
Schon lange vor der Einführung möglicher virtueller Haupt- und Gesellschafterversammlungen im Zuge der Corona-Pandemie hatte der Gesetzgeber im Schuldverschreibungsgesetz (SchVG) erstmals und bis dahin ohne gesetzliches Vorbild geregelt, dass Anleihegläubiger Beschlüsse fassen können, ohne dass hierzu eine Gläubigerversammlung stattfinden muss. Von Dr. Lutz Pospiech
>>Law Corner aus BondGuide 16/2025 (08. Aug.)<<
In der Praxis wird auch diese Art der Beschlussfassung regelmäßig gewählt. Doch insbesondere in Restrukturierungssituationen werden Abstimmungen ohne Versammlung dem erhöhten Informations- und Diskussionsbedürfnis der Anleihegläubiger mitunter nicht gerecht.
Gesetzliche Grundlagen
Nach § 5 VI SchVG beschließen Anleihegläubiger entweder in einer Gläubigerversammlung oder im Wege einer Abstimmung ohne Versammlung. In den Anleihebedingungen können ausschließlich eine der beiden oder auch beide Beschlussformen alternativ vorgesehen werden. Durch die Regelung der Abstimmung ohne Versammlung in § 18 SchVG wollte der Gesetzgeber ein Verfahren schaffen, um unnötigen Kosten- und Zeitaufwand für den einzelnen Anleihegläubiger und den Emittenten zu vermeiden. Anleihegläubiger können hiernach in einem Abstimmungszeitraum von mindestens 72 Stunden ihre Stimmabgabe in Textform (also auch per E-Mail) an den Abstimmungsleiter übersenden.
Abstimmungsleiter ist ein vom Emittenten beauftragter Notar (oder ggf. der gemeinsame Vertreter der Gläubiger, sofern ein solcher bereits bestellt ist). Auch für die Abstimmung ohne Versammlung gilt das Beschlussfähigkeitsquorum i.H.v. 50% der ausstehenden Schuldverschreibungen. Im Falle einer beschlussunfähigen Abstimmung ohne Versammlung kann der Abstimmungsleiter eine zweite Abstimmung zum Zwecke der erneuten Beschlussfassung einberufen; diese hat zwingend im Rahmen einer physischen Versammlung zu erfolgen (§ 18 IV 2 SchVG). Der Abstimmungsleiter als Einberufender hat in dieser Präsenzversammlung, die als zweite AGV mit herabgesetzten Beschlussfähigkeitsquoren gilt, die Versammlungsleitung zu übernehmen.
Anleihen für institutionelle Anleger vs. Publikumsanleihen
In bestimmten Konstellationen ist die Beschlussform der Abstimmung ohne Versammlung sehr geeignet für die Anleihegläubiger und führt für den Emittenten und die Anleihegläubiger zu nicht unerheblichen Kosten- und Zeitersparnissen. Dies gilt beispielsweise für Anleihen, die von nur wenigen institutionellen Anlegern gehalten werden. Zu institutionellen Anlegern kann ein Emittent häufig bereits im Vorfeld einer Abstimmung ohne Versammlung Kontakt aufnehmen, um gemeinsam Lösungskonzepte und konkrete Beschlussvorschläge zu entwickeln.
Anders sieht es hingegen oftmals bei breit gestreuten Publikumsanleihen aus. Trotz möglicher Kosten- und Zeitersparnisse der Abstimmung ohne Versammlung kann es bei Publikumsanleihen vorzugswürdig sein, eine Gläubigerversammlung einzuberufen. Nur im Rahmen einer Versammlung können die zahlreichen Anleihegläubiger bestmöglich eingebunden werden.
Erschwerte Einbindung der Anleihegläubiger
In Abstimmungen ohne Versammlung haben insoweit einen entscheidenden Nachteil: Da keine physische Versammlung stattfindet, kann der Emittent die Macht des Wortes nicht nutzen! Er hat abgesehen von der Aufforderung zur Stimmabgabe und einzelnen weiteren Veröffentlichungen (Corporate News, Pressemitteilungen, FAQs) keine Kommunikationsmöglichkeiten, um Anleihegläubiger direkt zu erreichen und anzusprechen.
Es fehlt die Möglichkeit der Geschäftsleitung des Emittenten, (i) sich im Rahmen einer Versammlung persönlich an die Anleihegläubiger zu wenden, (ii) für die Zustimmung zu den vorgeschlagenen Beschlussgegenständen zu werben und (iii) sich in einer Generaldebatte ausführlich den Fragen der Anleihegläubiger zu stellen. Verwehrt bleibt bei einer Abstimmung ohne Versammlung auch die Möglichkeit, nach intensiv geführter Diskussion gemeinsam eine konsensuale, mehrheitsfähige Lösung zu entwickeln.
Gerade in Restrukturierungssituationen hat es sich in der Praxis als vorteilhaft erwiesen, die Anleihegläubiger im Rahmen einer Gläubigerversammlung transparent und umfassend über den Stand der Sanierung zu informieren und ihnen ein Diskussionsforum anzubieten. So konnten die Anleihegläubiger aktiv in den Restrukturierungsprozess eingebunden werden und aufgrund vollumfänglicher Informationen über die Zustimmung zu den Beschlussvorschlägen entscheiden.
Sofern die Anleihegläubiger über die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters beschließen sollen, gibt es in einer Abstimmung ohne Versammlung für die vorgeschlagenen Kandidaten keine Möglichkeit, sich den Anleihegläubiger persönlich vorzustellen und Fragen zu beantworten.
Fazit
In bestimmten Konstellationen eignet sich die Abstimmung ohne Versammlung und bedeutet für den Emittenten und die Anleihegläubiger deutliche Kosten- und Zeitersparnisse. Bereits bei Emission einer Anleihe ist aber darauf zu achten, in den Anleihebedingungen nicht nur die Abstimmung ohne Versammlung als Beschlussform der Gläubiger zu regeln. Vorzugswürdig ist vielmehr, dass in den Bedingungen alternativ beide Beschlussformen vorgesehen werden. Nur so kann ein Emittent im Einzelwahl und mit Blick auf den konkreten Informations- und Diskussionsbedarf flexibel entscheiden, ob die Anleihegläubiger in einer Versammlung oder im Wege der Abstimmung ohne Versammlung beschließen sollen.
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