Digitale Anleihen – Unternehmensfinanzierung über Token

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Auch nach Verabschiedung des Gesetzes zur Einführung elektronischer Wertpapiere (eWpG) bleibt die digitale Unternehmensfinanzierung ein „work in process“ im Spannungsfeld zwischen Regulierung, Technik und Investorenakzeptanz. Von Thomas Stewens*, Vorstand, Corporate Strategy and Communication, BankM AG

„Jede Revolution war zuerst ein Gedanke im Kopf eines Menschen“, lautet ein Zitat des US-Philosophen Ralph Waldo Emerson aus dem 19. Jahrhundert. Über diesen Status ist die viel beschworene digitale Revolution der Kapitalmärkte spätestens seit diesem Jahr hinweg. Im Mai verabschiedete der Bundestag das Gesetz zur Einführung elektronischer Wertpapiere (eWpG). Inhaberschuldverschreibungen können damit jetzt auch nach deutschem Recht vollständig digital aufgenommen und abgebildet werden.

Für Emittenten bedeutet das zweierlei: Erstens können sie statt der bisher verpflichtenden Papierurkunde nun ein elektronisches Register nutzen; zweitens dürfen Anleihen auch dezentral als Krypto-Wertpapiere auf Basis einer Blockchain begeben werden. Damit vereinfacht das Gesetz nicht nur die Platzierung von gewöhnlichen Anleihen, sondern macht zumindest rechtlich auch den Weg frei für tokenbasierte Bonds. Der Unterschied liegt ab sofort nur noch in der Art und Weise, wie die verbrieften Rechte und Pflichten technisch abgebildet werden. Bei einer Tokenisierung von Vermögenswerten wird dafür ein sogenannter Security Token als digitales Abbild von Rechten und Pflichten auf einer Blockchain generiert und transferiert. Ansonsten ändert sich für Investoren nichts. Das Risiko-Rendite-Profil bleibt genauso bestehen wie die regulatorischen Eigenschaften.

Rechtssicherheit öffnet Tür für breite Einführung
Diese Rechtssicherheit gab es in der Vergangenheit nicht. In den Jahren 2017 bis 2019 planten zahlreiche deutsche Wachstumsunternehmen, den gutscheinähnlichen und nicht-prospektpflichtigen Utility Token zu begeben und dadurch nicht der als prohibitiv empfundenen Regulierung durch die BaFin zu unterliegen. Sehr häufig wurden diese Token dann aber durch Mitspracherechte und/oder einen dynamischen Anteil an der Unternehmensentwicklung von den Behörden und Anwälten als wertpapierähnliche und mit einer Prospektpflicht versehene Equity Token qualifiziert. Mit einem Merkblatt von August 2019 versuchte die BaFin, hier Klarheit zu schaffen, und unterband die Praxis der als „Utility Token“ verkleideten Kapitalbeteiligungen.

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Weil aber das Landgericht Berlin im März 2020 entschied, dass Token keine Wertpapiere sein könnten, wurde auch der Equity Token mit Wertpapierprospekt für Emittenten plötzlich unsicher und unattraktiv. Wer digitale Anleihen testete, wich deshalb ins Ausland aus. Als Siemens oder Continental erstmals Commercial Paper via Blockchain abwickelten, entschieden sich die beiden Industriekonzerne etwa für Luxemburg. Und als die Europäische Investitionsbank (EIB) im April mit der öffentlichen Platzierung einer auf der Ethereum-Plattform aufgelegten digitalen Anleihe im Volumen von 100 Mio. EUR für eine Premiere sorgte, geschah dies noch nach französischem Recht.

Ähnlich wie 2007, als die EIB mit dem ersten Green Bond Geschichte schrieb, könnte die Emission den Weg für eine breite Einführung der Blockchain-Technologie im Emissionsmarkt bereiten. Argumente, warum digitale Wertpapiere nicht nur für große Unternehmen, sondern auch für kleine Firmen und selbst Einzelpersonen attraktiv werden könnten, gibt es genug. Im Mittelpunkt stehen dabei Effizienz und Transparenz. Die Emissionen sind in Echtzeit nachvollziehbar, das mehrtägige Settlement-Risiko entfällt, unnötige Transaktionskosten für Einlieferung und Verwahrung der Papierurkunde werden abgeschafft. Weil die meisten Dokumente im Zusammenhang mit Underwriting, Zeichnung und Verteilung von Anleihen in Echtzeit auf einer Blockchain gespeichert werden, gehen Experten davon aus, dass die Abwicklung auf dem Primärmarkt innerhalb von Stunden statt wie heute von Tagen oder gar Wochen erfolgen könnte. Auf dem Sekundärmarkt lassen sich Handelsströme und Aktivitäten zudem leichter zurückverfolgen.

Technik und Akzeptanz als Hürden
Mit digitalen Wertpapieren können Unternehmen den Kapitalmarkt also schneller, einfacher und kostengünstiger anzapfen. Grundsätzlich ist es sogar möglich, dass ein Emittent das Register für seine eigenen Wertpapiere führt. Davon ist trotz der neu gewonnenen Rechtssicherheit bislang freilich noch nicht viel zu sehen. Größte Herausforderung ist die technische Umsetzung der Handelbarkeit. Jedes einzelne Wertpapier müsste eine eigene Kennung haben, die auf der Blockchain hinterlegt wird. Als dezentrale Datenbank benötigt die Blockchain zudem große Speicherkapazitäten. Notenbanken und private Unternehmen suchen aktuell noch nach der passenden Lösung für die Abwicklung von Wertpapieren über die Blockchain-Technologie. Bundesbank und Deutsche Börse arbeiten bereits seit mehreren Jahren in einem entsprechenden Projekt zusammen und haben im März einen Testerfolg für ein neues Verfahren zur Abwicklung von digitalen Anleihekäufen gemeldet.

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Neben den technischen Herausforderungen ist aber auch die Akzeptanz bei institutionellen Investoren derzeit noch zu gering für einen echten Durchbruch des Security Token. Themen wie Liquidität und Exit-Möglichkeit sowie die negative Reputation früherer Initial Coin Offerings spielen hier eine Rolle. Im Ergebnis bedeutet dies, dass die tokenbasierte Unternehmensfinanzierung in Deutschland derzeit noch und wieder auf den klassischen Utility Token zurückgreifen muss. Dieser ermöglicht eben keine Mitbestimmung und darf auch nur in ganz geringem Umfang am Unternehmenserfolg partizipieren. Richtig gestaltet kann er aber dennoch zu einer Vorfinanzierung wichtiger Projekte beitragen.

Klimaschutz per Token
Ein Anwendungsfeld, welches hier besonders attraktiv erscheint, ist der tokenisierte Nachweis von CO2-reduzierenden Technologien. Emittenten können dabei Token für klar definierte Investitionen in CO2-Vermeidungstechnologien begeben. Im Token werden die tatsächlichen CO2-Einsparungen über eine Vernetzung mit geeichten Messstellen digital abgebildet. Eine standardisierte Tauschmöglichkeit zwischen Token und CO2-Zertifikat ermöglicht die Bewertung und Realisierung der gespeicherten Werte. Die Entscheidung des Investors hängt so nicht von einer Partizipation am Unternehmensgewinn oder einer möglichen Mitsprache im Unternehmen ab, sondern vielmehr von der Realisierung der CO2-Einsparung. Auch das Exit-Szenario ist klar definiert. Entsprechend attraktiv dürften entsprechende Emissionen gerade für Nachhaltigkeitsinvestoren sein. Und Unternehmen können auf diese Weise neue grüne Technologien finanzieren.

Thomas Stewens, BankM

Fazit
Es bleibt also spannend, auch wenn die große Revolution vorerst weiter auf sich warten lässt. Für eine vollständig digitale Anleihe bräuchte es sowieso eine programmierbare (Zentralbank-)Währung: Nur dann wären auch Zins- und Tilgungszahlung ohne Medienbruch über Smart Contracts möglich. Als Gedanken existieren entsprechende Ideen aber bereits seit Langem.

*) Thomas Stewens ist Vorstand und Mitgründer der BankM AG und hat zahlreiche Eigen- und Fremdkapitaltransaktionen in führender Funktion begleitet. Als Hausbank für den Kapitalmarkt unterstützt BankM mittelständische Unternehmen mit einem breiten Dienstleistungsportfolio und gehört zu den führenden Banken am Markt für KMU-Anleihen.

Der Beitrag erschien ursprünglich in der BondGuide-Jahresausgabe „Anleihen 2021“.