Der Finanzsektor ist gefordert

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Wenn Europa die eigenen Klimaschutzziele erreichen will, wird das nicht ohne privates Kapital funktionieren. Von Nicolas Mackel

Die EU-Kommission taxiert den zusätzlichen Investitionsbedarf allein in der Europäischen Union auf bis zu 290 Mrd. EUR pro Jahr. Das Potenzial für auf nachhaltige und klimafreundliche Projekte ausgerichtete Finanzierungen und Investments ist also groß. Damit sich der damit verbundene Markt entfalten kann, braucht es neben den richtigen Angeboten Transparenz, Verlässlichkeit und Plattformen, auf denen Kapital und nachhaltige Projekte zusammenfinden.

Die Wirtschaft weniger klimaschädlich beziehungsweise klimaneutral oder gar klimafreundlich zu gestalten, ist eine Mammutaufgabe. Sie zu bewältigen, fordert Staaten sowie andere öffentliche Institutionen ebenso heraus wie Unternehmen und private Investoren. Jeder Wirtschaftszweig muss seinen Beitrag leisten, damit die Klimaschutzziele aus dem Abkommen von Paris tatsächlich erreicht werden. Dem Finanzsektor kommt dabei eine Schlüsselaufgabe zu, denn um die erforderlichen zusätzlichen privaten Investitionen zu mobilisieren, müssen Green Finance & nachhaltige Investments zum Mainstream werden.

Rekord-Neuvolumen – aber prozentual noch gar nichts

Das wird nicht über Nacht gelingen. Gegenwärtig fristet das Segment nachhaltiger beziehungsweise „grüner“ Finanzierungen und Investmentprodukte noch ein Nischendasein. Dennoch erreichen sowohl das Volumen entsprechend ausgerichteter Investmentfonds als auch das Emissionsvolumen bei Green Bonds Jahr für Jahr neue Rekordwerte und verzeichnen zudem starke Wachstumsraten. So war das Volumen der weltweit emittierten Green Bonds im Jahr 2018 rund 15mal so hoch wie noch fünf Jahre zuvor. Gleichwohl ist der Anteil der grünen Produkte am gesamten Kapitalmarktvolumen nach wie vor sehr gering.

Im Bemühen, das zu ändern, führt kein Weg an klaren Definitionen und verlässlichen Standards vorbei. Gesucht ist eine möglichst klare Antwort auf die Frage, welche Investitionen oder Finanzierungen als „grün“ eingestuft werden können und welche nicht. Denn nur auf dieser Basis kann ein „grünes“ Segment am Kapitalmarkt weiterwachsen und zum Mainstream werden.

Vorsicht vor Greenwashing

Dabei liegt es in der Natur der Sache, dass dieser Prozess Zeit braucht. So wird es nicht nur am Kapitalmarkt insgesamt auf absehbare Zeit ein Nebeneinander von „grünen“ und anderen Akteuren geben. Auch innerhalb des auf Nachhaltigkeit oder Klimaschutz ausgerichteten Segments werden sich zumindest in der Übergangsphase nicht ausschließlich „tiefgrüne“ Anbieter tummeln. Beim Großteil wird die Farbgebung auf absehbare Zeit gemischt bleiben. Sei es der Vermögensverwalter, der neben „grünen“ Fonds auch Produkte anbietet, die in emissionsintensive Branchen investieren. Oder der Staat, der Investitionen in erneuerbare Energien mit einer „grünen Anleihe“ finanziert, und in dessen Energiemix die Braunkohle jedoch nach wie vor eine Rolle spielt.

Umso wichtiger sind verlässliche Standards. Nicht zuletzt lässt sich nur so einem möglichen „Greenwashing“ wirksam vorbeugen, also dem Versuch sich nach außen umweltbewusster darzustellen als es tatsächlich der Fall ist.

Im Rahmen ihres Aktionsplans für eine grünere und sauberere Wirtschaft geht die Europäische Union dieses Thema sehr konsequent an. Eine Expertengruppe („Technical Expert Group“) hat im Juni 2019 ihre Vorschläge für ein Klassifizierungssystem vorgelegt. Es definiert unter anderem Kriterien dafür, welche wirtschaftlichen Aktivitäten helfen, den Klimawandel zu mildern oder die Anpassung unterstützen. Nur auf dieser Basis lässt sich ein einheitliches Verständnis entwickeln, wann ein Kapitalmarktprodukt grün ist und wann nicht.

Parallel dazu entwickeln einzelne Länder ihre Infrastruktur und Systeme weiter. Luxemburg etwa hat als weltweit erstes Land ein Gesetz für grüne Pfandbriefe geschaffen und mit der Luxembourg Green Exchange (LGX) die ersten ausschließlich auf nachhaltige Anleihen fokussierte Börse der Welt etabliert.

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