Geopolitische Zwänge übertrumpfen wirtschaftliche Logik – Teil I

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Geopolitische Erwägungen beeinflussen die Anlagerenditen sowohl direkt als auch indirekt über ihren Einfluss auf die politische Richtung in betroffenen Ländern. Von Kim Catechis*

Geopolitische Spannungen scheinen sich nur sehr langsam zu entwickeln und haben kaum unmittelbare Auswirkungen auf die Kapitalmärkte. Diese Ansicht schien bis vor etwa einem Jahrzehnt gerechtfertigt. Die Realität sieht so aus, dass die Rivalitäten zwischen den Großmächten, die zu einer Eskalation des geopolitischen Drucks führen, ebenso wie der Klimawandel inzwischen unmittelbar, direkt und global sind, aber in ihrer Intensität ungleichmäßig.

Die politische Richtung wiederum bestimmt den Kurs der wirtschaftlichen Entwicklung. In der Vergangenheit haben die Regierungen versucht, ihre Volkswirtschaften vor der ‚Strafe‘ zu schützen, die sich aus der Aggression großer Handelspartner ergibt. Dieser Ansatz wird zunehmend als überholt und unhaltbar empfunden. Die Akzeptanz der neuen Situation zeigt sich in der Politik der Regierungen – Sanktionen, Handelsschranken, Zölle und Abbau kultureller und diplomatischer Verbindungen –, die den Kapitaltransfer erschweren und die Freizügigkeit zwischen den Ländern einschränken. All diese Maßnahmen schränken die Unternehmen des Privatsektors ein und begrenzen letztendlich das Gewinnwachstumspotenzial. Geopolitische Zwänge übertrumpfen die wirtschaftliche Logik. Was sind die Schlussfolgerungen daraus?

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Erstens: Wer sind die Gewinner?

In diesem Umfeld glauben wir, dass eine Gruppe von Gewinnern diejenigen Länder sein werden, die von der Neukalibrierung der Lieferketten profitieren könnten. Dazu zählen etablierte Länder wie Mexiko, wo die Lohnstückkosten relativ niedrig sind, die Verkehrsinfrastruktur gut ist und es einen großen Pool an erfahrenen Maquiladora-Arbeitskräften sowie agile Unternehmen gibt, die sich schnell an die Anforderungen anpassen können.

Ebenfalls dazu gehören Länder, die einen bedeutenden Zugang zu bestimmten Rohstoffen haben, die für Halbleiter oder Batterien für Elektrofahrzeuge wichtig sind, und die in der Lage sind, eine stabile Basis für die Herstellung oder Verarbeitung zu bieten. Auch Mexiko profitiert hier, da es über wertvolle Ressourcen verfügt. Das United States Government Accountability Office (USGAO) hat eine Liste ‚kritischer‘ Mineralien zusammengestellt. Mexiko gehört bei 14 dieser Mineralien zu den drei wichtigsten Lieferanten und hat das Potenzial, weitere zu liefern, z.B. Lithium (EV-Batterien), Wismut (Pharmazeutika), Graphit (Halbleiter), Blei und Selen – die letzten drei sind besonders wertvoll, da sie Lieferungen aus China ersetzen können.

Ein weiterer offensichtlicher Anwärter auf der Gewinnerseite wäre aus unserer Sicht Indonesien, das den zusätzlichen Vorteil eines bedeutenden Verbrauchermarktes und einer strategischen Lage im Verband Südostasiatischer Nationen (ASEAN) hat. Jakarta hat eine zusätzliche Anziehungskraft für ausländische Investoren – es hat mit 275 Mio. Einwohnern die viertgrößte Bevölkerung der Welt. Dies bedeutet, dass die Stadt für ausländische Direktinvestitionen attraktiv ist, da der Verbrauchermarkt schnell wächst. Darüber hinaus macht die Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen fast 16% der Bevölkerung aus, so dass es eine demografische Dividende gibt.

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Auf Unternehmens- und Sektorebene sind diejenigen Unternehmen, die bestehende und vorrangige Defizite bei spezialisierten Infrastrukturen beheben können, eindeutig in einer privilegierten Position. Der Bau von LNG-Terminals, Kurzstrecken-Pipelines und die Modernisierung von Industriemaschinen zur Steigerung der Energieeffizienz sind einige Beispiele. Zusammen mit dieser Gruppe sind sie die Enabler oder Nutznießer einer Beschleunigung der grünen Energiewende. Gemeinsam könnten diese Unternehmen unserer Analyse zufolge das Wirtschaftswachstum ankurbeln und die Grundlage für längerfristige Struktur- und Produktivitätsverbesserungen schaffen.

In jedem Fall werden die Rüstungsunternehmen im kommenden Jahrzehnt davon profitieren. Das liegt zum Teil an den Lehren aus dem Russland-Ukraine-Krieg. In großen Landkriegen werden enorme Mengen an normaler Munition verbraucht, und der Einsatz von relativ ‚dummer‘ Munition oder einfachen Drohnen kann immer noch sehr effektiv sein. Diese Wirksamkeit liegt zum Teil in ihrer Zerstörungskraft, aber auch in den wirtschaftlichen Aspekten des Krieges. Eine effektive Flugabwehr- und Raketenabwehrbatterie verwendet extrem teure Munition, um sehr billige Drohnen zu stoppen. All dies hat Auswirkungen darauf, wie der Beschaffungs- und Planungsprozess der NATO organisiert ist und wie Kriege in Zukunft wahrscheinlich geführt werden. Und für die am militärisch-industriellen Komplex beteiligten Unternehmen wird die oberste Priorität wahrscheinlich darin bestehen, in Kapazitätserweiterungen zu investieren, was noch mehr Spielraum für ein Umsatzwachstum im Teilsektor der Spezialtechnik bietet.

Bei den Rohstoffen sind die eindeutigen Nutznießer die ‚guten‘ Produzenten, da ihr Kundenstamm über 60% des weltweiten BIP ausmacht. Es ist jedoch möglich, dass einige ‚neutrale‘ Produzenten zu den ‚guten‘ Produzenten abwandern, um von dem geringeren Wettbewerbsdruck zu profitieren, da die ‚schlechten‘ Produzenten von lukrativen Märkten ausgeschlossen werden.

Kim Catechis

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Weiter zu Teil III: Jetzt ist alles anders

*) Kim Catechis ist Investment-Stratege beim Franklin Templeton Institut

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