Gewinnerwartungen: guter Zeitpunkt, die eigenen Hypothesen zu prüfen

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Unter dem Strich zählen die Gewinnerwartungen – die kommen jedoch gerade unter Druck, da höhere Fremdkapitalkosten häufig zu lange ignoriert werden. Von Robert M. Almeida Jr.*

Die Finanzmärkte senden uneinheitliche Signale aus. Der US-Treasury-Markt, dessen Zinsstrukturkurve durchweg invertiert ist, signalisiert ein erhebliches Rezessionsrisiko, während die Aktienmärkte nur eine kleine Wachstumspause widerspiegeln. Zugleich lassen Frühindikatoren wie die strafferen Kreditbedingungen für Unternehmen, die steigende Zahl der Konkurse und rückläufige Wohnimmobilienpreise darauf schließen, dass sich Konjunktur und Finanzlage verschlechtern. Wie sollen Investoren reagieren?

Frühindikatoren sind manchmal Zufallsergebnisse und können falsch-negative Signale geben. Außerdem sollten wir Goodharts Gesetz nicht vergessen. Es postuliert, dass ein Indikator häufig an Prognosefähigkeit verliert, wenn alle auf ihn achten. Da ich kein Volkswirt bin, konzentriere ich mich stattdessen lieber auf die Sorglosigkeit der Aktienmarktteilnehmer und darauf, warum sich Investoren Gedanken machen sollten.

Am Ende achten Aktieninvestoren immer nur auf Eines: die künftigen Gewinne. Um sie einzuschätzen, treffen sie Annahmen zu Konjunktur, Kapitalkosten, Steuersätzen, Produktionskosten, Preismacht und Dutzenden anderer gesamtwirtschaftlicher und fundamentaler Faktoren. Dabei setzen die einzelnen Investoren- und Unternehmenstypen unterschiedliche Prioritäten, weil für sie, abhängig von ihrer Situation, bestimmte Dinge besonders relevant sind und andere hingegen gar nicht. Am Ende stehen aber immer die Gewinnerwartungen.

Betrachtet man sich die Gewinnerwartungen für die Unternehmen des S&P 500 Index in Marktabschwüngen, so fällt auf: Obgleich vor den meisten Rezessionen die Konjunkturdaten oder die Entwicklungen am Anleihemarkt zur Vorsicht gemahnt haben, sind die Aktienkurse erst gefallen, als die Rezessionsrisiken nicht mehr zu übersehen waren. Üblicherweise fallen Aktien in der Spätphase eines Zyklus in einen tiefen Schlaf, um erst nach allen anderen Assetklassen wieder aufzuwachen. Aber dann starten sie durch.

Quelle: Financial Times

Verfall der Investmentthese

In der Regel filtern Investoren in der Spätphase eines Zyklus alle Informationen heraus, die nicht ihrer zuversichtlichen Investmentthese entsprechen. Dann wird aus einem möglicherweise gut durchdachten Investment eine Spekulation, weil die Hoffnung auf einen Gewinn die Investoren dazu bringt, die sich häufenden Warnsignale zu ignorieren.

Eines dieser zurzeit ignorierten Signale sind die Folgen der steigenden Kapitalkosten. Die Zinsen zeigen, inwieweit die Menschen den aktuellen Konsum dem künftigen vorziehen. Für Sparer sind sie die Belohnung für den Verzicht auf Konsum. Für Schuldner sind sie der Preis für sofortigen Konsum. Die Belohnungen der Sparer und der Preis, den Schuldner zahlen müssen, sind 2022 sprunghaft gestiegen und steigen womöglich noch weiter. Unabhängig davon kommt es jetzt aber darauf an, welchen Einfluss die Finanzierungskosten, ein wesentlicher Aspekt für die Finanzen, auf die künftigen Gewinne haben. Etwa ein Drittel der US-Unternehmensschulden ist kurzfristig. Damit ist ihr Anteil so hoch wie zuletzt vor der internationalen Finanzkrise.

Foto: © m.mphoto – stock.adobe.com

Ein großer Teil der Unternehmensschulden muss bald zu erheblich höheren Zinsen refinanziert werden, sodass die Zinsausgaben steigen und die künftigen Gewinne sinken.

Was unsere Bedenken wegen des deutlichen Anstiegs der Unternehmensschulden etwas dämpft ist, dass die Verschuldungsquoten angesichts der in der Vergangenheit erzielten Gewinne nicht zu hoch sind. Aber wir glauben nicht, dass dies die richtige Perspektive ist, vor allem in der Spätphase eines Zyklus. In letzter Zeit waren die Gewinne dank der COVID-Hilfsprogramme, der niedrigen Zinsen und des kräftigen Anlaufens der Wirtschaft nach der Pandemie ungewöhnlich hoch, aber all dies ist jetzt vorbei. Aus unserer Sicht kommt es nicht darauf an, wie hoch die Verschuldungsgrade heute sind, sondern darauf, wie sie aussehen, wenn die Gewinne unter Druck geraten.

Robert M. Almeida, MFS

2006 und 2007 hatten die Anleiheanalysten von MFS darauf geachtet, dass ihre Aktienkollegen bei ihren Prognosen die höheren Fremdkapitalkosten berücksichtigen und ihre Cashflow-Modelle prüfen. Auch deshalb haben sich damals viele unserer Aktienstrategien überdurchschnittlich entwickelt. Zwar ist das Umfeld heute ein anderes, aber dennoch könnte jetzt wieder ein guter Zeitpunkt für Investoren sein, ihre Modelle zu prüfen.

*) Robert M. Almeida Jr. ist Globaler Investment Stratege und Portfoliomanager bei MFS Investment Management

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