Formunwirksame Beschlussfassungen der Anleihegläubiger

Dr. Mirko Sickinger (li) und Dr. Martin Konstantin Thelen

Law Corner von Dr. Mirko Sickinger, LL.M., Rechtsanwalt und Partner, Dr. Martin Konstantin Thelen, LL.M., RA und Associate, Heuking Kühn Lüer Wojtek

Wollen Gläubiger einer Anleihe während der Laufzeit die Anleihebedingungen ändern, stehen dafür zwei Wege zur Verfügung: Entweder alle Anleihegläubiger schließen einen Vertrag mit dem Anleiheemittenten oder sie fassen einen Beschluss im Rahmen einer Anleihegläubigerversammlung, § 4 Satz 1 SchVG. Ersterer Weg erweist sich angesichts der meist großen Zahl von Anleihegläubigern rein praktisch kaum als gangbar.

Ein Beschluss der Versammlung der Anleihegläubiger bedarf dagegen nicht der Mitwirkung aller Anleihegläubiger. Zusätzlich bietet er den Vorteil, dass die Anleihebedingungen i.d.R. eine gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 SchVG zulässige Mehrheitsentscheidung vorsehen. Dadurch können einzelne abstimmende Anleihegläubiger keine Blockadeposition gegenüber notwendigen Beschlussvorschlägen einnehmen.

Notarielle Beurkundung der Beschlussfassung
Gemäß § 16 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 HS 1 SchVG bedarf eine in Deutschland stattfindende Beschlussfassung der Versammlung der Anleihegläubiger zwingend der notariellen Beurkundung. Ebenso wie bei der – als Vorbild dienenden – Protokollierung der Beschlüsse der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft (§ 130 Abs. 1 Satz 1 AktG) hat der Notar ein Ergebnisprotokoll anzufertigen (§§ 36 ff. BeurkG).

Das Erfordernis der notariellen Beurkundung gilt uneingeschränkt. Denn von den Vorschriften der §§ 5 bis 21 SchVG kann zu Lasten der Gläubiger nur dann abgewichen werden, soweit dies im Gesetz explizit vorgesehen ist, § 5 Abs. 1 Satz 2 SchVG. Unter die gläubigerschützenden Vorschriften fasst ein Obergericht auch das Erfordernis der notariellen Beurkundung gemäß § 16 Abs. 3 SchVG (OLG Stuttgart ZIP 2018, 1727, 1730).

Da jene Vorschrift, anders als § 130 Abs. 1 Satz 2 AktG, keine Ausnahme von der Beurkundungspflicht enthält, können sich Anleihegläubiger über dieses Erfordernis nicht durch eine gemeinsame Verzichtserklärung hinwegsetzen: Rechtsfolge des Verstoßes gegen das Beurkundungserfordernis ist die Nichtigkeit des gefassten Beschlusses.

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Umdeutung in Vertrag mit dem Anleiheemittenten
Sofern alle Anleihegläubiger an einer Beschlussfassung mitgewirkt und auf das Beurkundungserfordernis verzichtet haben, kommt eine Umdeutung des nichtigen Beschlusses in einen Vertrag zwischen Emittenten und Anleihegläubigern in Betracht, § 140 BGB. Allerdings stellen sich dabei verschiedene Fragen:

Erstens ist noch nicht abschließend höchstrichterlich geklärt, ob und inwieweit § 140 BGB auf Beschlüsse der Anleihegläubiger Anwendung findet. Für Beschlüsse von Wohnungseigentümern hat der BGH die Anwendbarkeit bejaht (BGH NJW 2010, 2801 Rn. 7).

Zweitens kommt eine Umdeutung nur dann in Betracht, wenn alle Wirksamkeitsvoraussetzungen des anderen Rechtsgeschäfts erfüllt sind. Der Beschluss der Anleihegläubiger muss demnach von allen Anleihegläubigern gefasst worden sein, um ihn in einen Vertrag mit dem Anleiheemittenten umdeuten zu können. An diesem Erfordernis werden die allermeisten Umdeutungsversuche scheitern.

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Drittens muss anzunehmen sein, dass die Anleihegläubiger bei Kenntnis des formunwirksamen Beschlusses einen wirksamen Vertrag mit dem Anleiheemittenten hätten abschließen wollen. Angesichts des meist großen und heterogenen Kreises an Anleihegläubigern dürfte es in der Praxis schwierig sein, einen einheitlichen Willen nachzuweisen, sodass jedenfalls Restunsicherheiten verbleiben.

Neufassung des Beschlusses
Scheidet eine Umdeutung des formunwirksamen Beschlusses aus, müssen Anleihegläubiger zwangsläufig denselben Beschluss im Rahmen einer neuen Versammlung erneut fassen. Vor allem bei zeitkritischen Beschlüssen besteht dann die Gefahr, dass ein Anleihegläubiger den Beschluss anficht und auf diese Weise dessen Umsetzung blockiert. Allerdings kann ein Anleihegläubiger den Beschluss nur anfechten, wenn er seinen Widerspruch dagegen bis zur Schließung der Versammlung zu Protokoll erklärt hat, § 20 Abs. 2 Nr. 1 SchVG (Kiem, in: Hopt/Seibt, SchVG, 1. Aufl. 2017, § 20 Rn. 102). Erklärt also auf der Anleihegläubigerversammlung kein Anleihegläubiger seinen Widerspruch und sind alle Anleihegläubiger anwesend oder vertreten, scheidet eine Anfechtung schon aus diesem Grund aus. In jedem Fall sollten die Anleihegläubiger ihren Verzicht auf das Anfechtungsrecht zu Protokoll erklären.

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