Wohlstandsunterschiede zwischen den Industrie- und Schwellenländern nehmen ab

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Die Schwellenländer wollen endlich respektiert werden und stellen den bilateralen Anspruch der USA infrage. Wer die Gewinner und wer die Verlierer dieser Entwicklung sind, erklärt Maurizio Porfiri, CIO von CAT Financial Products:

De-Globalisierung, Multilateralismus, De-Risking – diese Begriffe dominieren derzeit die Wirtschaftsberichterstattung. Zwischen 2000 und 2010 gab es eine große Verlagerung der Produktion in die Schwellenländer, hauptsächlich nach China, das zur Werkstatt der Weltwirtschaft wurde. Zwischen 2010 und 2020 wandelte sich China von einem Billigland zu einem Technohub. Damit wurde China zunehmend auch zu einem Rivalen der USA. Hinzu kamen die Pandemie und anschließend der Krieg in der Ukraine. Das hat den westlichen Industrienationen aufgezeigt, wie abhängig sie von den globalen Lieferketten geworden sind.

Als Gegenreaktion sind in den letzten beiden Jahren die gesamten Produktionsketten neu überdacht worden. Gleichzeitig sind die Rohstoffe wieder in den Vordergrund gerückt, vor allem auch Öl und Gas. Heute ist es jedoch die Technologie, die im Mittelpunkt steht. Im sogenannten „Chip War“ wird nicht mehr um Öl wird gestritten, sondern um Halbleiter. Gleichzeitig wird mit rasanter Geschwindigkeit daran gearbeitet, die Produktion wieder in die Industrieländer zurückzuverlangen, ganz besonders in den USA.

China – der wahre Verlierer
Die wirtschaftliche Entwicklung wird begleitet von einem massiv zunehmenden Nationalismus. Zugleich entwickelt sich in vielen Schwellenländern ein zunehmender Anti-Amerikanismus, was sich vor einigen Wochen an der Tagung der BRICS-Staaten gezeigt hat. Die Gründe dafür sind verschieden. Die USA spielen gerne ihre Macht aus, die sie dank des Dollars haben und stellen ihre finanzielle Stärke in den Vordergrund. Wer bei den Sanktionen gegen Russland oder den Iran nicht mitmacht, der bekommt dies zu spüren, etwa indem der Zugang zu Swift, dem internationalen Kommunikationssystem der Banken, gekappt wird.

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Trotz ihrer zunehmenden Allianz gegen die USA bestehen zwischen den BRICS-Ländern auch erhebliche Differenzen, vor allem zwischen China und Indien. China befindet sich derzeit in einer schweren wirtschaftlichen Krise. Die Technologie-Unternehmen stellen keine neuen Mitarbeiter mehr ein, was zu einer rekordhohen Jugendarbeitslosigkeit geführt hat. Diese Probleme sind sicher auf das sehr schnelle Wachstum zurückzuführen. China hat jedoch auch ein Problem mit Russland und dem Krieg in der Ukraine. Die Chinesen sind derzeit so stark mit sich selbst beschäftigt, dass sie sich keine äußeren Konflikte leisten können. Die chinesische Regierung will Putin auf jeden Fall an der Macht behalten, da sie sonst befürchtet, dass es zu internen Machtkämpfen und Instabilität an der langen Grenze zu Russland kommen könnte.

Tatsächlich kann China als der große Verlierer des Ukraine-Konflikts bezeichnet werden. Xi hat sich mit Putin verkalkuliert und seine wichtigsten Handelspartner verärgert. Zudem sieht sich China einem nun stark geeinten Westen gegenüber. Die USA haben es geschafft, Europa gegen Russland zu vereinen. Die Amerikaner wollen die NATO stärken und Deutschland von Russland trennen. Das ist ihnen gelungen. Wirtschaftlich steht Europa erstaunlich gut da. Die Energiekrise ist nicht eingetreten und die Inflation ist auf dem Rückzug. Mit anderen Worten: Die schlimmsten Erwartungen sind nicht eingetroffen. Und auch wenn die deutsche Wirtschaft, vor allem die Autoindustrie, kriselt, sind die Deutschen traditionell Meister darin, rasch Lösungen aus einer Krise zu finden.

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Kann Indien seinem Anspruch gerecht werden?
Indien hingegen zählt zu den Gewinnern. Die innenpolitische Situation ist dort derzeit relativ stabil. Gleichzeitig ist ein Teil der globalen Lieferkette von China nach Indien verlagert worden, speziell im Technologiebereich. Das Verhältnis zu den USA ist wieder besser, dabei verhält sich Indien äußerst opportunistisch und erhebt den Anspruch, Anführer der Länder zu sein, die weder von den USA noch von China abhängig sein wollen. Zwar verfügt Indien über eine kleine, sehr gut ausgebildete Elite, braucht aber noch mindestens 20 bis 30 Jahre, bis ein Mittelstand heranwachsen kann. Kurzfristig profitiert Indien aber von der aktuellen Schwäche Chinas.

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Sektoren entscheidend für Wachstum
Zusammenfassend kann man sagen, dass die großen Wohlstandsunterschiede zwischen den Industrie- und den Schwellenländern langsam abnehmen. Zudem wird sich das Wirtschaftswachstum zunehmend nicht mehr auf Länder, sondern auf Sektoren verlagern. Mal boomt der Tech-Sektor, mal ein anderer. Die Abhängigkeit von neuen Rohstoffen wie seltene Erden, Lithium oder Kobalt wird zu neuen Allianzen führen. Eine Welt, in der zwei Supermächte den Ton angeben, wie es im Kalten Krieg mit den USA und der Sowjetunion der Fall war, wird es deshalb kaum mehr geben.

Maurizio Porfiri, CAT Financial Products

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