
Unter Trump 2.0 hat eine alte Börsenweisheit ausgedient: ‚Buy the Rumors, sell the Facts“. Doch was sind heute noch ‚Fakten‘? Von Matthias Beil*
‚Kaufe das Gerücht, verkaufe die Nachricht‘ ist überflüssig geworden. Denn was Fakt ist und was Gerücht, wird durch die Impulsivität, das mediale Dauerfeuer und die erratischen Signale aus dem Weißen Haus immer wieder neu definiert. Oder als Absurdität entlarvt.
Der April liefert ein Lehrstück in Sachen Trump-Ökonomie. Der Monat begann an den Börsen recht ruhig. Dann, am 3. April, schockierte Trump die Welt mit der Ankündigung massiver Strafzölle gegenüber China und der EU. Innerhalb weniger Stunden explodierte der Volatilitätsindex VIX auf über 60 – ein Niveau, das sonst Krisen wie der Finanzkrise 2008 vorbehalten ist. Die Kurse stürzten ab, der S&P 500 verlor binnen Tagen 14,4%.
Doch die Zoll-Apokalypse stellte sich als heiße Luft heraus. Ende April ruderte Trump zurück: Statt Maximalforderungen nun versöhnliche Töne und angebahnte Deals. Die Börsen atmen auf, eine kleine Erholungsrallye folgt. Der S&P 500 liegt jetzt etwa 10% über dem Tief des Monats – aber die Volatilität bleibt hoch, das Vertrauen gering.
Und es geht weiter: Am 15. April attackiert Trump in einem Tweet den Notenbankchef Jerome Powell, stellt dessen Kompetenz infrage und deutet eine mögliche Absetzung an – ein Tabubruch mit Wirkung. Der S&P 500 verliert in drei Tagen rund 7%. Wieder folgt das Zurückrudern. Keine Absetzung, alles ein Missverständnis. Der Index steht nun sogar über dem Stand von Mitte April.
Es waren noch nie nur harte wirtschaftliche Daten oder langfristige Analysen, die den Takt an der Börse vorgeben. Es waren schon immer Gefühle oder eben Gerüchte, die Investoren zu Käufen oder Verkäufen bewegten. Die Kurse kamen durch solche Gerüchte in Bewegung – wurden dann die Fakten bekannt und bestätigt, setzte Normalität ein. Wer gewinnen wollte, musste vor den Fakten kaufen, wenn die Gerüchteküche noch brodelte.
Das gibt es heute mehr denn je. Donald Trump wirbelt mit seinem Feuerwerk an Meldungen die Märkte kräftig durcheinander. Tweets, Launen, Eilmeldungen – in dieser neuen Realität ist die klassische Börsenweisheit zur Makulatur geworden. Wer auf Fakten wartet, kommt nicht mehr nur zu spät – es gibt sie nicht mehr. Trump hat die Kraft des Faktischen aufgehoben. Noch vor kurzem wäre die Verabschiedung eines Gesetzes oder auch die Unterschrift unter ein Dekret des Präsidenten ein endgültiges Wort gewesen, ein Fakt. Doch Trump ändert die Fakten, ändert die Daten wie er gerade möchte.
Trumps Fakten sind nicht mehr als Gerüchte, Testballons, Ankündigungen, die zum Verkauf veranlassen, wie die Einführung der Zölle. Seine Kehrtwendungen sind die neuen Fakten. Doch auch deren Halbwertzeit ist begrenzt, werden sie doch mit Verfallsdaten versehen. 90 Tage sind Zölle verschoben, in 30 Tagen wird entschieden, noch diese Woche fällt eine Entscheidung. So oder ähnlich klingen die Ankündigungen – und zurück bleiben Verunsicherung und Volatilität.
Doch in all dem Chaos zeigt sich auch eine andere Wahrheit: Wer Ruhe bewahrt, fährt oft besser. Der langfristig orientierte Anleger, der im April seine Positionen nicht verändert hat, steht mit einem Minus von nur 2,3% da – kein Grund zur Panik, keine blutige Nase. Lange sind die Börsen nicht den Fundamentaldaten, sondern dem Theater gefolgt. Fakten, wie Trump sie versteht, sind unwichtig geworden, sie sind nur Inhalte für eine Bühne der Eitelkeit und Schlagzeilen. So lohnt es sich nicht länger, das Gerücht zu kaufen und deren Erfüllung zu verkaufen.
Es wird eine Wiederbelebung der langfristigen Betrachtung der Unternehmen, der einzelnen Aktien geben. Stockpicking wird immer wichtiger und vor allem: eine eigene Meinung über die langfristige Gesundheit von Unternehmen. Ankündigungen von Trump sollten als lästiges Störfeuer gesehen werden, die Kaufentscheidung dem Makroblick folgen. Dann werden Investoren sich unabhängig machen von Trumps Bühne – und erfolgreicher werden. Und Trump wird seine Macht zur Manipulation verlieren.
*) Mathias Beil ist Leiter Private Banking bei der Hamburger Sutor Bank, gegründet 1921. Die Hamburger bieten klassisches Private Banking, betreiben eine Banking-Plattform für digitale Partner und kooperieren mit unabhängigen Finanzdienstleistern.
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