Gute Gründe – für europäische Banken

Wir sehen keine Übertragungen aus den USA und bleiben positiv bei den Aussichten für europäische Banken. Von Niall Gallagher*

Das Jahr 2023 war bisher von erheblichen Turbulenzen im regionalen US-Bankensektor geprägt. Im März der Zusammenbruch der Silicon Valley Bank im April der First Republic Bank und den folgenden Verkauf ihrer Überreste an JPMorgan Chase.

Diese Ereignisse haben dazu geführt, dass der europäische Bankensektor im bisherigen Jahresverlauf schlecht abgeschnitten hat, aber wir sind der Meinung, dass sich die europäischen Banken in einer ganz anderen Lage befinden als die regionalen Banken in den USA – wobei die im März in der Schweiz erfolgte Übernahme der Crédit Suisse durch die UBS ein Sonderfall war.

In der Tat haben wir seit einiger Zeit festgestellt, dass der Markt in Bezug auf die europäischen Banken zu pessimistisch ist, und da sich die Berichtssaison der Ergebnisse des ersten Quartals dem Ende zuneigt, sind eine Reihe von Punkten zur Stärke der europäischen Banken offensichtlich:

1. Die Gewinne der europäischen Banken im ersten Quartal haben die Erwartungen deutlich übertroffen, was zu weiteren Anhebungen der Ertragsschätzungen für die Jahre 2023 und 2024 geführt hat. Die Gewinnsteigerungen und Anhebungen resultieren aus einem deutlich höheren Nettozinsertrag, der auf die Auswirkungen der steigenden Zinsen auf die Bankbilanzen und Gewinne zurückzuführen ist. Der Übergang von negativen zu positiven Zinssätzen in Europa – und eine Normalisierung der Zinssätze auf eher historische Niveaus – war der Ausgangspunkt unserer These, dass die Rentabilität der europäischen Banken ‚transformiert‘ werden würde, was zu einem deutlichen Anstieg der Erträge und einer höheren Rendite auf das materielle Eigenkapital (ROTE) führen würde. Genau das sehen wir jetzt.

2. Die Einlagenbestände sind stabil, mit sehr begrenzten Abflüssen (typischerweise 0-2%). Während der Pandemie kam es zu einem starken Anstieg der Sparguthaben, was den Bankensektor dazu veranlasste, überschüssige Einlagen zu halten. Wir erwarten, dass die Einlagenbestände der Banken langsam zurückgehen, was auch der Fall ist – allerdings eher schleppend. Das Verhältnis von Krediten zu Einlagen liegt in der Regel weiterhin bei 80-90%, und die Liquiditätsdeckungsquoten überschreiten regelmäßig 150% und liegen damit weit über den gesetzlichen Mindestanforderungen.

Außerdem werden Einlagen nur in begrenztem Umfang gekündigt, so dass die ‚Betas‘ der Einlagen weiterhin sehr niedrig sind. Im Wesentlichen bedeutet dies, dass die Banken den größten Teil der Vorteile steigender Zinssätze für sich behalten. Wir erwarten, dass sich dies im Laufe der Zeit ändert, aber es ändert sich langsamer als erwartet, und das ist positiv für die Erträge der Banken.

3. Es gibt keine Anzeichen für Kreditstress oder Rezession. Die Wertberichtigungen für Kreditausfälle (LLP) liegen weiterhin unter dem Durchschnitt, sind aber unserer Meinung nach immer noch zu hoch, wenn man bedenkt, was die Banken in Bezug auf die Qualität ihrer Vermögenswerte erleben. Wir gehen davon aus, dass die Risikovorsorgen in diesem Jahr weiter sinken werden, was zu weiteren Ertragssteigerungen führt, da die Banken überversorgt sind.

Der Markt hat sich auf gewerbliche Immobilien konzentriert, und obwohl wir glauben, dass es Gründe gibt, sich über diese Anlageklasse Sorgen zu machen, sind die Engagements der Banken in diesem Sektor gering (weit unter früheren Zyklen) und die Beleihungsquoten sehr niedrig (typischerweise 40-50%). Kurz gesagt: 15 Jahre Schuldenabbau und Bilanzsanierung seit der globalen Finanzkrise haben die Bilanzen der europäischen Banken in einen sehr konservativen Zustand versetzt.

4. Positive Dynamik bei den Kapitalerträgen. Die Gesamtausschüttungsrendite (Dividendenrendite plus Rückkäufe) für den Sektor liegt bei etwa 12%, wobei einige Banken in den nächsten drei Jahren fast 50% ihrer Marktkapitalisierung in Form von Dividenden und Rückkäufen zurückgeben wollen und zahlreiche Banken mit Dividendenrenditen von fast 10% gehandelt werden. Die Prognosen für Dividenden und Rückkäufe wurden im Laufe der Berichtssaison für das erste Quartal weitgehend angehoben, wobei die Dynamik der Kapitalrenditen weiterhin positiv ist.

Abbildung: Relatives Kurs-Gewinn-Verhältnis der europäischen Banken; Quelle:  GAM Investment

5. Die Bewertungen des Sektors liegen fast auf einem Allzeittief. Der Sektor handelt derzeit etwa mit dem Sechsfachen der Gewinne, wobei die sehr starke Gewinndynamik ein relatives Kurs-Gewinn-Verhältnis von etwa 50% ergibt (siehe Abbildung). Dies ist der niedrigste jemals verzeichnete Wert, verglichen mit einem langfristigen Durchschnitt von 8%. Auf Basis des Kurses im Verhältnis zum materiellen Buchwert wird der Sektor mit dem 0,7-fachen gehandelt, was einer Rendite auf das materielle Eigenkapital von 12,5% entspricht, während der faire Wert des Sektors 100% über den aktuellen Aktienkursen und auf relativer Basis 60% höher liegt.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Sektor trotz eines sehr positiven Hintergrunds mit einer positiven Ertragsdynamik und niedrigen Bewertungen im bisherigen Jahresverlauf aufgrund der Ereignisse im regionalen US-Bankensektor schlecht abgeschnitten hat. Dennoch sehen wir keine Übertragungen aus den USA und bleiben positiv für die Aussichten des Sektors. Wie immer liegt der Schlüssel in einer aktiven Bottom-up orientierten Aktienauswahl.

Niall Gallagher

*) Niall Gallagher ist Investment Director Europäische Aktien, GAM Investments

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