Schwemme an Prozessfinanzierern(?) – die Folgen der geplanten Regulierung für mittelständische Unternehmen

Das EU-Parlament sieht in der steigenden Zahl von Prozessfinanzierern eine Gefahr für die europäische Rechtspflege – man sollte stattdessen die ‚finanzielle Waffengleichheit im Auge behalten. Von Frederick Iwans, FORIS

Das Vorhaben des EU-Parlaments

Seit die FORIS AG 1998 die Prozessfinanzierung in Deutschland eingeführt hat, können Inhaber von Forderungen – egal ob nun Privatleute oder Unternehmen – aus dem gesamten Zivil- und Wirtschaftsrecht Rechtsstreitigkeiten ohne den Einsatz eigener Liquidität führen. Entsprechend stürmisch war die Entwicklung.

Heutzutage wird die Prozessfinanzierung von Unternehmen schon lange nicht mehr ausschließlich dann genutzt, wenn die eigenen Mittel nicht ausreichen, um eine Klage zu finanzieren. Sie hat sich vielmehr zu einem wichtigen Teil des Risikomanagements entwickelt und optimiert die Nutzung von Liquidität.

Trotzdem scheinen viele zu glauben, Prozessfinanzierer forcierten vor allem abstruse Massenverfahren gegen Unternehmen, um sich selbst zu bereichern. Eine Sichtweise, die das EU-Parlament zu teilen scheint: Es sieht in der steigenden Zahl von Prozessfinanzierern eine Gefahr für die europäische Rechtspflege und hat deshalb einen Richtlinienentwurf mit „Empfehlungen zur verantwortungsbewussten privaten Finanzierung von Rechtsstreitigkeiten“ (2020/2130(INL)) vorgelegt.

Darin wird vorgeschlagen, zur Gewährleistung der „Integrität des EU-Rechtssystems“ und zum wirksamen Schutz der EU-Bürger „vor finanzieller Ausbeutung durch Prozessfinanzierer“, ein von den nationalen Aufsichtsbehörden verwaltetes Genehmigungssystem für Prozessfinanzierer zu installieren.

Zudem sollen Vorgaben zu deren Eigenkapitalausstattung und zur Tragung von Kosten, die der Gegenseite entstanden sind, gemacht werden und eine Pflicht zur Offenlegung der Prozessfinanzierungsvereinbarung eingeführt werden. Auch gelte es, starke Schutzmaßnahmen gegen Interessenkonflikte zu ergreifen, eine Obergrenze für Honorare festzulegen und zu verhindern, dass Prozessfinanzierer die Kontrolle über das Verfahren übernehmen.

Einordnung des Vorstoßes des EU-Parlaments

Eine derart massive Regulierung wäre weder sinnvoll noch zielführend. Die von dem EU-Parlament heraufbeschworene erhebliche Gefahr von Missbrauchsfällen existiert ebenso wenig wie Lücken im Rechtssystem. In der Realität gibt es vielmehr einen „Gleichlauf der Interessen“ von Prozessfinanzierern und Klägern, der dafür sorgt, dass Fälle mit entsprechenden Erfolgsaussichten tatsächlich unabhängig von einem eventuell vorhandenen (finanziellen) Machtgefälle zwischen Anspruchssteller und Anspruchsgegner rechtssicher geklärt werden.

Der Einsatz von spezialisierten Prozessfinanzierern wie FORIS hat dabei den zusätzlichen Vorteil, dass statt des Klagewegs auch eine außergerichtliche Einigung finanziert und deshalb aktiv angestrebt werden kann. Ebenso können Schieds- und Mediationsverfahren finanziert werden. Letztere sind insbesondere dann vorteilhaft, wenn die Parteien trotz Streitigkeit auch im Nachgang noch miteinander auskommen müssen, beispielsweise bei bestehenden Lieferbeziehungen.

Werden die Chancen, sich vor Gericht durchzusetzen, als zu gering erachtet, kann eine entsprechende juristische Einschätzung durch den Prozessfinanzierer zudem dazu führen, dass Klagen gar nicht erst eingereicht werden. Das entlastet die Justiz und schont Nerven und Geldbeutel aller Beteiligten.

Mögliche Folgen für mittelständische Unternehmen

Ein Großteil der heutzutage von Prozessfinanzierern finanzierten Verfahren werden von kleinen und mittelständischen Unternehmen geführt. Häufig geht es dabei um Klagen gegen deutlich größere Unternehmen – etwa bei Kartellrechtsverletzungen, die klassisch von der Konstellation „viele, kleinere, geschädigte Unternehmen vs. wenige, große Kartellanten“ geprägt sind. Damit bei solchen oder ähnlich gelagerten Konflikten zukünftig nicht das „Recht des finanziell Stärkeren“ gilt, ist nicht nur der Zugang zum Recht für jeden entscheidend, sondern auch die Sicherung einer „finanziellen Waffengleichheit“ der streitenden Parteien.

Sollte die geplante Regulierung tatsächlich Realität werden, könnten etliche solcher Fälle nicht mehr finanzierbar sein. Allein die Pflicht zur Offenlegung der Finanzierungsvereinbarung dürfte dafür sorgen, dass Finanzierungslösungen an Attraktivität verlieren. Kennt die Gegenseite die zwischen mittelständischem Unternehmen und Finanzierer geschlossene Vereinbarung, kann sie beispielsweise aufgrund eines gedeckelten Kostenbudgets oder offen gelegten Erlösanteils Rückschlüsse darauf ziehen, ab wann ein frühzeitiges Vergleichsangebot für den Kläger interessant sein könnte.

Beispiele für aktuelle Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Kartellbildungen:

Zellstoff

Die Europäische Kommission hat am 12.10.2021 unangekündigte Durchsuchungen wegen des Verdachts kartellrechtswidriger Absprachen in den Geschäftsräumen von im Zellstoffsektor tätigen Unternehmen vorgenommen. Die Durchsuchungen fanden an Standorten in mehreren Mitgliedstaaten statt. Zellstoff ist ein trockener Faserstoff aus Holz, der zur Herstellung verschiedener Papiererzeugnisse (Hygienepapier, Schreibpapier, Karton usw.) verwendet wird.

Lachsfarmen

Die Kommission bestätigte mit einer Pressemitteilung vom 19.02.2019, dass es bei Lachsfarmen in mehreren europäischen Staaten zu unangekündigten Durchsuchungen gekommen ist. Es stehen namentlich folgende Unternehmen unter dem Verdacht der Kartellbeteiligung: Mowi (früher: Marine Harvest), Grieg Seafood und Scottisch Sea Farms facility (Joint Venture von SalMar und Leroy Seafood). Es besteht der Verdacht, dass sich diese Unternehmen illegal abgesprochen und hiermit gegen EU-Kartellrecht verstoßen haben. Aufgrund dessen könnten Lachskäufer in Europa in der Vergangenheit möglicherweise zu hohe Preise für Lachs bezahlt haben.

Metallverpackungen

Nach bisherigen Erkenntnissen hatte das Bundeskartellamt (BKartA) aufgrund eines anonym eingegangenen Hinweises ein kartellrechtliches Ermittlungsverfahren gegen mehrere Hersteller von Metallverpackungen eingeleitet. Im März 2015 kam es zu Durchsuchungen an verschiedenen Standorten von Metallverpackungsherstellern. Konkreteres zum Zeitraum und zu den konkreten Absprachen ist noch nicht bekannt. Von den Durchsuchungen sollen nach Angaben des BKartA Hersteller von Metallverpackungen, darunter Hersteller von Dosen aus Weißblech oder Aluminium für die Abfüllung von Nahrungsmitteln, von chemisch-technischen Stoffen sowie von Vakuumverschlüssen für Gläser umfasst gewesen sein.

Das BKartA gab das Verfahren am 27.04.2018 an die Europäische Kommission ab, da die mutmaßlichen Verstöße sich wahrscheinlich nicht lediglich auf die deutschen Märkte beschränkten, sondern Hinweise dafür bestehen, dass weitere EU-Mitgliedstaaten betroffen sind.

Frederick Iwans ist US-Amerikaner und seit 1995 in Deutschland als Rechtsanwalt zugelassen. Seit dem 4. Januar 2021 ist er als Vorstand der FORIS AG für die Bereiche Prozessfinanzierung, Monetarisierung, Recht und Compliance verantwortlich. Iwans war in seiner Laufbahn seit 1995 u.a. Group General Counsel der GfK und United Internet.