Facebook Coin: eine Kryptowährung für Hunderte Millionen Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern

Foto: © Bunpoht – stock.adobe.com

Am 18. Juni 2019 wurde das Whitepaper zu Facebooks Projekt „Libra“ veröffentlicht, einer neuartigen Kryptowährung. Erste Informationen über die Vision, das Ziel und die Umsetzung des Projekts werden hier von Prof. Dr. Philipp Sandner, Leiter, Jonas Groß, Project Manager, und Felix Bekemeier, Project Manager, Frankfurt School Blockchain Center, erläutert.

Das Hauptziel von Calibra ist es, eine Infrastruktur bereitzustellen, die es ermöglicht, weltweit Zahlungen schnell, einfach und kostengünstig abzuwickeln. Im Kern des Projekts geht es um eine eigene Kryptowährung namens „Libra“, die auf einer Distributed-Ledger-Technologie (DLT), der „Libra Blockchain“, basiert und hauptsächlich über Mobiltelefone zugänglich gemacht werden soll.

Das Projekt hat das Potenzial, Transaktionskosten – vor allem für grenzüberschreitende Transaktionen für Hunderte von Millionen Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern – deutlich zu senken. Heute verlangen Intermediäre häufig etwa 10% des Transaktionsvolumens als Gebühren.

Dem Whitepaper zufolge sind derzeit 1,7 Mrd. Erwachsene weltweit vom Finanzsystem ausgeschlossen (31% der Weltbevölkerung). Zwei Drittel davon Besitzen jedoch Mobiltelefone mit Internetzugang. Somit könnte der Libra-Token eine Infrastruktur schaffen, um Zahlungen per Smartphone – ohne Zugang zu Bankdienstleistungen – durchzuführen und die Teilnahme am allgemeinen Zahlungsverkehr zu ermöglichen („financial inclusion“). Für den Fall, dass der Token bei etablierten Netzwerken wie WhatsApp und Instagram eingesetzt wird, wäre die Akzeptanz in kurzer Zeit ermöglicht. Hunderte von Millionen Nutzer könnten durch bereits bestehende und etablierte Formen der digitalen sozialen Interaktion erreicht werden.

Foto: © ktasimar – stock.adobe.com

Mögliche Probleme
Calibra wirft allerdings auch Fragen in Bezug auf Zentralisierung, Datensicherheit und Regulierung auf. Facebook beschloss, Macht aufzugeben, um mit allen anderen Partnern im gesamten Libra-Konsortium auf Augenhöhe zu agieren. Hierfür hat Facebook das Tochterunternehmen „Calibra“, den Initiator des Projekts, gegründet und bisher zahlreiche namhafte Partner wie Visa, Mastercard, Paypal, Uber und Spotify gewinnen können.

Calibra und die anderen Partnerunternehmen bilden die Libra Association mit Sitz in Genf, Schweiz. Die Libra Association wird als unabhängige gemeinnützige Organisation tätig sein und ist für die Entwicklung des Ökosystems verantwortlich. Der genaue Dezentralisierungsgrad kann anhand des Whitepapers noch nicht vollständig ermittelt werden. Auch wenn Facebook durch Calibra nur ein Mitglied des Konsortiums ist, sind die meisten anderen Partnerunternehmen mit einer erheblichen Marktmacht ausgestattet. Ein zentralisierter Rahmen würde das Risiko mit sich bringen, dass das gesamte System von einigen wenigen zentralisierten Parteien kontrolliert werden würde.

Die Rolle von Staatsanleihen
Libra ist als Stable Coin konzipiert und wird durch Finanzanlagen, den sog. Libra-Reserven – bestehend aus Bankeinlagen und kurzfristigen Staatsanleihen, die von stabilen Volkswirtschaften ausgegeben werden – gestützt, um die Volatilität zu verringern und das Vertrauen zu fördern.

In der öffentlichen Diskussion um Libra wurde bisher zumeist übersehen, dass die Libra Association somit zu einem großen Nachfrager am Markt für Staatsanleihen werden könnte. Jeder Libra- Token muss von der Libra Association gedeckt werden: durch Bankeinlagen oder kurzfristige Staatsanleihen.

Angenommen, es würden 250 Mio. Menschen zu Libra-Nutzern werden und jeder Nutzer besäße Libra im Wert von 1.000 USD, dann hätte Libra eine Marktkapitalisierung von 250 Mrd. USD (siehe Abb. 1, dunkelrote Zelle). Dadurch würde Libra quasi über Nacht in die Top Three der Kryptowährungen aufsteigen. Allerdings ist zum aktuellen Stand eine so genaue Schätzung der Nutzerzahlen und der gehaltenen Token nicht möglich. Eher sollte von einer möglichen Nutzerschaft von 100 bis 500 Mio. Personen ausgegangen werden, die jeweils zwischen 500 und 2.500 USD in Libra halten. Hieraus würde eine erwartete Marktkapitalisierung zwischen 50 und 1.250 Mrd. USD resultieren (siehe Abb. 1).

Da dieses Volumen – neben Bankeinlagen – mit entsprechenden Staatsanleihen hinterlegt werden müsste, würde die Libra Association über Nacht zu einem bedeutenden Akteur an den globalen Staatsanleihenmärkten werden. Allerdings ist die Nachfrage nach Staatsanleihen aktuell aufgrund der hohen Käufe der Zentralbanken bereits sehr stark.

Weltweit sind aktuell laut der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) Staatsanleihen im Wert von etwa 25 Bio. USD emittiert. Angenommen, etwas weniger als die Hälfte dieser Staatsanleihen wäre kurzfristiger Natur, dann wären insgesamt kurzfristige Staatsanleihen im Wert von ca. 10 Bio. USD weltweit im Umlauf.

Je nach Entscheidungsfindung innerhalb der Libra Association könnte sie grundsätzlich auch den Ankauf von Anleihen von bestimmten Staaten beenden. Auch wenn dies spekulativ erscheinen mag, so könnten Regierungen möglicherweise sogar abhängig vom Libra-Konsortium werden. Der Grund für ein mögliches sehr hohes Level dieser Abhängigkeit ist letztlich die schiere Größe der Nutzerschaft, die – aufgrund der Konstruktion des Konsortiums – auch zügig zu echten Nutzern werden könnte.

Prof. Sandner (li.), J. Groß (Mi.) und F. Bekemeier

Fazit
Libra hat das Potenzial, im Rahmen eines weltweiten, dezentralen Finanzökosystems beeindruckende Vorteile zu erzielen, wie z.B. die Senkung der Kosten von Finanztransaktionen (etwa im Hinblick auf Überweisungen) und die Förderung der finanziellen Inklusion in Entwicklungs- und Schwellenländern – und zwar für Hunderte Millionen Menschen.

Gemäß dem veröffentlichten Whitepaper sind Dezentralisierung und Datensicherheit Schwerpunkte des Projekts. Allerdings müssen weitere Entwicklungen in Bezug auf die technische Architektur und den Umgang mit dem Thema Datenschutz genau beobachtet werden, um zu bewerten, ob Dezentralisierung und Datensicherheit tatsächlich gewährleistet sein werden. Diese Faktoren werden den Erfolg des Projekts maßgeblich beeinflussen. Weiterhin sind auch makroökonomische Implikationen zu analysieren, wenn das Projekt ganzheitlich bewertet werden soll.

Dieser Beitrag erschien im jährlichen BondGuide Nachschlagewerk ‘Anleihen 2019′, das seit Kurzem als kostenloses e-Magazin bequem heruntergeladen, gespeichert & durchgeblättert werden kann.

! Bitte nutzen Sie für Fragen und Meinungen Twitter – damit die gesamte Community davon profitiert. Verfolgen Sie alle Diskussionen & News zeitnaher auf Twitter@bondguide !