Law Corner: „Mit solchen Ideen und zusätzlichen Anforderungen werden KMU zukünftig von den Kapitalmärkten ferngehalten“

Ingo Wegerich, Luther
Ingo Wegerich, Luther

Das Law Corner-Interview mit Ingo Wegerich, Präsident, Interessenverband kapitalmarktorientierter KMU e.V., Partner und Rechtsanwalt, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, über den neuen EU-Wachstumsprospekt, alte Schwächen und was jetzt gemeinsam angegangen werden sollte

BondGuide: Herr Wegerich, seit kurzem gibt es den sogenannte EU-Wachstumsprospekt, betreffend kleine und mittelgroße Unternehmen, kurz KMU. Auch der Interessenverband kapitalmarktorientierter KMU hat bei den Konsultationen mitgewirkt – indes, die ESMA scheint doch eine Art Alleingang vorgenommen zu haben. Was ist passiert?
Wegerich: Vielleicht lassen Sie mich zunächst kurz für Ihre Leser zusammenfassen: Im Juli diesen Jahres ist die neue Prospektverordnung als ein großer Baustein der Initiative der Europäischen Kommission zur Kapitalmarktunion in Kraft getreten. Die Kapitalmarktunion will die Finanzierung von Unternehmen, insbesondere von KMU über die Kapitalmärkte erheblich fördern und vereinfachen. Rechtliche Hürden und Kosten sollen ganz deutlich reduziert werden. Die Prospektverordnung ist zwar bereits in Kraft, sie gilt aber in wesentlichen Teilen erst ab dem 21. Juli 2019. In Artikel 15 sieht die Prospektverordnung nunmehr mit dem EU-Wachstumsprospekt ein neues Prospektformat insbesondere für KMU vor. Der EU-Wachstumsprospekt soll in leicht verständlicher Sprache abgefasst und für die Emittenten leicht auszufüllen sein. Unter dem Aspekt der Verwaltungslasten und der Emissionskosten soll er signifikant einfacher sein als der Standardprospekt – so jedenfalls die Prospektverordnung.

BondGuide: Der Teufel steckt wahrscheinlich im Detail – in der Praxis nämlich.
Wegerich: Ja, denn die Prospektverordnung stellt nur eine Art rechtlichen Rahmen dar – die Einzelheiten zum Prospekt wie genauer Inhalt und Format werden in europäischen Untergesetzen, sogenannten delegierten Rechtsakten geregelt. Zu dem genauen Inhalt und Format des EU-Wachstumsprospekts hat die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) jetzt einen ersten Entwurf geliefert und hierzu die Marktteilnehmer konsultiert. Das Mandat hat die ESMA von der Europäischen Kommission erhalten. Leider sieht der Entwurf jedoch ganz anders aus, als wir es uns vorgestellt haben …

Foto: © Dron – stock.adobe.com

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BondGuide: Aber die EU-Kommission hatte doch eindeutig signalisiert, dass man sich Bottom-up orientieren solle, d.h. an Märkten, an denen bisher keine Prospektpflicht verankert sei. Die Frankfurter Börse mit dem Freiverkehr wäre doch eine gute Ausgangsbasis gewesen.
Wegerich: In der Tat. In dem Mandat der Europäischen Kommission an die ESMA heißt es wörtlich: Die ESMA soll einen Bottom-up Ansatz verfolgen und soll vermeiden, die bestehenden Anhänge der Prospektverordnung (zum Prospektinhalt und -format) als Ausgangspunkt für den neuen EU-Wachstumsprospekt zu nehmen. Stattdessen soll die ESMA einen neuen, ganz erheblich abgeschwächten Offenlegungsstandard von Grund auf entwerfen. Im Besonderen soll die ESMA als Maßstab den Inhalt von Zulassungsdokumenten für Märkte, an denen keine Prospektpflicht besteht, heranziehen. Beispielsweise die Regularien der Freiverkehre für KMU und MidCaps.