mwb Kapitalmarkt-Standpunkt: der Schlafwagen

Der Kapitalmarkt-Standpunkt von Kai Jordan, Vorstand der mwb Wertpapierhandelsbank AG. Dieses Mal: Stell Dir vor, es ist Ampel, aber niemand merkt etwas von ihr: Die Ampelphase zeigt unverändert Raute an! Willkommen im Schlafwagen.

Mehr als ein Jahrzehnt galt: Europa kann mit den USA wirtschaftlich mithalten. Auch getragen von der Exportnation Deutschland, das die europäische Lokomotive war. Wir schauen jetzt über den Großen Teich und sehen, dass die amerikanische Wirtschaft um Längen voraus ist. Zusätzlich sehen wir, dass Deutschland nicht mehr die Lokomotive des europäischen Zugs ist, sondern hinten angehängt der Schlafwagen. Eine erschreckende Entwicklung, die auch direkte Auswirkungen auf den Kapitalmarkt hat. Nicht auf die großen, sowieso schon international positionierten Unternehmen – aber deutlich auf Mittelständler, die am Kapitalmarkt präsent sind.

In einer Umfrage im Mai von Statista unter Unternehmensverantwortlichen zur Deindustrialisierung in Deutschland gaben rund 50% an, dass Sie davon ausgehen würden. Eine krasse Zahl, die zeigt, dass immer mehr Unternehmenslenker den Glauben in den Standort Deutschland verlieren. Es liegt auf der Hand: Deutschland hat viele Probleme, die nicht erst in den letzten beiden Jahren unter der Ampel-Regierung ausgelöst worden sind. Deutschland ist im Schlafwagen von Europa beim Thema Digitalisierung. Die Fehler sind in den 16 Jahren vorher in einer anderen Ära gemacht worden. Allerdings kommt aus der Ampel eben wenig Greifbares im Zusammenhang mit der konsequenten Umsetzung der Inhalte des Koalitionsvertrages. Man übt sich in einer Melange aus Streit und ‚Ruhe bewahren‘.

Globalbaustelle Deutschland

Deutschland träumt noch immer vom ‚Made in Germany‘. In der für den Arbeitsmarkt wichtigen – damit auch für jedes Unternehmen wichtigen – Altersklasse zwischen 20 und 34 Jahren verfügen mehr als 16% der Menschen über keinen Schulabschluss. Unbestritten über alle Branchen hinweg existiert ein Facharbeitermangel. Deutschland hat keine gezielte Migrationspolitik, die Menschen ausbildet und noch wichtiger einbindet. Die seit Jahren fortschreitende Schieflage bei der demographischen Entwicklung zeigt vermutlich auch wegen der aus allen Löchern rauchenden sozialen Sicherungssysteme eine kontinuierliche Abstimmung mit den Füßen. Ideen wie eine kapitalgedeckte Aktienrente sind daher dringend zu verfolgen. Aber außer Ansätzen kommt da bisher nichts.

Endlich: der Durchbruch?

Aus dieser trüben Suppe saugen manche Brunnenvergifter Honig und phantasieren nun auch von einem DEXIT. Und ja, man muss an dieser EU ebenfalls viel reformieren. Aber wer eine Exportnation wie Deutschland aus der Allianz ihrer wichtigsten Handelspartner reißen will, der schafft sich erst mit Hochdruck die Enttäuschten, die Perspektiv- und Arbeitslosen, die sodann weitere Stimmen bringen sollen. Wer hier zweifelt, mag seinen Blick über den Ärmelkanal richten oder auch auf die wirtschaftlichen Schäden, die die rechtspopulistische Regierung in Ungarn oder die Erdogans in der Türkei anrichtet.

Unklare Ampelphase: für jeden etwas dabei; Foto: © bluedesign – stock.adobe.com

Und trotzdem – auch erfolgreiche mittelständische Unternehmen wandern aus Deutschland ab. Wir reden nicht von multinationalen Unternehmen, die schon immer dort ihre Zelte aufgeschlagen haben, wo es für sie am besten war. Wir reden hier von tief verwurzelten Unternehmen. Die Manager sehen für ihr Unternehmen in Deutschland nur noch eine begrenzte Zukunft. Hintergrund: Es gibt mittlerweile z.B. in den USA einen regelrechten Förderwettbewerb zwischen den einzelnen Bundesstaaten um deutsche Unternehmen. Hier sind auch genügend Fachkräfte auf dem Markt vorhanden. Es schließt sich der Kreis. Stichwort: Bildungspolitik in Deutschland. Warum interessiert das alles eine deutsche Wertpapierhandelsbank? Es handelt sich um Unternehmen, die im letzten Jahrzehnt mühsam den Kapitalmarkt erobert haben und deren Unternehmensstory sich gerade entscheidend verändert.

Die Auswirkungen sieht man auch am Kapitalmarkt. Hier wollen wir nicht weiter auf Bauchlandungen wie die der türkischen Lira eingehen. Aber auch hier zieht es technologielastige Unternehmen an internationale Börsen, wo sie zum Teil andere Bewertungen erzielen oder kehren sich vom Kapitalmarkt ab. Es braucht weiterhin die Förderung privater Anlage am Kapitalmarkt und hier ist noch vieles zu tun. Denn es sind oft Privatanleger, die in Papiere von KMU-Unternehmen investieren und so Momentum und Liquidität schaffen.

Der ‚normale‘ Mensch, der Privatinvestor, ist momentan verunsichert. Er befürchtet, dass Zinsen und Inflation ihn erwürgen. Aber bis ins Jahr 2008 waren die Zinsen deutlich höher als heute. Das kann es also eigentlich nicht sein. Doch es herrschte eine Art Aufbruchstimmung. Man glaubte an den Standort Deutschland – an die eigenen Fähigkeiten. Es wurde gebaut – für sich selbst und für die Zunft; für seine Kinder. Die Bauindustrie prosperierte bis ins letzte Jahr. Die Unternehmen konnten sich am Kapitalmarkt für ihr Wachstum refinanzieren – über Eigen- oder Fremdkapital. Es war ein gesunder Geldkreislauf, der mit der Finanzkrise abrupt unterbrochen wurde. Viele strukturelle Probleme wurden mit dem billigen Geld der Notenbanken zugekleistert. Und die Politik, die man an ihren Taten messen mag und nicht an spannenden Koalitionsverträgen oder Beschwerden von der Oppositionsbank – diese Politik glaubt offensichtlich heute noch daran, dass man vieles aussitzen kann oder schlecht vorbereitete Experimente durchziehen, ohne die notwendige Fachkunde walten zu lassen. Damit ist es nun vorbei. Die Politik muss raus aus dem Schlafwagen.

Zur mwb

Kai Jordan, mwb

Kai Jordan, mwb

Die mwb fairtrade Wertpapierhandelsbank AG ist ein von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zugelassener Wertpapierdienstleister mit Niederlassungen in Gräfelfing bei München, Hamburg, Hannover, Frankfurt und Berlin. Das Unternehmen wurde 1993 gegründet. 1999 erfolgte der Börsengang. Heute ist die mwb-Aktie (DE000 665610 1) an der Börse München im Segment m:access notiert wie auch im Freiverkehr an den Börsen Berlin, Düsseldorf, Frankfurt (Basic Board), Hamburg und Stuttgart.

Kontakt und weitere Informationen:
mwb Wertpapierhandelsbank AG
Kai Jordan
Kleine Johannisstrasse 4
D-20457 Hamburg
Tel: +49 40-360995-20
E-Mail: kjordan@mwbfairtrade.com

—————————-

! NEU ! Die erste BondGuide Jahresausgabe 2023 ist erschienen: Green & Sustainable Finance 2023 (4. Jg.) kann wie gewohnt kostenlos als e-Magazin oder pdf heruntergeladen werden.

Die Ausgabe 3/2022 Biotechnologie 2022 der Plattform Life Sciences ist erschienen. Die Ausgabe kann bequem als e-Magazin oder pdf durchgeblättert oder heruntergeladen werden.

Bitte nutzen Sie für Fragen und Meinungen Twitter – damit die gesamte Community davon profitiert. Verfolgen Sie alle Diskussionen & News zeitnaher auf Twitter@bondguide !