Kryptowährungen: Bitcoin bleibt Verlustgeschäft

Ohne die vollkommen sinnlosen Kryptowährungen ginge es uns allen besser – wir hätten mehr Geld für Konsum und Investitionen. Von Dieter Wermuth*

Vor wenigen Wochen ist die achte Auflage von Kindlebergers Klassiker „Manias, Panics and Crashes“ erschienen; die erste gab es im Jahr 1978. Nachdem Kindleberger 2003 im Alter von 92 Jahren starb, haben Robert Z. Aliber und Robert N. McCauley die folgenden Auflagen aktualisiert und um neue Themen ergänzt. Robert McCauley ist der Autor des jetzigen Vorworts und der Verfasser eines Kapitels über Kryptowährungen: Er hält sie für eine „Mania“ und das spekulativste „Asset“ der Menschheitsgeschichte, schlimmer als alle Ponzi-Betrügereien.

Leider führt er keinen schlüssigen Beweis und verliert sich zuweilen im Anekdotischen. Der Einbruch des Bitcoin-Kurses um nicht weniger als 75% nach dem Allzeithoch von November 2021 hat die Finanzmärkte und die Realwirtschaft der Welt jedenfalls nicht erkennbar beeindruckt.

Andere Ökonomen wie Willem Buiter, Andrés Velasco oder P. Papsdorf, J. Schaaf und U. Bindseil von der EZB haben zuletzt eher betont, dass Krypto keine echte Alternative zu herkömmlichem Geld ist, sondern ein „Asset“ ohne Substanz, ein System zur raschen Bereicherung von Insidern, ein Universum, in dem Geldwäscher, Drogenhändler und andere dunkle Gestalten ihre Spuren verwischen und nicht zuletzt, wegen des gewaltigen Rechenaufwands, ein Klimakiller sondergleichen.

Da die Risiken nur schwer einzuschätzen sind, frage ich mich, ob es reicht, den Kryptomarkt besser zu regulieren, den Finanzinstituten die Beteiligung zu verbieten oder ob er gleich ganz abgeschafft werden sollte (wenn das überhaupt geht).

Seit Bitcoin, die nach wie vor wichtigste Kryptowährung, im Januar 2009 eingeführt wurde, hatte sich ihr Kurs von unter 1 USD bis zum November 2021 auf etwa 68.000 USD erhöht. Das war der Spitzenwert. In diesen knapp 13 Jahren betrug der durchschnittliche jährliche Wertzuwachs also etwa 185%!

Nichts befeuert eine Hausse so sehr wie die Beobachtung, dass Freunde und Nachbarn auf einmal wie aus dem Nichts reiche Leute werden – da will man mit von der Partie sein. In jenem November 2021 erreichte die Marktkapitalisierung der Bitcoins 1,27 Bio. USD. Ob das viel war oder wenig, ist schwer zu sagen.

Nur um eine Vorstellung von der Größenordnung zu geben: Das nominale Bruttoinlandsprodukt der Welt betrug damals laut Internationalem Währungsfonds etwa 97 Bio. USD, der Marktwert aller handelbaren Aktien nach den Berechnungen der World Federation of Exchanges 124 Bio. USD. Beim Konkurs der Investment Bank Lehman Brothers mit einer Bilanzsumme von 639 Mrd. USD im Jahr 2008 reichte schon ein halb so großer Betrag für die Auslösung der größten globalen Finanzkrise und der tiefsten Rezession der Nachkriegszeit.

Wie eingangs erwähnt, hat der folgende Einbruch des Bitcoin-Kurses bis Ende 2022 um etwa 75% keine größeren Schäden angerichtet, außer vermutlich bei denen, die die Kryptowährung auf Kredit gekauft hatten. Den Meisten scheint klar gewesen zu sein, dass sie es mit einer hochspekulativen Anlage zu tun hatten und es daher vermieden, Haus und Hof darauf zu wetten. Der Marktcrash hat jedenfalls nicht zu einem gefährlichen Anstieg der Konkurse bei Unternehmen und Haushalten geführt, oder zu einer neuen Bankenkrise.

Bitcoin war mit dem Versprechen eingeführt worden, ein besseres, ein wertstabileres Geld zu sein im Vergleich zu dem, was sonst so an Zahlungsmitteln im Umlauf ist, und es sei wegen des von vornherein begrenzten Angebots dauerhaft nicht entwertbar. Die neue Währung komme ohne Zentralbanker aus, die regelmäßig auf Verlangen von Regierungen neues Geld zu drucken pflegen und dadurch den gesamten Geldbestand entwerten. Diese Story hat sich als grobe Täuschung herausgestellt.

Geld hat drei wesentliche Funktionen: als Zahlungsmittel, Recheneinheit und Vermögensspeicher. Ich kann im Supermarkt nicht mit meiner Bitcoin-Kreditkarte an die Kasse gehen und bezahlen. Noch akzeptiert das Finanzamt, dass ich meine Steuern mit einer Überweisung von Bitcoins begleiche. Auch lautet mein gesamtes Einkommen auf Euro.

Zudem sind Überweisungen von einem Kryptokonto zum nächsten im Vergleich zu dem, an was wir uns bei unseren üblichen Euro-Konten gewöhnt haben, bisher jedenfalls sehr teuer und sehr langsam. Ein weiterer Nachteil ist das wilde Auf und Ab der Kaufkraft von Bitcoins. Während die EZB oder die FED in einem schlechten Jahr beim Euro oder US-Dollar einen Wertverlust von 10% hinnehmen müssen (also eine Inflation der Verbraucherpreise von 10%), kann das bei Kryptowährungen an einem einzigen Tag passieren.

Am wenigsten eignet sich Bitcoin als Wertspeicher. Es handelt sich de facto um eine ewige Rente ohne jegliche Zinszahlungen und ohne die Zusage, irgendwann den Einstandspreis oder Nennwert wiederzubekommen. Daher ist es auch vollkommen unmöglich, einen ‚fairen‘ Preis zu berechnen. Bitcoins haben einen Wert, weil es am Markt Leute gibt, die glauben, dass sie morgen mehr wert sein werden – und basieren also auf nichts anderem als Spekulation.

Jeder Kurs ist gewissermaßen ein Gleichgewichtskurs. Wenn sich der Eindruck festsetzt, dass der Kurs nicht mehr steigen wird, ist die betreffende Kryptowährung am Ende: Sie verschwindet einfach. Wie schnell sich die Kurserwartungen ändern können, lässt sich beispielsweise an der Volatilität ablesen. Da ist nichts von der angeblich überlegenen Stabilität zu erkennen, egal ob man den Kursverlauf mit dem von Gold, Aktienindices, Geldmarktinstrumenten oder den wichtigsten Wechselkursen vergleicht – die Kursausschläge von Bitcoin sind in jedem einzelnen Fall deutlich erratischer.

Am Kryptomarkt gibt es Gewinner und Verlierer. Gewinner sind vor allem die Produzenten (die „Miner“) und frühen Käufer der Bitcoins (und anderer Kryptowährungen), die ihre Positionen in der Zeit bis November 2021 aufbauten und hielten. Viele von ihnen sind Milliardäre geworden. Verlierer sind dagegen Anleger, die erst spät in den Markt eingestiegen sind: Sie haben sich von den extrem hohen Kursgewinnen blenden lassen und durch ihre Bitcoin-Käufe die anderen (die Verkäufer) reich gemacht. Insofern handelt es sich um ein Nullsummenspiel.

Insgesamt aber ist es ein Minusgeschäft, da nicht erkennbar ist, dass die Kryptowährungen zu einer Beschleunigung des Produktivitätswachstums und des allgemeinen Wohlstands beigetragen haben. Andererseits aber haben sie erhebliche Kosten verursacht – und verursachen sie noch. Dazu gehören die sozial unerwünschte Verschiebung der globalen Vermögensverteilung zugunsten der Produzenten der Kryptowährungen, die Einkommen der Akteure in diesem Bereich, in Banken und bei Vermögensverwaltern, die Kosten, die der Allgemeinheit durch Geldwäsche und Steuerflucht entstehen sowie die außerordentlich teuren und klimaschädlichen IT-Systeme.

Dieter Wermuth


Ohne die vollkommen sinnlosen Kryptowährungen ginge es uns allen besser
– wir hätten mehr Geld für Konsum und Investitionen.

*) Dieter Wermuth ist Economist und Partner bei Wermuth Asset Management

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