
Wann D&O-Versicherungen bei Insolvenzpflichtverstößen nicht mehr zahlen: Der Deckungsmantel ist dünner als oftmals geglaubt. Von Arthur P. Vorreiter*
Ein Geschäftsführer, der bei eingetretener Insolvenzreife untätig bleibt, riskiert nicht nur zivilrechtliche und strafrechtliche Folgen – sondern verliert auch den Rückhalt seiner D&O-Versicherung. Das zeigt ein Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 5. März 2025 (Az. 7 U 134/23), das sich mit bemerkenswerter Deutlichkeit zur Frage der Haftung bei wissentlicher Pflichtverletzung äußert.
Im Zentrum stand die Klage eines Insolvenzverwalters gegen den D&O-Versicherer eines Geschäftsführers, der seine GmbH trotz offensichtlicher Zahlungsunfähigkeit fortgeführt und weiterhin Gehaltszahlungen geleistet hatte. Die Versicherung verweigerte die Leistung – unter Berufung auf eine Ausschlussklausel für vorsätzliches Fehlverhalten. Während die Vorinstanz noch eine Pflicht zur Deckung annahm, entschied das OLG nun gegenteilig: Die Pflichtverletzung sei derart grundlegend, dass der Versicherungsschutz entfalle.
Wissentlichkeit: Der Maßstab liegt tiefer, als viele glauben
Der Begriff der ‚wissentlichen Pflichtverletzung‘ wird in der Praxis oft missverstanden. Das OLG stellte klar: Es reiche aus, dass dem Geschäftsleiter die Pflicht objektiv bekannt war und er trotzdem entgegenhandelte – ein aktiver Vorsatz im strafrechtlichen Sinne ist nicht erforderlich. Bei besonders zentralen Organpflichten – wie der Antragspflicht aus § 15a InsO – dürfe im Zweifel von einem bewusst pflichtwidrigen Verhalten ausgegangen werden.
Im entschiedenen Fall sprach insbesondere die massive Anhäufung von Steuerschulden gegen die Argumentation des Beklagten, er habe die wirtschaftliche Lage seiner GmbH ‚verkannt‘. Dass er als Handwerksmeister möglicherweise keine juristische Ausbildung genossen habe, ließ das Gericht nicht gelten – denn unternehmerische Grundkenntnisse werden mit der Führung einer GmbH vorausgesetzt.
Kardinalpflichten: nicht verhandelbar, nicht entschuldbar
Das OLG Frankfurt betonte erneut die überragende Bedeutung der sogenannten Kardinalpflichten – jener Grundnormen, deren Missachtung nicht durch Unkenntnis oder Überforderung entschuldigt werden kann. Hierzu zählen:
– die unverzügliche Insolvenzantragspflicht bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung (§ 15a InsO),
– das Verbot unzulässiger Zahlungen nach Insolvenzreife (§ 15b InsO),
– und das Unterlassen jeder Form der Selbstbegünstigung zulasten des Gesellschaftsvermögens.
Wer diese Vorgaben ignoriert, handelt aus Sicht des Gerichts nicht fahrlässig – sondern pflichtwidrig im Sinne der Versicherungsbedingungen. Und genau dort setzt der Risikoausschluss ein.
Dogmatische Klarstellung: kein Nebeneinander, sondern funktionale Einheit
Ein weiterer Aspekt des Urteils verdient Beachtung: Die Richter lehnten es ausdrücklich ab, zwischen der Antragspflicht und dem Zahlungsverbot dogmatisch zu trennen. Beide seien funktional miteinander verbunden – wer keinen Antrag stellt, obwohl Insolvenzreife vorliegt, verantwortet auch spätere Zahlungen. Dieser Zusammenhang sei so eng, dass beide Pflichten im haftungsrechtlichen Sinne als einheitlicher Pflichtverstoß zu bewerten seien.
Signalwirkung: Versicherungsdeckel nicht grenzenlos belastbar
Schon mit Beschluss vom 16. Januar 2025 (Az. 7 W 20/24) hatte das OLG Frankfurt deutlich gemacht, dass bei offensichtlicher Insolvenzreife eine Haftung über die D&O-Versicherung regelmäßig ausgeschlossen ist. Das neue Urteil knüpft hier an: Und verschärft die Anforderungen an Geschäftsführer erneut. Die Schwelle zur Wissentlichkeit sinkt, der Beurteilungsmaßstab steigt.
Mit Spannung wird nunmehr die Entscheidung des Bundesgerichtshofs erwartet (Az. IV ZR 66/25), die über die Revision zu entscheiden hat. Sie dürfte erheblich mitbestimmen, wie weit der Schutzschirm von D&O-Versicherungen künftig reicht – und wo er endet.
Fazit für die Praxis
Insolvenzrechtliche Pflichten sind keine Formalien. Wer sie ignoriert, verliert mehr als nur juristische Reputation – im Zweifel nämlich seine persönliche Absicherung. D&O ist kein Freibrief: sondern ein Schutz, der Sorgfalt voraussetzt.
*) Arthur Vorreiter ist Fachautor für u.a. Wirtschaftsrecht und publiziert regelmäßig zu Fachthemen wie Insolvenz und Restrukturierungsrecht, grenzüberschreitenden Wirtschaftsthemen sowie Gesundheitswirtschaft und Kunstrecht
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