Stimmrechtsbeschränkungen und das „Kapern“ von Anleihegläubigerversammlungen durch Emittenten

Nicht selten werden Stimmrechtsbeschränkungen umgangen, um Mehrheiten zu kapern und die Ergebnisse zu verfälschen. Von Dr. Tobias Moser und Fabian Wirths*

Das Schuldverschreibungsgesetz zieht Grenzen für Stimmrechte, die zwar formal Gläubigern zustehen, tatsächlich aber im Dienste des Emittenten stehen. Nicht selten werden derartige Beschränkungen umgangen, um Mehrheiten zu kapern und die Ergebnisse zu verfälschen. Ein gefährliches Spiel für alle.

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aus BondGuide 09-2024 vom 03. Mai

Stimmrechte in einer Gläubigerversammlung nach dem SchVG

Anleihen sind verbriefte Verträge zwischen dem Emittenten auf der einen und Anleihegläubigern auf der anderen Seite. Will ein Emittent den Inhalt und die Bedingungen einer Anleihe nachträglich verändern, gibt das Schuldverschreibungsgesetz (SchVG) den Mechanismus vor. Vergleichbar zur Hauptversammlung von Aktionären, bildet die Anleihegläubigergesamtheit ihren Willen durch mehrheitlichen Beschluss im Rahmen von Gläubigerversammlungen. Solche Versammlungen können in Präsenz als Gläubigerversammlung oder virtuell als Abstimmung ohne Versammlung stattfinden.

Stimmrechtsbeschränkungen werden auch illegal umgangen

Stimmrechtsbeschränkungen werden zum Teil auch illegal umgangen

Grundsätzlich sind sämtliche Anleihegläubiger berechtigt, an den Gläubigerversammlungen bzw. den Abstimmungen ohne Versammlung teilzunehmen. Um die Willensbildung vor einer Fremdbeeinflussung zu schützen, sieht das SchVG die Beschränkung von Stimmrechten für bestimmte Gruppen von Anleihegläubigern vor, die tatsächlich nicht im Gläubigerinteresse, sondern im Sonderinteresse oder im Interesse der Emittentin handeln. Hier wird häufig das Bild des „Richters in eigener Sache“ bemüht, was verhindert werden soll.

Stimmrechtsverbote und das Ruhen von Stimmrechten

Zum einen ruht das Stimmrecht, solange die Anleihen dem Emittenten selbst oder einem mit ihm verbundenen Unternehmen zustehen oder für Rechnung des Emittenten oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens gehalten werden. Ausgeschlossen sind Umgehungsgeschäfte, sodass Anleihen, deren Stimmrechte ruhen, auch nicht einem anderen zum Zwecke der Ausübung überlassen werden dürfen (§ 6 Abs. 1 Satz 3, 4 SchVG).

Zum anderen verbietet das Gesetz das Gewähren, Anbieten oder Versprechen von Vorteilen dafür, dass eine stimmberechtigte Person nicht oder in einem bestimmten Sinne abstimmt (sog. Stimmenkauf, § 6 Abs. 2 SchVG). Gleiches gilt für den Empfänger solcher Leistungen (Bestechlichkeit/Vorteilsannahme, § 6 Abs. 3 SchVG). Des Weiteren sind ungeschriebene Stimmrechtsverbote anzuerkennen, beispielsweise in Fällen, in denen unter dem Deckmantel der Gläubigerstellung andere Interessen (z.B. aus einer weiteren Gläubigerstellung) überwiegen.

AGV bei Rickmers 2017 als Beispiel einer Gläubigerversammlung

Ruht das Stimmrecht, zählen die betreffenden Schuldverschreibungen bereits nicht zu den ausstehenden Anleihen (§ 15 Abs. 3 Satz 4 SchVG), was Einfluss auf die Beschlussfähigkeit nehmen kann, da die teilnehmenden Gläubiger einen prozentualen Mindestanteil der ausstehenden Anleihen vertreten müssen.

Rechtsfolgen der Teilnahme ruhender Stimmrechte

Nehmen ruhende Stimmrechte trotzdem an der Abstimmung teil oder wird das Stimmrecht entgegen der Verbotsvorschriften ausgeübt, ist die Stimmrechtsausübung unwirksam.

Zwar ist der Versammlungs- bzw. Abstimmungsleiter verpflichtet, die Gesetzmäßigkeit der Stimmabgabe zu kontrollieren, d.h. insbesondere zu überprüfen, ob Stimmrechte ruhen oder entgegen der Verbotsvorschriften ausgeübt werden. Allerdings beschränken sich Versammlungs- bzw. Abstimmungsleiter – gerade auch wenn diese Notare sind – vielfach auf eine sehr formale Prüfung und vertrauen häufig ohne weitere Prüfung den Angaben des Emittenten.

Verstöße gegen die Verbotsvorschriften oder Umgehungsgeschäfte sind sanktionsbewährte Ordnungswidrigkeiten, die mit Geldbußen bis zu hunderttausend Euro geahndet werden (§ 23 Abs. 1, 3 SchVG).

Werden die Stimmen der betreffenden Gläubiger dennoch mitgezählt, sind die Beschlüsse unter diesem Gesichtspunkt anfechtbar. Voraussetzung für eine Anfechtung ist stets, dass (1) das Stimmrecht des Anfechtenden gegen den Beschluss ausgeübt wurde und er (2) formal Widerspruch eingelegt hat. Da Letzterem nur äußerst selten abgeholfen wird, verbleibt somit nur der Weg einer gerichtlichen Anfechtungsklage.

Blick in die Praxis

Trotz der Sanktionen und der klaren Intention des Gesetzgebers gab es in jüngerer Vergangenheit immer wieder Fälle, in denen Emittenten (mehr oder weniger offensichtlich) die Mehrheitsverhältnisse dominierten, indem nahestehende Personen oder verbundene Unternehmen Stimmrechte ausgeübt haben. Dies geschieht etwa durch kurzfristige Veräußerung eigener oder von der Muttergesellschaft gehaltener Anleihen – meist im unmittelbaren Vorfeld einer Gläubigerversammlung – oder durch Veräußerungen der Anteile des Emittenten selbst, so dass dieser nicht mehr mit der die Anleihen haltenden Gesellschaft verbunden ist.

Die Herausforderung für die Anleihegläubiger liegt oft im Nachweis entsprechender Tatsachen, was einer mangelnden Transparenz geschuldet ist, insbesondere wenn internationale Gesellschaftsformen involviert sind oder Emittenten ihren Transparenz- und Ad-Hoc-Pflichten nicht umfassend nachkommen.

Fazit

Dr. Tobias Moser

Das SchVG regelt wichtige Beschränkungen der Stimmrechte im Rahmen von Gläubigerversammlungen, um diese frei von Fremdbeeinflussung zu halten. Eine große Hürde in der Praxis ist die Beweisbarkeit, da Emittenten keine Transparenz zeigen und für außenstehende Gläubiger der Missbrauch selten direkt nachzuweisen ist. Tatsächlich ist es für Gläubiger am wichtigsten, sich zu organisieren und die Beeinflussung bereits auf der Versammlung selbst durch entsprechende Mehrheiten zu verhindern. Genügt dies nicht, sollten alle Indizien gesammelt werden und die Gläubiger bereit sein, sich gerichtlich zu wehren. Vor allem im Gerichtsprozess kann bei Vorliegen von Indizien von Instrumenten wie der prozessualen Beweislastumkehr profitiert werden und eine unberechtigte Beeinflussung aufgedeckt werden.

Fabian Wirths

*) Dr. Tobias Moser ist Partner und Fabian Wirths Associate
bei DMR Rechtsanwälte Moser Degenhart Ressmann PartG mbB, München

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