Fünf Gründe, warum sich der neutrale Zinssatz nach oben verschiebt

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Gareth Colesmith, Head of Global Rates and Macro Research bei Insight Investment zählt in seinem aktuellen Marktkommentar fünf Gründe auf, warum sich der neutrale Zinssatz nach oben verschoben hat:

Unserer Ansicht nach hat sich der neutrale Zinssatz, d.h. das Niveau der Realzinsen, bei dem die Zentralbankpolitik das Wirtschaftswachstum weder stimuliert noch einschränkt, nach oben bewegt und wird in den kommenden Jahren weiter steigen. Wir glauben, dass dies durch fünf Schlüsselfaktoren bedingt ist:

Deglobalisierung: Nachdem die Globalisierung jahrzehntelang eine der wichtigsten Ursachen für die Disinflation war, kehrt sie sich nun um und übt einen Aufwärtsdruck auf die Inflation und den neutralen Zinssatz aus.

Demografische Entwicklung: Da sich das Wachstum der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter verlangsamt, kann eine Verknappung der Arbeitskräfte zu höheren Löhnen und Investitionen führen. Wir glauben, dass dies wichtiger sein wird als die Auswirkungen eines langsameren Trendwachstums und den neutralen Zinssatz nach oben drückt.

Die Volatilität der Inflation führt zu höheren Risikoprämien: Wenn die Inflation volatil ist, können die Märkte höhere Risikoprämien für risikoarme Vermögenswerte wie Staatsanleihen verlangen, um sicherzustellen, dass sie positive reale Renditen erwirtschaften. Dadurch wird der neutrale Zinssatz nach oben getrieben.

Klima-Investitionen: Viele Länder haben sich verpflichtet, ihre Volkswirtschaften in den nächsten 30 Jahren zu dekarbonisieren, um das Ziel von Netto-Null-Emissionen bis 2050 zu erreichen. Wir glauben, dass ein höherer neutraler Zinssatz erforderlich sein wird, um genügend Kapital für diese Investitionen anzuziehen.

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Produktivität und künstliche Intelligenz: Die Produktivität hat sich in den letzten Jahrzehnten erheblich verlangsamt, aber es herrscht die Meinung vor, dass künstliche Intelligenz zu einem neuen Produktivitätsboom führen könnte. Obwohl wir skeptisch sind, was den Nutzen angeht, und vorsichtig, was den Zeitrahmen angeht, ist es wahrscheinlich, dass sie zumindest eine marginale Auswirkung haben wird und den neutralen Zinssatz nach oben drückt.

Ein höherer neutraler Zinssatz bedeutet eine Ausweitung der geldpolitischen Handlungsspielräume
Wenn sich der neutrale Zinssatz, wie wir glauben, nach oben verschoben hat, dann werden die Zentralbanken die Zinssätze in einer höheren Spanne halten, als wir es seit der globalen Finanzkrise erlebt haben. Obwohl die Zentralbanken die Zinssätze im Jahr 2024 nach unten korrigieren könnten, halten wir das Potenzial für eine geldpolitische Lockerung für begrenzt, da ein höherer neutraler Zinssatz bedeutet, dass die Politik derzeit nicht so restriktiv ist, wie viele glauben.

Längerfristig, wenn die Volkswirtschaften einen zyklischen Aufschwung erleben, dürften die Zentralbanken Schwierigkeiten haben, die Zinssätze auf ein Niveau anzuheben, das restriktiv genug ist, um die Inflation wirklich einzudämmen, da die Auswirkungen auf die allgemeinen Vermögenspreise politisch untragbar werden.

Höhere Zinssätze können zu einem asymmetrischen Renditeprofil für festverzinsliche Anleger führen
Die Anleiherenditen sind in den letzten Jahren erheblich gestiegen. Unserer Ansicht nach hat dies zu einem positiv verzerrten, asymmetrischen Renditeprofil für festverzinsliche Anlagen geführt, das wir im Folgenden anhand von drei verschiedenen Szenarien für künftige Renditen skizzieren:

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1. Die Renditen tendieren weiter nach oben
Selbst nach einem so deutlichen Anstieg der Renditen in jüngster Zeit besteht das Risiko, dass die Renditen weiter nach oben driften, wenn die Inflation anhält. Das hohe Ertragsniveau festverzinslicher Anlagen wirkt jedoch als Puffer gegen Verluste; so könnte ein festverzinsliches US-Portfolio beispielsweise einen weiteren Renditeanstieg von 100 Basispunkten verkraften, bevor es über einen Zeithorizont von einem Jahr zu Verlusten kommt.

2. Die Renditen bleiben in einer neuen Spanne um die aktuellen Zinsniveaus
Wenn wir richtig liegen, dann werden sowohl die Leitzinsen als auch die Anleiherenditen in den kommenden Jahren wahrscheinlich in einer neuen, höheren Spanne bleiben. Eine gewisse Lockerung der Zentralbankpolitik könnte die Renditekurve unter Abwärtsdruck setzen, aber wir rechnen nicht mit einer Rückkehr zu den niedrigen Renditen der letzten Jahre. In diesem Szenario könnten Anleger in festverzinslichen Wertpapieren in den kommenden Jahren mit attraktiven, ertragsorientierten Renditen rechnen, die sich über längere Zeiträume hinweg summieren.

Gareth Colesmith, Insight Investment

3. Der neutrale Zinssatz hat sich nicht geändert – und die Ära der niedrigen Renditen kehrt zurück
Wenn wir uns irren, der neutrale Zinssatz nicht gestiegen ist und sich die derzeitige Politik als ausreichend restriktiv erweist, um die Inflation schneller als von den Prognostikern erwartet wieder auf das Zielniveau zu bringen, werden die Renditen wahrscheinlich stark sinken. In diesem Szenario hat eine Kombination aus Einkommen und Kapitalgewinnen das Potenzial, erhebliche Renditen zu erzielen.

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