Die Quasi Ad-hoc-Pflicht: eine verkannte Haftungsgrundlage? – Kommentar von Robert Michels, Dentons

Robert Michels, DENTONS

In jüngster Vergangenheit wurden stürmische Zeiten an den sog. Mittelstandssegmenten für Anleihen konstatiert. Die entsprechenden Kursbewegungen einiger an den Regionalbörsen (insbesondere Bondm und mittelstandsmarkt) notierten Anleihen lassen teilweise Zweifel an einem ordnungsgemäßen Handel aufkommen und führen vereinzelt zu der Frage, ob nicht die Grenzen zu Insiderhandel bzw. Marktmanipulation überschritten wurden.

Wie aus der Presse zu entnehmen ist, laufen derzeit auch entsprechende Ermittlungen der BaFin. Derartige Problemstellungen ergeben sich bei notierten Anleihen insbesondere in einer echten Krisensituation des Emittenten und damit einhergehenden plötzlichen und starken Kursabfällen, die von hohen Verkaufsvolumina ausgelöst werden. Bei nur vermeintlichen Krisensituationen erholt sich der Kurs in der Folgezeit wieder; allerdings haben die zwischenzeitlich ausgestiegenen Anleihegläubiger einen Verlust realisiert, wohingegen die Käufer einen Kursgewinn erzielen konnten. Zum Teil erfolgten derartige Kursbewegungen ohne entsprechende Kapitalmarktkommunikation der Emittenten, was mitunter heftig kritisiert wurde.

Die Regelwerke sehen für die Mittelstandssegmente die Veröffentlichung von kursbeeinflussenden Ereignissen als fortlaufende Transparenzfolgepflicht vor („Quasi Ad-hoc-Pflicht“). Diese Pflicht ist von ihrem Sinn und Zweck an die heute in § 15 WpHG enthaltene (echte) Ad-hoc-Pflicht für im Regulierten Markt zugelassene Finanzinstrumente angelehnt (das Regelwerk des mittelstandsmarkts spricht daher ausdrücklich von einer entsprechenden Anwendung des § 15 WpHG).

Allerdings bestehen zum Teil inhaltliche Abweichungen zwischen Bondm, dem mittelstandsmarkt und dem Entry Standard. So sprechen bspw. die AGB der Frankfurter Wertpapierbörse von der Pflicht eines Emittenten zur unverzüglichen Mitteilung, Veröffentlichung und Übermittlung von wesentlichen Informationen, die den Emittenten oder die Wertpapiere unmittelbar betreffen. Eine Information betrifft hierbei den Emittenten unmittelbar, wenn sie sich auf Umstände bezieht, die in seinem Tätigkeitsbereich eingetreten sind. In den AGB der Frankfurter Wertpapierbörse ist zudem ein nicht abschließender Beispielskatalog von typischen Fallkonstellationen enthalten.

Bei einem Vergleich mit dem Emittentenleitfaden der BaFin und den dort enthaltenen Fallkonstellationen zu § 15 WpHG fällt auf, dass in den AGB der Frankfurter Wertpapierbörse einige Konstellationen nicht ausdrücklich genannt sind. Nachdem die Deutsche Börse jedoch in zahlreichen Publikationen klargestellt hat, dass allgemein „Unternehmensnachrichten, die den Börsenkurs beeinflussen können“ gemeint sind, können auch allgemeine Ereignisse und Geschäftsvorfälle wie

•    Erwerb- und Veräußerung von wesentlichen Beteiligungen,
•    Veräußerung von Kerngeschäftsfeldern,
•    wesentliche Änderung der Ergebnisse der Jahresabschlüsse oder Zwischenabschlüsse,
•    Verdacht auf Bilanzmanipulation,
•    Restrukturierungsmaßnahmen,
•    überraschende Veränderungen in Schlüsselpositionen,
•    überraschender Wechsel des Wirtschaftsprüfers etc.

einschlägig sein. Eine Unterscheidung zwischen wesentlichen Informationen bezogen auf Aktien und aktienvertretende Zertifikate einerseits und Schuldverschreibungen andererseits, ist angesichts des klaren Wortlauts der AGB für den Entry Standard nicht statthaft (für Bondm bzw. den mittelstandsmarkt besteht diese Möglichkeit jedoch). Darüber hinaus dürfte die sog. (vorläufige) Selbstbefreiung von einer Ad-hoc-Pflicht mangels Verweis in den Regelwerken für den Entry Standard und Bondm nicht zulässig sein (während dies am mittelstandsmarkt aufgrund der entsprechenden Verweisung zulässig ist).

Auch wenn, soweit ersichtlich, keine ausreichende juristische Kommentierung, geschweige denn Urteile zu der Quasi Ad-hoc-Pflicht vorliegen, so dürften doch folgende Mindestanforderungen feststehen:

Die Quasi Ad-hoc-Mitteilung
•    ist eindeutig als (Quasi) Ad-hoc zu bezeichnen,
•    der Inhalt hat sich nur auf den wesentlichen Umstand zu beziehen und
•    werbliche Zusätze sind zu unterlassen (dies ist für Bondm ausdrücklich klargestellt);
•    die Mitteilung ist auf der Internetseite des Emittenten sowie über ein elektronisch betriebenes Informationsverbreitungssystem zu veröffentlichen und an die betreffende Börse zu übermitteln (dies ergibt sich bislang allerdings nur bedingt aus den Regelwerken für Bondm (kein Informationsverbreitungssystem vorgesehen) und mittelstandsmarkt (Internetseite nicht erforderlich)).

Die Mitteilungspflicht bezweckt eine schnelle und gleichmäßige Unterrichtung des Marktes zur Vermeidung unangemessener Börsenkurse und damit auch zur Verhinderung von Insiderhandel. Diese formale Betrachtungsweise hat zur Konsequenz, dass die weitläufig gebräuchliche Form des Einsatzes von Pressemitteilungen oder die häufig zu beobachtende selektive Information nur einzelner Medien und Marktteilnehmer bzw. betretenes Schweigen gerade nicht geeignet ist, den Transparenzanforderungen zu genügen, was gravierende Auswirkungen auf das tatbestandliche Vorliegen von Insiderhandel (gerade bei verkaufenden oder kaufenden Investoren) sowie den Anwendungsbereich der Marktmanipulationsvorschriften für die (nicht) handelnden Emittenten und Privatpersonen insbesondere in Krisensituationen haben kann.

Die BaFin überwacht jedoch gerade nicht die Einhaltung der Freiverkehrsregelwerke, sondern agiert vielmehr nur bei der Bekämpfung von Insiderhandel und Marktmanipulation. Daher obliegt es zunächst bspw. der Deutschen Börse, die Einhaltung ihrer AGB zu überwachen und von der Möglichkeit der Verhängung einer Vertragsstrafe von bis zu EUR 12.500 im Einzelfall Gebrauch zu machen (der Bondm-Ausschuss kann bis zu EUR 25.000 sanktionieren; am mittelstandsmarkt besteht als Sanktionsmöglichkeit theoretisch nur der Widerruf).

Deutlich ungemütlicher wird es für die betroffenen Emittenten und Privatpersonen aber dann, wenn die BaFin in der Unterlassung oder Fehlerhaftigkeit einer Quasi Ad-hoc-Mitteilung einen Verstoß gegen § 20a WpHG (Marktmanipulation) erblicken sollte bzw. ein Gericht einen Drittschutz der Transparenzregelungen anerkennt und entsprechende Schadensersatzansprüche einem Investor zuerkennt. Das hätte unter Umständen auch eine Folgewirkung für den entsprechenden Listing Partner, der gemäß AGB der Frankfurter Wertpapierbörse in der Pflicht steht, den betreuten Emittenten bei der Quasi Ad-hoc-Pflicht zu unterstützen und dies dann entsprechend belegen müsste. Ähnliche Konstellationen sind für den Bondm-Coach sowie den kapitalmarktpartner (Düsseldorfer Börse) möglich.

Fazit
Im Ergebnis ist festzuhalten, dass in den Mittelstandssegmenten teilweise erhebliche Abweichungen bei der inhaltlichen Ausgestaltung der Quasi Ad-hoc-Pflicht bestehen, die im Extremfall dazu führen, dass bei identischen Sachverhaltskonstellationen unterschiedliche Veröffentlichungspflichten gelten. Diese Verwirrung sollte baldmöglichst in den Regelwerken der Börsen bereinigt werden. Der einfachste Lösungsvorschlag ist, auf eine entsprechende Anwendung von § 15 WpHG zu verweisen (wie es der mittelstandsmarkt bereits macht). Diese Lösung würde den Kapitalmarkt auch auf die zukünftige EU-weite Neuregelung im Rahmen der Verordnung über Insidergeschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch) vorbereiten, wonach ab 2015 ein Gleichklang der Ad-hoc-Pflichten von Regulierten Marktsegmenten und Freiverkehrssegmenten angedacht ist. Zudem könnten somit elegant Auslegungsfragen geklärt werden, die derzeit für Emittenten bestehen, die mit verschiedenen Finanzinstrumenten in unterschiedlichen Marktsegmenten notieren bzw. zugelassen sind.

Robert Michels,
Partner,
DENTONS, Frankfurt
Kontakt: robert.michels@dentons.com