
Der Markt für IPOs in Deutschland lahmt seit vielen Jahren. „Die Befragung unserer DVFA Investment Professionals zeigt, wie dringend Über- und Fehlregulierung samt den damit einhergehenden Erfüllungslasten abgebaut werden müssen. Entscheidende Bedingung ist jedoch eine stärkere und kontinuierliche inländische Nachfrage nach Aktien, staatlich aktiv gefördert oder zumindest regulatorisch effektiver organisiert, vor allem über die drei Säulen der Altersvorsorge“, stellt Thorsten Müller, Vorstandsvorsitzender des Verbandes, fest.
Regulatorische Anforderungen und Bürokratieaufwand als Haupthemmnisse
Angesichts anhaltender IPO-Flaute und Delistings fragte die DVFA, welche Faktoren Unternehmen in Deutschland in den letzten Jahren am ehesten von einem Börsengang abgehalten haben. Hier ergab sich ein klarer Schwerpunkt: Mehr als die Hälfte der kumulierten Mehrfachantworten entfiel auf Überregulierung (25%) sowie komplexe Kapitalmarktanforderungen, etwa Publizitäts- oder Berichtspflichten (24%).
Die andere Hälfte verteilte sich recht gleichmäßig auf die vier weiteren Antworten: Zu geringe Nachfrage, weil Anleger immer mehr auf passive Produkte der großen Indizes setzen und die diskretionäre Anlage auf dem Rückzug ist (15%), auf unzureichende Sekundärmarktliquidität (14%) sowie zu je 11% auf zu niedrige Bewertungen einerseits und auf attraktivere Investmentangebote durch Venture Capital- oder Private Equity-Investoren andererseits.
Marktferne, Überregulierung und geringe Bewertungen treiben Delistings
Ferner ging es darum, inwiefern die Zunahme an Delistings als ein Symptom für strukturelle Schwächen des deutschen Kapitalmarkts zu deuten ist. Übereinstimmend mit den Antworten zur ersten Frage, sieht mehr als jeder dritte Umfrageteilnehmer (34%) in den Delistings vor allem ein Symptom für Marktferne und Überregulierung und stimmt der Aussage zu, hier müsse die viel zitierte „Kettensäge“ angesetzt werden. Dann fänden auch wieder mehr Unternehmen den Weg auf das Börsenparkett. Über ein Fünftel (22%) der DVFA Investment Professionals empfiehlt allerdings, den Trend nicht zu hoch zu bewerten, da viele Unternehmen den Markt aufgrund der niedrigen Bewertung verließen. Die Lage könne sich nach dem nächsten Börsenaufschwung wieder ändern. Ein weiteres Fünftel (21%) erkennt dagegen in der Zunahme an Delistings ein deutliches Symptom für tieferliegende, strukturelle Schwächen. Der deutsche IPO-Markt zeige einfach zu wenig Nachfrage. Diese Tendenz ist jedoch für fast jeden Fünften der Antwortenden (19%) eher zyklisch bedingt und betrifft vor allem kleinere Titel.
Private und strategische Investoren sowie Ausland oft attraktiver als IPOs in Deutschland
Aus Sicht eines Börsenkandidaten sollten die DVFA Investment Professionals sodann einschätzen, welche Finanzierungsalternativen derzeit möglicherweise sinnvoller als ein deutsches IPO erscheinen. Dabei waren erneut Mehrfachantworten möglich. Hier wurde besonders die in den letzten Jahren stark gestiegene Bedeutung von Private Equity (33%) und strategischer Investoren (28%) deutlich, die an Platz eins und zwei rangieren. Rang drei der Antworten entfiel mit 22% auf IPOs im Ausland, die dort häufig einfacher und finanziell bzw. steuerlich attraktiver ausfallen. Kommentierend wurde auch auf die im Ausland oft bessere Abdeckung (Coverage) durch Analysten hingewiesen, gerade für Small und Mid Caps. Als sinnvolle IPO-Alternativen abgeschlagen landeten dagegen gemischte Kapitalformen wie Mezzanine oder stille Beteiligungen (10%) sowie Kredite, d.h. Fremdkapital von Banken (7%).
Auf die Hauptursachen zielende Maßnahmen vordringlich
Aus der Diagnose ergibt sich sinnvollerweise die Therapie. Daher fragte die DVFA im Anschluss nach den essenziellen Maßnahmen, damit Börsengänge in Deutschland für Unternehmen wieder attraktiv werden. Von den möglichen Mehrfachantworten entfiel die klare Mehrheit darauf, regulatorische Anforderungen, Bürokratie und Kosten zu senken (fast 40%) und die strukturelle Tiefe des Kapitalmarkts speziell für Aktienemissionen zu vergrößern (33%). Daneben verblasst mit 13% die Bedeutung der Fragmentierung bzw. eine dagegenwirkende Konsolidierung der Börsensegmente, ebenso die Förderung der Aktienattraktivität durch steuerliche Anreize für Ankerinvestoren (12%). Eine aktivere Ansprache durch die Handelsplätze hält kaum einer der Befragten für zielführend (%).
Die Perspektiven des deutschen IPO-Marktes: Herausfordernd, aber zu bewältigen, vorrangig von der Politik
Schließlich sollten die DVFA Investment Professionals perspektivisch die Entwicklung des IPO-Markts für wachstumsstarke Unternehmen in Deutschland einschätzen.
Bei dieser entscheidenden Frage überwiegen im Grunde die Optimisten, wenn auch einige mit gewisser Skepsis. Ein knappes Viertel der Teilnehmer (23%) hält die Aussichten eher für düster: Strukturelle Reformen wären hier dringend nötig, seien aber wohl nicht in Sicht. Aber ein starkes Viertel (26%) findet die Perspektiven durchaus chancenreich (18%) oder sogar eher positiv (8%). Das Segment litte unter der schwachen Performance von Small und Mid Caps, und wenn diese haussierten, pulsiere auch das IPO-Geschäft. Zur Jahrtausendwende habe man das gut sehen können. Ausschlaggebend sind jene 51%, die sich der Auffassung anschließen, dass die Perspektiven des deutschen IPO-Marktes zwar herausfordernd sind, aber gezielte Maßnahmen etwa auf fiskalischer Seite eine positive Entwicklung in Gang setzen können.
„Ein funktionierender IPO-Markt ist zentral für die Innovationskraft unserer Wirtschaft. Dafür braucht es weniger regulatorische Hürden und eine breitere Investorenbasis“, erläutert Thorsten Müller mit Blick auf die Umfrageergebnisse. „Andere Länder machen vor, wie es geht: In Schweden etwa fördert ein aktienbasiertes Altersvorsorgesystem gezielt die Beteiligung am Kapitalmarkt, mit positiven Effekten für Finanzbildung und Aktienkultur.“

Abb.: Wie schätzen Sie perspektivisch die Entwicklung des IPO-Markts für wachstumsstarke Unternehmen in Deutschland ein? Quelle: DVFA e.V.
Ein stabiler und attraktiver Börsenplatz lebt vor allem von nachhaltiger Nachfrage und ausreichender Liquidität. Impulse könnten u.a. durch ein steuerlich gefördertes Anlagesparkonto, ein pan-europäisches Pensionsprodukt sowie regulatorische Vereinfachungen bei Beratung, Prospekten und Haftung gesetzt werden. „Die Reformvorschläge liegen seit Langem auf dem Tisch, jetzt ist die Politik am Zug, den IPO-Standort Deutschland zukunftsfähig aufzustellen“, so Thorsten Müller abschließend.
Unsere neueste BondGuide-Jahresausgabe „Green & Sustainable Finance 2025“ ist frisch erschienen und kann vollkommen kostenfrei gelesen und heruntergeladen werden. Daneben können auch unsere weiteren Nachschlagewerke wie bisher als kostenlose E-Magazine bequem heruntergeladen, gespeichert & durchgeblättert werden.
! Bitte nutzen Sie für Fragen und Meinungen Twitter – damit die gesamte Community davon profitiert. Verfolgen Sie alle Diskussionen & News zeitnaher auf Twitter@bondguide !