WEF Davos 2024: so wichtig wie nie – und so wirkungslos wie selten

Zum 54. Mal trifft sich die wirtschaftliche und politische Elite der Welt im Schweizer Skiort Davos. Obwohl die Welt dringend mehr Optimismus benötigt, ist im kleinen Davos schlicht zu wenig Platz dafür – von Thomas Kaufmann*

Noch nie wurden so viele Teilnehmer erwartet. Doch obwohl großer Rede- und Handlungsbedarf herrscht, dürfte das World Economic Forum (WEF) in diesem Jahr weitgehend erfolglos verlaufen. Warum das Treffen in Davos trotz großer Beliebtheit weiter an Bedeutung einbüßt.

Alljährlich wird der kleine Skiort Davos in den Bündner Bergen der Schweizer Alpen zum „Place to be“ für die globale Elite aus Politik und Wirtschaft. Insgesamt haben sich 2.800 Teilnehmer angemeldet, darunter allein 60 Staats- und Regierungschefs sowie 800 CEOs. Nicht Schnee und Ski locken die Mächtigen und die Wirtschaftslenker nach Davos, sondern das World Economic Forum, kurz WEF. Die Idee: Hier sollen Manager und Politiker über den Zustand von Welt und Wirtschaft diskutieren sowie nach gemeinsamen Lösungen für eine bessere Welt suchen.

Die US-Wahl wirft bereits ihre Schatten voraus

Multikrise

Grundsätzlich ist es natürlich zu begrüßen, dass sich die Spitzen aus Politik und Wirtschaft austauschen und vernetzen, um die großen Herausforderungen der Menschheit in Angriff zu nehmen. Doch seit ein paar Jahren nehmen die Krisen zu: Pandemie, Klimawandel, fast zwei Jahre Ukraine-Krieg und nun auch noch seit 100 Tagen der Krieg zwischen Israel und Hamas-Terroristen in Gaza, der die Welt spaltet. Einmal mehr wird das WEF von der geopolitischen Lage überschattet. Und einmal mehr dürften die Konflikte in der Ukraine und in Gaza das beherrschende Thema sein. Auch wenn es in anderen Diskussionen beispielsweise um die Regulierung künstlicher Intelligenz gehen soll.

Eigentlich bietet das WEF eine gute Gelegenheit, um Kontrahenten zu Gesprächen zusammenzubringen, denn die Gästeliste ist wie immer hochkarätig: US-Außenminister Antony Blinken ist ebenso in Davos wie Israels Präsident Isaac Herzog, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen oder Chinas Ministerpräsident Li Qiang. Auch der französische Präsident Emmanuel Macron, der niederländische Noch-Ministerpräsident Mark Rutte, der spanische Premierminister Pedro Sánchez, der griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis und Argentiniens neuer Präsident Javier Milei sind vor Ort. Sogar der Präsident der Ukraine, Wolodimir Selenski, nutzte die Gelegenheit, für weitere Unterstützung im Krieg mit der Ukraine zu werben. Vor allem sein Auftritt war mit Spannung erwartet worden.

Er ist wieder da!

Wichtige Protagonisten fehlen in Davos

Für die Suche nach Lösungen der bestehenden Probleme und Konflikte fehlen allerdings wichtige Protagonisten: Weder Wladimir Putin noch Benjamin Netanjahu oder Joe Biden nehmen teil. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz bleibt dem WEF fern, stattdessen sind Annalena Baerbock und Robert Habeck in Davos. Weil wichtige Akteure fehlen, ist es unwahrscheinlich, dass das WEF viel zur Lösung der bestehenden Konflikte beitragen kann. Schon das Motto des WEF, „Vertrauen wieder aufbauen“, dürfte sich als allzu ehrgeizig erweisen: Denn dafür müssten sie alle an einem Tisch sitzen.

Die geopolitische Lage dürfte deshalb auch nach dem Mega-Treffen in Davos weiter fragil bleiben. Das zeigt auch der deutliche Sieg Donald Trumps in den ersten Vorwahlen und die tiefe Zerrissenheit der amerikanischen Gesellschaft, die auch im US-Repräsentantenhaus zu beobachten ist.

In Wirtschaftsfragen dürfte es kaum besser laufen. Zwar kommen Microsoft-Größen wie Gründer Bill Gates oder CEO Satya Nadella und OpenAI-Chef Sam Altman, um über die künftige KI-Regulierung zu reden. Aber das Thema ist umstritten und eine schnelle Einigung auf weltweite Standards ungefähr so ambitioniert wie ein bemannter Flug zum Mars. Und was die Weltwirtschaft betrifft, so kämpft sie weiter mit den Sanktionen gegen China und Russland, weiterhin brüchigen Lieferketten, einem insgesamt abnehmenden Welthandel und einem Wirtschaftswachstum am Scheideweg. Zusammengenommen verbreitet das alles andere als Optimismus.

Stillleben im beschaulichen Davos

Stillleben im beschaulichen Davos

WEF: trübe Aussichten für den Mittelstand

Der zurückgehende Welthandel geht noch dazu vor allem zulasten Europas. Das spüren insbesondere mittelständische Unternehmen, die über weniger Spielräume und Finanzpolster verfügen, um auf eine veränderte Nachfrage zu reagieren, Durststrecken zu überbrücken oder ihr Geschäft innerhalb kürzester Zeit neu auszurichten. Die trüben Aussichten gelten vor allem auch unter der Annahme, dass Amerika Donald Trump erneut zum Präsidenten der USA wählt. Dann dürfte die Globalisierung neue Dämpfer und der Protektionismus neuen Auftrieb bekommen. Auch das dürfte der exportstarke deutsche Mittelstand zu spüren bekommen.

„Vertrauen wieder herstellen“ dürfte deshalb mit Blick auf die Weltwirtschaft ein allzu hehres Ziel sein, zumal Vertrauen vor allem durch Taten und weniger durch Worte entsteht. Obwohl die Welt dringend mehr Optimismus benötigt, ist im kleinen Davos in der Schweiz schlicht zu wenig Platz dafür.

Thomas Kaufmann

Welche Maßnahmen brauchen wir jetzt, um das im Kontext von Davos viel besungene Vertrauen wiederherzustellen? Diskutieren Sie mit auf LinkedIn.

*) Thomas Kaufmann ist stv. Leiter Kapitalmarktgeschäft der Quirin Privatbank

Über den Quirin Kapitalmarktblog

Hier schreiben die Kapitalmarktexperten der Quirin Privatbank über die deutsche Wirtschaft und alles, was den heimischen Mittelstand bewegt. Das erfahrene Team der Quirin Privatbank hat die Entwicklungen rund um die Mittelstandsfinanzierung immer im Blick und zeigt auf, welche alternativen Finanzierungsformen für KMU interessant sind.

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