Was, wenn Erdogan doch nochmals gewinnt?

Am 14. Mai, einschließlich einer sehr wahrscheinlichen zweiten Runde am 28. Mai, finden die Präsidentschaftswahlen in der Türkei statt. Von Kieran Curtis*

Ob die Wahlen wie von den Medien tituliert ‚historisch‘ werden, hängt davon ab, ob es der verbündeten Opposition gelingt, die mehr als zwei Jahrzehnte währende politische Dominanz von Präsident Erdogan und seiner AKP-Partei zu beenden. Zwar liege der gemeinsame Präsidentschaftskandidat der Oppositionskoalition, Kemal Kilicdaroglu, in Meinungsumfragen knapp vorn, doch der Wahlausgang sei derzeit noch ungewiss. Fest steht: Für die türkische Wirtschaft könnte das Wahlergebnis sehr folgenreich sein.

Der Preis einer verfehlten Politik

Seit Jahren hat Erdogans Politik das Wachstum durch billige Kredite angekurbelt. Diese Politik hat zwar dafür gesorgt, dass die BIP-Wachstumsraten in der Türkei höher waren als in anderen Ländern, aber auf Kosten einer hohen und sich oft beschleunigenden Inflation sowie eines anhaltend hohen Leistungsbilanzdefizits.

Große Leistungsbilanzdefizite haben seit langem die türkischen Devisenreserven aufgezehrt. Ein genaues Bild davon zu bekommen, ist jedoch angesichts der Reservenverwaltung und der Meldepraxis der türkischen Zentralbank (CBRT) schwierig. Erstens werden die gesamten Bruttowährungsreserven auf verschiedene Weise von inländischen Banken geliehen. Zweitens sind Dutzende von Milliarden Dollar an Reserven nicht in Dollar, sondern in anderen Währungen wie dem chinesischen Yuan, dem katarischen Riyal und dem koreanischen Won in Form von bilateralen Swap-Vereinbarungen angelegt.

Chance auf Reformen

Die Oppositionskoalition hat eine Reihe von Reformen verabredet, mit denen die Inflation rasch gesenkt und die Devisenreserven wieder aufgebaut werden sollen. Sollte Kilicdaroglu gewinnen, würde die CBRT sofort eine neue Leitung erhalten. Die Zinssätze würden drastisch angehoben, von derzeit 8,5 auf 30-40% oder sogar noch höher. Die CBRT würde auch aufhören, Reserven zu verkaufen, um die türkische Lira zu stützen (und vielleicht sogar beginnen, Fremdwährungen zu kaufen), was die Lira wahrscheinlich weiter schwächer werden würde.

Zwar würde all dies die Wirtschaft kurzfristig schädigen, möglicherweise eine Rezession auslösen und auch das Überleben der Oppositionskoalition erschweren. Die Hoffnung wäre jedoch, dass eine orthodoxere Wirtschaftspolitik sowohl ausländische Investitionen als auch die Rückführung türkischen Kapitals, das im letzten Jahrzehnt ins Ausland geflossen ist, fördern würde. Der türkische Privatsektor ist dynamisch und wäre in der Lage, eine Erholung von einem Einbruch zu bewirken.

Die sechs Oppositionsparteien haben sich auch darauf geeinigt, Verfassungsreformen durchzuführen, um die Türkei wieder zu einer parlamentarischen Demokratie zu machen. Dazu wäre eine Zweidrittelmehrheit im Parlament erforderlich und nach den aktuellen Umfragen müsste die AKP dafür stimmen. Es ist nicht unmöglich, dies zu erreichen, aber der wahrscheinliche ‚Handel‘ wären neue, vorgezogene Wahlen, und zwar zu einem Zeitpunkt, der Erdogan passt.

Was, wenn Erdogan doch gewinnt?

Sollte es Erdogan gelingen, zumindest die Präsidentschaft zu behalten, wären die wirtschaftspolitischen Aussichten weniger sicher. Es gibt Gerüchte über die mögliche Rückkehr eines der ehemaligen führenden Wirtschaftspolitiker, entweder Lütfi Elvan oder Mehmet Simsek, sollte Erdogan gewinnen. Sollte dies der Fall sein, wäre dies in der Tat ein Signal für einen Wechsel zu einer orthodoxeren Wirtschaftspolitik.

Kieran Curtis

Falls nicht, könnte Erdogan eine unorthodoxe Wirtschaftspolitik betreiben. Dies wäre letztendlich höchst problematisch und würde einige unangenehme Entscheidungen mit sich bringen. Immerhin müsse die türkische Regierung zwischen 2024 und 2028 jährlich 13 bis 15 Mrd. USD an Kupons und Fälligkeiten an die Inhaber von Eurobonds zurückzahlen. Dies entspreche etwa der Hälfte des jährlichen Leistungsbilanzdefizits. Die Türkei war immer bereit, ihre Kreditgeber zu bezahlen, aber wenn die Devisenreserven nicht ausreichen und eine tiefe Rezession droht, könnte es verlockend sein, die Anleihegläubiger um einen ‚Beitrag‘ zur Erholung zu bitten.

Den gesamten Kommentar finden Sie hier

*) Kieran Curtis ist Head of Emerging Market Local Currency Debt, bei abrdn

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