Märkte auf den Spuren von Ikarus?

Wer Risiken unterschätzt oder ausblendet, läuft Gefahr, hart zu landen. Ikarus in der griechischen Mythologie ist ein mahnendes Beispiel. Von Tilmann Galler*

Das Phänomen lässt sich aktuell auch auf den Aktienmarkt übertragen. Denn globale Aktien sind seit Jahresanfang um 10% gestiegen – trotz weiterhin bestehendem Rezessionsrisiko. In den letzten Monaten preisten die Märkte nachlassende Inflationsrisiken und eine zukünftig moderatere Notenbankpolitik ein. Auch wenn sich diese Einschätzung nach und nach bestätigt, rückten die Risiken vielleicht etwas zu weit in den Hintergrund.

Denn diese sind noch nicht so weit zurückgegangen, wie es die Märkte weismachen wollen. Zumal die Rally in den USA vor allem von einigen Tech-Werten getrieben ist, die inzwischen wieder ein stark überdurchschnittliches Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) aufweisen. Für Anlegerinnen und Anleger ist daher weiterhin ein defensiverer Ansatz mit Fokus auf Qualität, Cashflows und Dividendenstärke sinnvoll, um einen Ikarus-Effekt im Portfolio zu vermeiden.

Wenige Wachstumsunternehmen treiben S&P 500 in die Höhe

So mahnen einige sehr spezifische Charakteristika der jüngsten Aktienrally zur Vorsicht. Erstens war die Marktbreite der Kursgewinne insbesondere in den USA sehr begrenzt. Die zehn wertvollsten Unternehmen im S&P 500 haben seit Jahresbeginn einen Kursanstieg von fast 25% erzielt und damit fast vollumfänglich die Gesamtrendite des Index erbracht. Zweitens war die positive Wertentwicklung fast ausschließlich eine Funktion der Bewertungsexpansion. […]

In einem Rezessionsszenario jedoch erscheinen die aktuellen Erwartungen eines leicht positiven Wachstums der Unternehmensgewinne für das Kalenderjahr 2023 sowie eines Wachstums von 10% für 2024 zu optimistisch. Die letzten drei Rezessionen haben vielmehr zu einem Rückgang der Unternehmensgewinne zwischen 20 und 40% geführt. […]

Bewertungen werden auf dem Boden der Tatsachen landen

Die Kombination aus der Erwartung niedrigerer Zinsen, höherer Aktienbewertungen und der Aussicht auf sinkende Unternehmensgewinne lässt uns – nicht zuletzt mit einer möglichen Rezession am Horizont – auf dem aktuellen Aktienmarkniveau vorsichtiger werden. Selbst wenn die FED die Leitzinsen in diesem Jahr nicht senken wird, müssten die Bewertungen der Mega-Cap-Technologie, und damit auch des Marktes, wieder auf dem Boden der Tatsachen landen. Bei Aktien gilt es daher auf Qualität, Cashflows und Dividendenstärke zu achten.

Tilmann Galler, J.P. Morgan AM

*) Tilmann Galler ist Executive Director und Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management

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