
>> aus BondGuide #14-2025 vom 11. Juli <<
Die Frage der Ortswahl stellt sich im Kontext von Gläubigerversammlungen in vielerlei Hinsicht. Hierzu gehören etwa die Festlegung des Versammlungsortes, die Wahl eines Notars für erforderliche notarielle Tätigkeiten vor Ort, aber auch die Auswahl des örtlich zuständigen Gerichts im Falle von streitigen Auseinandersetzungen und Beschlussanfechtungsklagen. Die Law Corner von Dr. Tobias Moser, Partner, und Dr. Fabian Wirths, Associate, beide DMR-Rechtsanwälte Moser Degenhart Ressmann PartG mbB, München
Das Gesetz über Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen (SchVG) gibt in mehreren Vorschriften Hinweise darauf, wie sich diese Frage in Abhängigkeit vom Sitz des Emittenten gestaltet. Dabei stellen sich Fragen der ‚Örtlichkeit‘ gerade nicht nur bei deutschen Emittenten, sondern insbesondere auch bei Gesellschaften mit Sitz im EU-Ausland oder in Drittstaaten, die ihre Anleihen deutschem Recht unterwerfen.
1. Emittent mit Sitz in Deutschland
Bei Emittenten mit Sitz im Inland ist die Lage vergleichsweise unkompliziert:
Was den Ort der Gläubigerversammlung anbelangt, muss zunächst einmal danach unterschieden werden, ob es sich um eine Präsenzversammlung oder eine Abstimmung ohne Versammlung handelt: Für Präsenzversammlungen regelt § 11 Abs. 1 S. 1 SchVG, dass die Versammlung am Sitz des Emittenten im Inland stattfinden ‚soll‘, lässt aber auch Abweichungen zu, wenn diese gerechtfertigt sind. Hierfür spielen etwa Faktoren wie die Verfügbarkeit von Räumlichkeiten vor Ort, die organisatorische Handhabbarkeit und die verkehrstechnische Erreichbarkeit eine zentrale Rolle.
Daneben erlaubt § 11 Abs. 1 S. 2 SchVG bei Anleihen, die zum Handel an einer Wertpapierbörse zugelassen sind, auch eine Versammlung am Sitz dieser Wertpapierbörse, und zwar innerhalb der gesamten Europäischen Union oder des EWR-Wirtschaftsraums. Insbesondere bei multiplen Börsenzulassungen haben Emittenten also einen Spielraum, müssen aber den Interessen der Gläubiger gerecht werden und einen Ort wählen, der für die Gläubiger erreichbar und zumutbar ist.
Abstimmungen ohne Versammlung hingegen funktionieren per Fernkommunikation (z.B. E-Mail, Brief, Fax), so dass diese – technisch gesehen – am Ort des sog. Abstimmungsleiters stattfinden. In aller Regel übernimmt diese Funktion ein Notar, der die eingereichten Stimmabgaben und Nachweise prüft, ein Verzeichnis der stimmberechtigten Gläubiger erstellt und schließlich das Abstimmungsergebnis feststellt.
Hinsichtlich der Notarwahl sind jedoch einige Besonderheiten, auch mit Blick auf das für Notare einschlägige Berufsrecht, zu beachten: In Präsenzversammlungen gefasste Beschlüsse bedürfen zu ihrer Gültigkeit einer notariellen Beurkundung (§ 16 Abs. 3 SchVG). Auch Beschlüsse in einer Abstimmung ohne Versammlung sind in eine entsprechende Niederschrift aufzunehmen (§ 18 Abs. 4 S. 3 SchVG), die vom Abstimmungsleiter gefertigt wird.
Da ein deutscher Notar Beurkundungen aber grundsätzlich nur innerhalb des ihm zugewiesenen Amtsbezirks vornehmen kann und darf (§§ 10, 11 BnotO), können sich daraus Restriktionen bei der Auswahl eines Notars ergeben. Wird in der Abstimmung ohne Versammlung nämlich – was häufig der Fall ist – keine Beschlussfähigkeit erreicht und deshalb zu einer zweiten Versammlung geladen, muss diese zwingend als Präsenzversammlung abgehalten werden.
Als ‚der Einberufende‘ muss der Notar dann den Vorsitz in der Präsenzversammlung übernehmen (§§ 15 Abs. 1, 18 Abs. 4 SchVG). Findet die Versammlung jedoch außerhalb des Amtssitzes statt, darf der Notar keine Beurkundungen vornehmen. In solchen Fällen muss ein lokaler Kollege hinzugezogen werden, der die Beurkundungsaufgabe übernimmt. Vor dem Hintergrund solcher Fallstricke empfiehlt es sich, sich frühzeitig mit der Auswahl des Versammlungsorts und des Notars auseinanderzusetzen und beides vorausschauend zu planen. Es kann sinnvoll sein, von Anfang an einen Notar am geplanten Versammlungsort zu wählen, der sowohl die Abstimmungsleitung als auch die Beurkundungen übernehmen kann, um ggf. Mehraufwand zu sparen.
2. Emittent mit Sitz in einem EU-Mitgliedstaat oder Drittstaat (Nicht-EU)
Auch Emittenten mit Sitz in einem anderen EU-Staat oder außerhalb der EU können Anleihen nach deutschem Recht begeben, was die Frage nach dem richtigen Ort erneut verschärft:
§ 11 Satz 1 SchVG findet nach seinem eindeutigen Wortlaut auf Emittenten mit Auslandsbezug keine Anwendung. Zwar bleibt die Bestimmung des § 48 Abs. 2 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) unberührt und weiterhin anwendbar (vgl. § 11 Satz 3 SchVG). Danach können Emittenten Gläubigerversammlungen in einem nach billigem Ermessen ausgewählten Mitgliedstaat der Europäischen Union oder sonstigen EWR-Vertragsstaat abhalten. Allerdings beschränkt sich diese Norm ebenfalls auf Emittenten, deren Herkunftsstaat die Bundesrepublik Deutschland ist und zudem auf solche Wertpapiere, die einer bestimmten Mindeststückelung von 100 TEUR unterliegen.
Teilweise wird deshalb die Ansicht vertreten, dass es an einer gesetzlichen Regelung fehle und eine Wahlfreiheit bestehe, so dass Emittenten den Ort frei nach billigem Ermessen bestimmen können – wiederum unter dem Vorbehalt der Erreichbarkeit und Zumutbarkeit für die Gläubiger. Andere Stimmen sprechen sich hingegen für eine Anwendung von § 11 Satz 2 SchVG aus, der gerade keine Einschränkungen in Bezug auf den Sitz des Emittenten beinhaltet. Danach können Gläubigerversammlungen bei Anleihen, die an einer Börse zugelassen sind, deren Sitz innerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder der anderen Vertragsstaaten des EWR ist, am Sitz dieser Wertpapierbörsen stattfinden.
In Bezug auf die Zuständigkeit für Anfechtungsklagen (dazu sogleich unter 3.) hat sich der Gesetzgeber bei Emittenten mit Auslandsbezug für eine ausschließliche Zuständigkeit der Frankfurter Gerichte entschieden. Dies würde wiederum dafür sprechen, Frankfurt auch als zentralen Versammlungsort in solchen Fällen heranzuziehen.
Die Einzelheiten zur Bestimmung des Versammlungsorts bei im Ausland ansässigen Emittenten sind nicht unumstritten. Fehler bei der Festlegung des Versammlungsortes sind jedoch nicht nur formaler Natur, sondern können gegebenenfalls zu einer Anfechtbarkeit der Beschlüsse führen. Initiatoren von Versammlungen sind daher gut beraten, die Entscheidung über den Ort gründlich zu prüfen und fachlich begleiten zu lassen.
Auch die Verpflichtungen zur Beurkundung bzw. Niederschrift müssen in dieser Konstellation beachtet werden. Finden Versammlungen im Inland statt, fallen Beurkundungen in die Zuständigkeit der Notare (§ 20 BnotO). Relevant bleibt daher eine frühzeitige Auswahl eines geeigneten Notars, idealerweise am Ort der geplanten Versammlung. Bei einer Gläubigerversammlung im Ausland muss eine Niederschrift gewährleistet sein, die der Niederschrift durch einen Notar ‚gleichwertig‘ ist (§ 16 Abs. 3 Satz 2 Hs. 2 SchVG). Auch das hat eine Einzelfallbetrachtung zur Folge, die vom jeweiligen Ort, den nationalen Bestimmungen und der Qualifikation der Urkundsperson abhängt.
3. Zuständigkeit für Anfechtungsklagen
Schließlich können sich Fragen zur Zuständigkeit auch aus Gläubigersicht stellen, wenn es darum geht, gegen formelle und materielle Beschlussfehler vorzugehen. Instrument hierfür ist die Anfechtungsklage. Für Emittenten mit Sitz im Inland bestimmt das SchVG für Anfechtungsklagen die ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts, in dessen Bezirk der jeweilige Emittent seinen Sitz hat (§ 20 Abs. 3 SchVG). Bei nicht-inländisch ansässigen Emittenten gilt hingegen eine generelle und ausschließliche Zuständigkeit des Landgerichts Frankfurt – unabhängig davon, ob der Emittent seinen Sitz innerhalb oder außerhalb der EU hat (§ 20 Abs. 3 S. 2 SchVG). Diese Regelung schafft Rechtssicherheit für alle Beteiligten, da der Gerichtsstand bereits objektiv feststeht.
Fazit
Die Frage des ‚Ortes‘ nach dem SchVG ist keineswegs nur technischer Natur. Die Wahl des Versammlungsortes unterliegt – abhängig vom Sitz des Emittenten – unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen. Sie entscheidet mitunter darüber, ob Gläubigerversammlungen ordnungsgemäß durchgeführt, Beschlüsse wirksam gefasst und Streitigkeiten effizient vermieden werden können.
Der Versammlungsort sollte nach den rechtlichen Anforderungen, der Gläubiger- und Infrastruktur gewählt werden – Frankfurt bleibt in vielen Fällen der pragmatische Standard, der in vielen, aber nicht allen Fällen, möglich ist. Die Thematik sollte insbesondere bei Emittenten mit Auslandsbezug frühzeitig adressiert werden. Vor allem bei der Organisation der Versammlung(en) und bei der Auswahl des Notars ist rechtzeitig zu prüfen, ob eine ortsgebundene Beurkundung erforderlich ist. Eventuell lassen sich bereits in den Anleihebedingungen geeignete Festlegungen zum Versammlungsort treffen.
Im Zweifelsfall sollten die Verantwortlichen – insbesondere Emittenten und einberufende Anleihegläubiger – frühzeitig qualifizierten rechtlichen Rat einholen, um Risiken zu minimieren und Verfahrenssicherheit zu gewährleisten.