Bürgeranleihen als Beteiligungsmodell für Privatanleger? – Beispiel TenneT

TenneT sucht Anschluss
TenneT

Von Dr. Anne de Boer, Partnerin, GSK Stockmann + Kollegen*

Bürger sollen nach der Idee etlicher Politiker an Infrastrukturprojekten und Projekten zur Umsetzung der Energiewende auch wirtschaftlich beteiligt werden. Dadurch soll sich die Akzeptanz solcher Projekte insbesondere bei Anwohnern erhöhen. Dies könnte den entsprechenden Projekten wirtschaftlich insgesamt zu Gute kommen, selbst wenn im Einzelfall das Projekt anders günstiger finanziert werden kann, so die Überlegung.

Formen der wirtschaftlichen Beteiligung von Bürgern
Bürger können sehr unterschiedlich an Projekten wirtschaftlich beteiligt werden: Der Markt kennt hier beispielweise bereits die Beteiligung über Genussrechte, Genossenschaften, Gesellschaftsanteile, stille Beteiligungen und partiarische Darlehen. Die TenneT Holding B.V. bietet im Zusammenhang mit der Finanzierung der Stromübertragungsleitung in Schleswig-Holstein West nun eine Hybridanleihe an.

Wie Bürger konkret beteiligt werden, hängt aus Sicht der Emittenten vor allem davon ab, ob die Bürger sich nur finanziell engagieren oder ob sie auch – und in welchem Umfang – Mitspracherechte erhalten sollen. Bei einer nur finanziellen Beteiligung ist zudem wichtig, in welchem Rang Ansprüche der Bürger bei einer Rückzahlung stehen und ob diese beim Emittenten handels-, steuer- und insolvenzrechtlich bzw. bei der Bewertung durch Ratingagenturen Fremd- oder Eigenkapital darstellen.

Die derzeit viel emittierten Mittelstandsanleihen, die sich neben institutionellen Anlegern auch an Privatanleger richten, sind in der Regel nicht nachrangig ausgestaltet. Sie gewähren keine Mitspracherechte. Allerdings haben sich in den letzten Jahren Standards für die Anleihebedingungen durchgesetzt: Neben Informationsrechten und aufgrund der Börsenregularien bestehen bei bestimmten Ereignissen Kündigungsrechte der Anleihegläubiger. Diese sollen den Anlegern eine gewisse Sicherheit bieten. Mittelstandanleihen werden teilweise als nur für qualifizierte Privatanleger geeignet angesehen, da sie in der Regel keine oder nur eingeschränkt Sicherheiten gewähren und für die Anleger mit nicht unerheblichen Risiken verbunden sind.

Die nunmehr diskutierten Bürgeranleihen bzw. Bürgerbeteiligungen sind ausdrücklich an alle Bürger gerichtet und Werbung dafür wird teilweise, wie im Beispiel von TenneT, auch mit der Post unaufgefordert nach Hause geschickt. Bei deren Ausgestaltung sollte daher besonders darauf geachtet werden, dass die Risiken für Kleinanleger möglichst gering gehalten werden und klar verständlich sind.

Die Bürgeranleihe von TenneT
TenneT bietet unter dem Begriff der Bürgeranleihe eine Hybridanleihe mit im Wesentlichen folgenden Kriterien:

–            Die Anleihe ist nachrangig ausgestaltet. Sie wird teilweise beim Emittenten als Eigenkapital qualifiziert. Im Fall der Insolvenz bzw. Liquidation werden die Forderungen aus der Anleihe damit erst nach allen nicht nachrangigen Forderungen bedient. Bei einer Insolvenz dürften Anleger voraussichtlich leer ausgehen.

–            Der Zinssatz beträgt zunächst 3% und steigt später – vorbehaltlich von Zinsanpassungen – auf 5% ab Baubeginn der Stromübertragungsleitung in Schleswig-Holstein West. Allerdings kann der Emittent die Zahlung der Zinsen nach eigenem Ermessen aussetzen. Eventuelle Zinsrückstände muss er im Wesentlichen erst ausgleichen, wenn Zahlungen an die Gesellschafter oder andere nachrangige Gläubiger erfolgen. Selbst mittelständische Projektanleihen sichern in der Regel die Zinszahlungen zumindest für die ersten Jahre und sehen eine Aussetzung der Zinszahlung nur nach dem SchVG vor.

–            Die Laufzeit ist unbefristet. Nach der Zinsregelung ist eine Laufzeit von über 40 Jahren nicht ausgeschlossen. Die Anleihe ist erstmalig 10 Jahre nach Baubeginn und auch dann nur durch den Emittenten ordentlich kündbar. Des Weiteren kann er unter bestimmten Umständen vorzeitig kündigen, wenn die Anleihe kein Eigenkapital mehr darstellt. Die Anleger sind damit im Ungewissen, wann sie ihr eingesetztes Kapital zurückerhalten. Ob sich an den Börsen ein ausreichender Handel etablieren wird, der einen Verkauf mindestens zum Nennbetrag jederzeit gewährleistet, ist ungewiss.

–            Auflagen, die den Anleihegläubigern Informations- oder Kündigungsrechte gewähren, enthalten die Anleihebedingungen von TenneT nicht. Informationsrechte bestehen damit nur aufgrund des Börsensegments, immerhin des regulierten Markts. Insbesondere besteht kein Kündigungsrecht, wenn TenneT verkauft wird und kein so genanntes Staatsunternehmen mehr ist oder sich das Rating des Emittenten, mit dem die Risiken des Nachrangs wohl kompensiert werden sollen, verschlechtert.

–            Die Anleihe kann nur von Bürgern in bestimmten Regionen gezeichnet werden. Im Anschluss kann die Anleihe aber frei gehandelt werden, so dass sie auf dem Sekundärmarkt von jedem erworben werden kann. Wäre die Anleihe ein Erfolg, könnten die Anwohner der Region Handelsgewinne wie sonst vor allem die Selling Agents erzielen und dadurch emotional stark an das Projekt gebunden werden.

–            Auch wenn die Anleihe im Zusammenhang mit der Finanzierung der Stromübertragungsleitung in Schleswig-Holstein West begeben wird, ist als Emissionszweck nur die allgemeine Unternehmensfinanzierung angegeben. Nur bei der Erhöhung der Zinsen wird auf den Baubeginn der Stromübertragungsleitung in Schleswig-Holstein West abgestellt.

Die Stellung der Anleger bei der Bürgeranleihe von TenneT ist strukturell sehr risikobehaftet. Immerhin das Anleiherating bringt dies – zumindest für geschulte Privatanleger – zum Ausdruck.

Verständnis einer Bürgeranleihe
Sofern ein Finanzprodukt sich ausdrücklich an Bürger, auch ungeschultere Privatanleger, richtet, sollte es eher eine höhere Sicherheit bieten und die Risikostruktur klar erkennbar sein, gerade auch für ungeschulte Anleger. Dies könnte insbesondere durch folgende Strukturen erreicht werden:

–            Die Forderungen der Anleihegläubiger sollten möglichst nicht nachrangig sein. Sofern ein Nachrang eingeräumt wird, sollte eine ausreichende Sicherheit der Rückzahlung begründet sein, sei es durch Informations- oder Kündigungsrechte der Anleihegläubiger oder ein ausreichendes Anleiherating, möglichst mit Investmentgrad. Insbesondere Eigenkapitalbeteiligungen sollten als solche klar mit den entsprechenden Risiken erkennbar sein. Auch sollten durch die Struktur der Hybridanleihe nicht die Regulierungen für Fonds unterlaufen werden.

–            Die Auflagen sollten mindestens entsprechend dem sich etablierenden Marktstandard für Mittelstandsanleihen, einschließlich ausreichender Informationen und Kündigungsrechte der Anleihegläubiger bei wesentlichen Ereignissen, entsprechen. Diese sollte – abhängig vom konkreten Projekt – Rechte der Anleihegläubiger insbesondere bei Gesellschafterwechsel, Ratingverschlechterungen, Kündigung von wesentlichen Finanzierungen, Verkauf des Projekts,  bei Ausschüttungen und Darlehen an Gesellschafter, Insolvenz, Verzug und Liquidation erfassen.

–            Die Zinsen sollten dem Risiko angemessen und zumindest jährlich zu zahlen sein. Die Zinsen könnten einen Festzins mit einer erfolgsabhängigen Komponente kombinieren.

–            Um die Ausübung der Rechte der Anleihegläubiger zu sichern, könnte ein Anleihevertreter von Anbeginn bestellt werden.

–            Die Anleihe sollte eine feste Laufzeit haben, die für Privatanleger überschaubar ist, zum Beispiel von 5 bis 7 Jahren. Insbesondere Kleinanleger sollten kalkulieren können, wann sie ihr eigesetztes Kapital zurückerhalten.

–            Die Anleihe sollte, wenn möglich, handelbar sein, um den Anlegern auch vor Ende der Laufzeit einen Ausstieg zu gewähren.

–            Die Verwendung des Emissionserlöses gerade für das konkrete Projekt sollte ausreichend gesichert sein, sei es über einen Treuhänder oder die Anleihebedingungen.

–            Im Übrigen sollten die Anleihebedingungen einfach und auch für Kleinanleger gut verständlich sein.


Fazit
Die Bürgeranleihe ist sicher eine interessante und vor allem einfache Form sowohl für Anleger als auch Emittenten, Bürger wirtschaftlich an Projekten zu beteiligten. Allerdings bestehen Zweifel, dass die Hybridanleihe aufgrund der damit verbundenen Risiken sich für Kleinanleger eignet. Sofern die gewöhnliche Anleihe oder aber auch andere Produkte gewählt werden, können sich Emittenten an den Erfahrungen und Diskussionen sowie inzwischen sich etablierenden Standards der qualitativ besseren Mittelstandsanleihen orientieren.

*) Die Autorin ist regelmäßige Schreiberin der LawCorner.