Kluge Investoren pflegen einen aufgeklärten Pessimismus

Fixed Income: Wie steht’s mit Inflation & Co jetzt? Von Yannik Zufferey, CIO Fixed Income, und Philipp Burkhardt, Fixed Income Strategist and Portfolio Manager bei Lombard Odier Investment Managers (LOIM)

Der Pessimist beklagt sich über den Wind; der Optimist erwartet, dass er sich ändert; der Realist passt die Segel an.“ Dieses Zitat des US-amerikanischen Motivationsredners William Arthur Ward mag bekannt sein, doch in diesen unvorhersehbaren Zeiten ist es aktueller denn je zuvor.

Optimismus kann sicherlich eine wichtige Eigenschaft sein, die Anleger durchaus besitzen sollten. Der März 2020 war unbestreitbar eine dunkle Zeit für die Welt und auch für die Marktteilnehmer eine verunsichernde. Aber es gab auch einen Silberstreif am Horizont: Durch den Abverkauf illiquider und liquider Vermögenswerte wurden die Bewertungen extrem attraktiv und boten eine Chance für diejenigen, die mutig genug waren, den Geräuschpegel zu überhören. Investoren von Investment-Grade-Krediten und wurden für das Eingehen des kalkulierten Risikos belohnt.

Die Welt und die Märkte verändern sich ständig, so dass wir uns jetzt auf eine andere Realität einstellen müssen. Das Makrobild ist insgesamt gesund – obwohl die Renditen 10-jähriger US-Staatsanleihen zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Berichts ein Viermonatstief erreichten. Angetrieben wird dies vermutlich von der Wahrnehmung des Marktes, dass sich das Wachstum insgesamt verlangsamt. In weiten Teilen der Industrieländer fördern Impfungen die Konjunkturbelebung, die in Verbindung mit den Konjunkturprogrammen das Wachstum in den wichtigsten Märkten stützen. Für Optimisten am Markt ist dies ein klares Zeichen dafür, dass die Zukunft rosig ist. Pessimisten werden hingegen erwarten, dass Inflation die Renditen erodiert und neue Covid-Varianten weitere Lockdowns auslösen. Besser wäre es, Realist zu sein.

Die jüngsten Wachstumssorgen rund um die Märkte bringen die Konsensmeinung in einen ausgewogeneren Bereich. Schließlich ist die vollständige Umsetzung des amerikanischen Rettungsplans nicht in Stein gemeißelt. Der parteiübergreifende Deal, der das bloße Minimum an gemeinsamer Einigung darstellt, umfasst nur etwa 15% des 1,9 Bio. USD schweren Pakets. An den Kreditmärkten machen jene Sektoren Sorgen, die von der Coronakrise besonders stark betroffen waren. In diesem Zusammenhang ist anzuerkennen, dass der Aufstieg der ‚Rising Stars‘ darauf hindeutet, dass der Höhepunkt der Ausfälle hinter uns liegt und viele Unternehmen, die der Krise proaktiv begegnet sind, nun über genügend Barmittel verfügen.

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Der Markt für Schwellenländer-Staatsanleihen erscheint eher anleihegläubiger- denn als aktiengläubigerfreundlich, da die meisten Unternehmen derzeit der Versuchung widerstehen, aggressive Fusionen und Übernahmen zu tätigen, sich unnötig zu verschulden oder die Mittel zur Finanzierung von Aktienrückkäufen zu verwenden. Andererseits können die hohen Bewertungen ein Problem darstellen. Der Optimismus wird durch die zahlreichen Herausforderungen an den Märkten gedämpft. Doch welches sind derzeit die größten Risiken an den Rentenmärkten?

Taper Tantrum – oder Tango?

Gegenüber dem Risiko einer höheren Inflation ist Wachsamkeit geboten, bislang gibt es aber keinen Grund, in Alarmbereitschaft zu gehen. Sicherlich ist es unstrittig, dass die Preise in verschiedenen Sektoren steigen. Vielmehr stellen sich Anleger, Politiker und Verbraucher die Frage, ob diese anhaltend oder nur vorübergehend sein werden – oder wie lange ‚vorübergehend‘ ist. Angesichts der Ausnahmesituation, in der sich die Welt befindet, scheinen viele der üblichen Indikatoren widersprüchlich. In den USA zum Beispiel liegt die Zahl der Arbeitsplätze weit unter dem Vorkrisenniveau, da jedoch viele Menschen aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind, ist die Zahl der schwer zu besetzenden Stellen hoch.

Indessen neigt man dazu, die Inflation als vorübergehend zu betrachten, wobei die meisten Preisspitzen durch Faktoren verursacht werden, die in engem Zusammenhang mit der Wiederaufnahme der Wirtschaftstätigkeit stehen. Allerdings könnten sie nicht ganz so vorübergehend sein, wie ursprünglich erhofft: Auf seiner Sitzung im Juni änderte der Offenmarktausschuss der US-Notenbank seinen Ausblick und seine Inflationsprognosen und verlängerte die vorübergehende Zeitspanne mit dem Hinweis, dass die aktuellen inflationären Kräfte eher für eine Reihe von Quartalen als von Monaten wirksam sein könnten.

Wer sprach von Inflation?

Im Anschluss an diese Sitzung bestätigte der Fed-Vorsitzende Jerome Powell, dass der Ausschuss darüber diskutiert habe, wann es angebracht sein könnte, mit einer Verschärfung der finanziellen Bedingungen zu beginnen, indem das Anleihekaufprogramm der Zentralbank in Höhe von 120 Mrd. USD pro Monat reduziert werden sollte – was er als ‚Reden über das Reden‘ bezeichnete. Die potenzielle Rücknahme solch massiver Stimulierungsmaßnahmen weckt Erinnerungen an das sog. Taper Tantrum von 2013, als die Fed unerwartet die Aufhebung ähnlicher Unterstützung ankündigte. Solche Befürchtungen dürften in diesem Fall recht unbegründet sein.

Basierend auf der Analyse dieses und ähnlicher Ereignisse in der Vergangenheit wird der Markt natürlich reagieren, wenn das Tapering endlich kommt. Es könnte im Laufe dieses Jahres bekanntgegeben werden, dürfte aber erst 2022 tatsächlich starten. Unter der Annahme, dass die Fed ihre Absichten weiterhin mit dem gleichen Maß an Klarheit kundtut, dürfte der Effekt jedoch eher ein ‚Risk-off-then-rally‘-Tanz zwischen Zentralbanken und Märkten sein als ein größeres Durcheinander. Vor diesem Hintergrund scheint das Spread-Risiko attraktiver gegenüber dem Durationsrisiko.

Die Kehrseite der hohen Bewertungen

Da die akkommodierenden Zentralbanken die Zinssätze niedrig halten, müssen die Anleger mehr denn je nach Rendite suchen. Dies hat dazu geführt, dass die Bewertungen im gesamten festverzinslichen Universum, von Staatsanleihen bis hin zu Hochzinsanleihen, in die Höhe getrieben wurden. Infolgedessen bestehen etwa 20% des Bloomberg Barclays Global Aggregate Index aus Schuldtiteln mit negativer Verzinsung, während bei den Unternehmensanleihen die Spreads zurückgegangen sind und je nach Unternehmensrating die Vorkrisenniveaus erreicht oder sogar unterschritten haben. Bis zu einem gewissen Grad sind die Preise für Vermögenswerte unabhängig von der Qualität des zugrunde liegenden Emittenten gestiegen.

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Irgendwann wird die Musik unweigerlich verstummen und die Emittenten mit schwächeren Fundamentaldaten entlarven. Dieses Risiko zeigt sich besonders bei Unternehmenskrediten, wo anfällige Unternehmen mit beeinträchtigten Geschäftsmodellen immer noch von dem außergewöhnlich akkommodierenden Umfeld und der anhaltenden Suche der Anleger nach höheren Renditen profitieren. Sollten sich die finanziellen Bedingungen verschärfen, könnten viele dieser Unternehmen eine schwierige Zeit haben. Solche Namen sollten eher gemieden werden, trotz ihrer oberflächlich betrachtet attraktiven Bewertungen (relativ gesehen).

Während die potenziellen Vorteile einer Herabstufung der Ratings und der Kapitalstruktur erkannt werden müssen, um Carry zu nutzen, ist die daraus resultierende Notwendigkeit einer gründlichen fundamentalen Kreditanalyse zu betonen. Dies geht über die traditionelle Finanzmodellanalyse hinaus und beinhaltet ein umfassendes Verständnis des Geschäftsmodells und des Nachhaltigkeitsansatzes eines Unternehmens. Letzteres wird immer wichtiger werden, ebenso wie die Erfassung der Übergangsrisiken für Unternehmen und Staaten, wenn sich die Weltwirtschaft auf den Wettlauf zum Netto-Nullverbrauch vorbereitet. Beides sind Faktoren, die der Markt bisher nicht einpreist – was als Chance gesehen werden kann.

Optimismus und Pessimismus nutzen

Wir leben weiterhin in einer unsicheren Welt, eine Tatsache, die vom Markt oft nicht richtig reflektiert wird. Vor diesem Hintergrund ist ein Portfolio von Vorteil, deren Kernstück die Flexibilität ist, die es dem Investor ermöglicht, seinen Ansatz an ein sich veränderndes Marktumfeld anzupassen. Dies kann in erster Linie durch die Hinzufügung einer Schicht von unkorreliertem Alpha erreicht werden, das weiter von der Diversifizierung über Portfoliomanager in einem Multi-Manager-Setup profitieren kann. Auch Portfolios, die über festverzinsliche Segmente hinweg neu positioniert werden können, wie z.B. dynamische Rentenfonds, können dabei eine bedeutende Rolle spielen.

Yannik Zufferey, Fixed Income Experte, LOIM

In Anbetracht der Asymmetrie des Schwankungsrisikos ist es wichtig, den wahren Wert zu erkennen. Das bedeutet, dass man bereit ist, in attraktiv bewertete hybride Anleihen, nachrangige Anleihen und ausgewählte Neuemissionen zu investieren, aber nur in Unternehmen, die finanziell robust und fundamental nachhaltig sind.

Philipp Burckhardt, Fixed Income Strategist, LOIM

Gleichzeitig werden kluge Investoren einen gewissen aufgeklärten Pessimismus an den Tag legen. Die Unsicherheit über die künftige Entwicklung der finanziellen Bedingungen ist nach wie vor hoch, aber der Preis für Volatilität ist auf einem relativ niedrigen Niveau geblieben. ‚Schwarze Schwäne‘-Ereignisse wie die Covid-19-Krise sind naturgemäß nicht genau vorhersehbar, so dass es nicht ratsam ist, auf erhöhte Anzeichen von Risiken zu warten, bevor man reagiert.

Ein pragmatischer und kosteneffizienter Ansatz ist es, eine fortlaufende Tail-Risk-Absicherungsstrategie anzuwenden, die das Beste aus Kreditoptionen macht, wenn diese weniger gefragt sind.