Zielkonflikte

Prof. Dr. Jan Viebig* kommentiert das Geschacher um die unsägliche Schuldenbremse: Zielkonflikte allerorten für die nahe wie auch ferne Zukunft.

Die Schuldenbremse: aussetzen, abschaffen oder beibehalten? Darüber debattieren gerade viele Länder. Seit 2013 verpflichtet der europäische Fiskalpakt die EU-Mitgliedstaaten, ihre Haushaltsdefizite in den Griff zu bekommen. Von 2015 bis 2019 waren die europäischen Länder beim Schuldenabbau auf einem guten Weg. Seither steigen jedoch die europäischen Staatsschulden wieder deutlich an. Die Corona-Pandemie hat die Kreditaufnahme der meisten EU-Staaten auf Rekordniveaus getrieben und die Bruttoverschuldung in die Höhe schießen lassen.

Deutschland steckt nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November 2023 in einer schweren Haushaltskrise. Ob der Bundeshaushalt 2024 überhaupt noch in diesem Jahr verabschiedet werden kann, ist fraglich. Es klafft ein Milliardenloch, das gestopft werden muss. Zur verfassungskonformen Sicherung des Haushalts 2023 hat das Kabinett nun einem neuen Nachtragshaushalt zugestimmt. Demnach wird der Bund das vierte Jahr in Folge mehr Schulden aufnehmen als eigentlich erlaubt ist. Die deutsche Schuldenbremse wird für 2023 vermutlich erneut ausgesetzt.

In den letzten drei Jahren überstieg die Nettokreditaufnahme in Deutschland das erlaubte Niveau um 41,9 Mrd. EUR im Jahr 2020, um 192,0 Mrd. EUR im Jahr 2021 und um 276,4 Mrd. EUR im vergangenen Jahr 2022. Bei der Berechnung der Schuldenbremse werden die seit 2009 geschaffenen Sondervermögen berücksichtigt.

Eine Ausnahme bildet das 100 Mrd. EUR schwere Sondervermögen für die Bundeswehr, das im Grundgesetz verankert wurde und damit nicht von dem Entscheid des Bundesverfassungsgerichts betroffen ist. In jedem dieser Jahre – 2020, 2021 und 2022 – musste die Bundesregierung von der Ausnahmeregelung nach Artikel 115 Absatz 2 Satz 6 Gebrauch machen und die Schuldenbremse aussetzen.

Im Jahr 2023 wird die zulässige Kreditaufnahme voraussichtlich um knapp 45 Mrd. EUR überschritten. Die Bundesregierung muss sparen. Für 2024 wird sie ihre Ausgabenpläne vermutlich um 30 Mrd. EUR reduzieren.

Das eigentliche Problem in Europa ist, dass die Verschuldung einiger Mitgliedstaaten seit Eintritt der Währungsunion dramatisch angestiegen ist. Keine der Regelungen zur Schuldenbegrenzung in Europa … hat verhindern können, dass die Schulden in einigen Mitgliedstaaten massiv angestiegen sind. Die gestiegenen Schulden in Kombination mit nunmehr deutlich gestiegenen Zinsen werden dem Handlungsspielraum der Fiskalpolitik in zahlreichen EU-Mitgliedstaaten im Jahr 2024 enge Grenzen setzen.

Prof. Dr. Jan Viebig über Zielkonflikte

Prof. Dr. Jan Viebig

Die Bundesregierung wird nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes auf einige Teile ihres ‚Modernisierungsprogramms‘ verzichten und Subventionen zurückführen müssen. Wir erwarten, dass dadurch der Konjunkturabschwung in Deutschland verlängert und das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2024 um 0,5 Prozentpunkte weniger wachsen wird. Von der deutschen Ampel-Regierung sind bis zu den Bundestagswahlen im Jahr 2025, oder aber bis zu vorgezogenen Neuwahlen, nur noch wenige fiskalpolitische Impulse zu erwarten.

*) Prof. Dr. Jan Viebig ist Chief Investment Officer der ODDO BHF SE

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