Was sagen uns die aktuellen Anleiherenditen? – jedenfalls nicht, dass Aktien fallen müssten

Anleiherenditen sind Teil der skeptischen und unberechenbaren ‚Mauer der Angst‘, die Bullenmärkte liebend gerne erklimmen. Von Ken Fisher*

Angesichts der Renditen zehnjähriger Bundesanleihen von fast 3% und noch höher liegender zehnjähriger US-Staatsanleihen mahnen Experten zur Vorsicht. Bären warnen, dass allein die niedrigen Zinsen den Anstieg der Aktien im letzten Jahrzehnt angetrieben haben – und die heutigen Zinsen bedeuten, dass das vorbei ist. Eine schöne Geschichte, die leider falsch ist, und ich sage Ihnen auch, warum.

In der Theorie geht man davon aus, dass Aktien und Anleihen um einen geringen Mittelbestand ringen. Angeblich ist die Volatilität von Aktien nur dann lohnenswert, wenn ihre ‚Gewinnrendite‘ – der Kehrwert des Kurs-Gewinn-Verhältnisses – die langfristigen Anleiherenditen übersteigt. Das stimmt allerdings nicht. Die durch die Inflation angekurbelten Erträge wachsen mit der Wirtschaft. Die Konjunkturschwankungen führen häufig zu einer Verzerrung der Kurs-Gewinn-Verhältnisse in jungen Bullenmärkten – wie es jetzt auch der Fall ist.

Warum ist das so? Aktien sind zukunftsgerichtet. Gewinne sind vergangenheitsgerichtet. Sind die Aktienrenditen schlecht, sinken die Gewinnprognosen der Analysten. Das Ergebnis sind niedrigere Gewinne und höhere Kurse, was die Renditen drückt – genau wie jetzt. Viele befürchten, dass die Gewinnrendite des amerikanischen S&P 500 die zehnjährigen US-Staatsanleihen um nur 1 Prozentpunkt (ppt) übertrifft. Aber niedrige Spreads halten Bullenmärkte nicht auf.

Kampf um Anleiherenditen oder Aktiengewinne?

Kampf um Anleiherenditen oder Aktiengewinne?

Von 1996 bis 1999 lag die durchschnittliche Gewinnrendite von US-Aktien 0,33 ppt unter der durchschnittlichen Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen. US-Aktien stiegen in USD um 155%. Auch hohe absolute Anleiherenditen sorgen nicht für einen Aktiencrash. Zehnjährige Bundesanleihen lagen in den 1980er Jahren bei durchschnittlich 7,7 und in den 1990er Jahren bei 6,7% und spiegelten damit die hohen Zinsen in ganz Europa wider. Dennoch stiegen die deutschen Aktien im ersten Zeitraum um 343 und im zweiten um 287%. Die zehnjährigen US-Renditen betrugen in diesen Jahrzehnten durchschnittlich 10,6 und 6,7% Und die US-Aktien? Sie stiegen in Dollar um 400 und 433%. Warum?

Im Gegensatz zu Anleihen sind Aktienrenditen nicht durch Kuponraten gedeckelt. Sie profitieren von einem unbegrenzten Wirtschaftswachstum. Und sie zahlen sich aus. Unternehmen können Aktien zurückkaufen, wodurch das Angebot schrumpft und der Gewinn pro Aktie steigt. Das ist bei Anleihen nicht möglich. Und wenn die langfristigen Zinssätze weiter steigen, fallen die Kurse der bestehenden Anleihen, was die Renditen schmälert. Zudem spiegeln Anleihen die Inflationserwartungen wider.

Höhere Renditen signalisieren eine höhere Inflation und verringern infolgedessen den zukünftigen Wert von Anleihen. Aber Unternehmen können die Kosten weitergeben, sodass Aktien die Inflation letztlich besser überstehen. Ja, die Aktien sanken, als die Inflation im Jahr 2022 in die Höhe schoss, was aber vor allem auf die Börsenstimmung zurückzuführen war. Auch Anleihen verloren an Wert. Bedenken Sie jedoch: Die Bruttogewinnmargen deutscher Unternehmen lagen im 2. Quartal bei 25,3% und damit über den 24,7% vom Jahresende 2021. Bei den Unternehmen des S&P 500 waren es 32,7%, also nur ein knapper Rückgang von 33,6%. Das Abflauen der Inflation bedeutet, dass der Anstieg der Renditen nicht lange anhalten wird.

Ken Fisher

Was ist mit den Zinserhöhungen der EZB und der US-Notenbank? Anfang 2022 fielen die Aktien, aber der Überraschungseffekt ist jetzt dahin. US-amerikanische und deutsche Aktien kletterten trotz weiterer Zinserhöhungen über die Tiefststände des vergangenen Jahres. Zinssätze geben nicht die Richtung der Aktien vor. Die Korrelation zwischen deutschen Aktien und den Renditen zehnjähriger Bundesanleihen liegt bei 0,01, das heißt, es besteht so gut wie kein Zusammenhang, da 1,00 für einen Gleichschritt steht und -1,00 für das genaue Gegenteil. Die Korrelation zwischen US-Aktien und zehnjährigen US-Staatsanleihen von 0,24 ist ebenfalls bedeutungslos. Lassen Sie sich also von Zinssätzen nicht einschüchtern. Sie sind Teil der skeptischen und unberechenbaren ‚Mauer der Angst‘, die Bullenmärkte liebend gerne erklimmen.

*) Kenneth Lawrence Fisher ist ein US-amerikanischer Investment-Analyst sowie Gründer und Vorsitzender von Fisher Investments, einer Firma für Finanzberatung und Vermögensverwaltung mit Sitz in Camas, Washington. Mitte 2007 hatte seine Vermögensverwaltung eine Beteiligung an der deutschen Grüner Investments GmbH erworben, seither lautet der Firmenname der Deutschland-Sparte Grüner Fisher Investments GmbH.

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