen können, welche Belastungen bei Änderungen der AB möglicherweise auf sie zukommen würden. Wäre § 18 der AB wirksam, könnte aufgrund des freien Ermessens durch Beschluss der AV nach Belieben in die Rechtsposition der Anleger eingegriffen werden, ohne dass Art und Ausmaß einer möglichen Änderung vorher für die Anleger erkennbar oder kalkulierbar wäre. Da ein solches nahezu schrankenloses Ermessen mit dem Transparenzgebot des § 307 I 2 BGB nicht vereinbar sei, sei der betreffende § 18 der AB unwirksam.

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Ersatzfähiger Anlegerschaden
Der BGH geht jedoch davon aus, dass dem Kläger im vorliegenden Fall aus der Pflichtverletzung der Treuhänderin kein kausaler Schaden entstanden ist – zumindest habe der Kläger hierüber den Beweis nicht geführt. Der BGH legte der Prüfung des Entstehens eines kausalen Schadens zunächst zugrunde, dass die Ansprüche des Klägers gegen die Emittentin uneingeschränkt fortbestünden, da die in der AV vom 08.10.2025 beschlossenen Änderungen der AB wegen der Unwirksamkeit des § 18 der AB keine Rechtswirkung entfalten würden. Dem Kläger könne aus dem pflichtwidrigen Verhalten der Treuhänderin indes nur dann ein kausaler Schaden entstanden sein, wenn die Emittentin im Zeitpunkt der Beschlussfassung noch hinreichend vermögend war, um die Forderungen des Klägers im Zusammenhang mit den von ihm erworbenen unverbrieften NSV (teilweise) zu bedienen und sich an diesem Zustand bis zum Fälligkeitsdatum der NSV auch nichts geändert hätte. Diesen Beweis habe der Kläger jedoch nicht geführt.

Dr. Lutz Pospiech und Lena Gerhard, RAs, GÖRG

Fazit
Der BGH bleibt seiner Linie treu, dass Mehrheitsklauseln bei unverbrieften NSV – und damit außerhalb des Anwendungsbereichs des SchVG – insb. am strengen AGB-rechtlichen Transparenzgebot des § 307 I 1 BGB zu messen sind. Zudem stellt der BGH klar, dass ein Anleger, der Schadensersatzansprüche aufgrund von erst nach Vertragsschluss begangener Pflichtverletzungen geltend macht, die Darlegungs- und Beweislast für die Werthaltigkeit seiner Anlage sowohl im Zeitpunkt der Pflichtverletzung als auch bei seiner Fälligkeit trägt.

Noch immer ungeklärt verbleibt die Rechtsfrage, ob die Regelungen des SchVG durch eine Verweisung in den Bedingungen auch außerhalb des Anwendungsbereichs des SchVG für anwendbar erklärt werden können.