Kommt nach der Inflation jetzt die Deflation?

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Selbst Sorge vor einer Rezession konnte den Optimismus nicht beeinträchtigen. Droht nach der Inflation gar eine Deflation? – von Andrea Quapp*

Mancher Anleger reibt sich verwundert die Augen. Das schärfste geldpolitische Bremsmanöver der vergangenen 40 Jahre scheint bis jetzt ohne größere Verwerfung an Börsen und Konsumenten vorüberzugehen. Vor allem die US-Wirtschaft prosperiert, es herrscht Vollbeschäftigung, Arbeitskräfte sind knapp und die Konsumausgaben steigen. Der amerikanische S&P-500-Index hat seit Jahresbeginn annähernd 20% zugelegt, seit dem Tief im Herbst 2022 sind es gar fast 30%.

Für einmal werden die Aktien am Ende des Wirtschaftszyklus nicht zur Schwäche neigen, denn neue Themen wie Investitionen in den Klimaschutz und alternative Energien, das Aufkommen der künstlichen Intelligenz und gigantische Konjunkturprogramme in den großen Wirtschaftsblöcken USA, EU und China werden dafür sorgen, dass die Börsen weiter prosperieren. Ein Nachlassen der Inflation lässt das Ende des Zinserhöhungszyklus greifbar nahe erscheinen. Doch die inverse Zinskurve verunsichert die Anleihen- und Immobilieninvestoren, denn diese Konstellation deutet oft auf eine Rezession hin.

Trotz holpriger Jahre herrscht Optimismus bei Investoren

Die Finanzmärkte verfallen nur in Panik, wenn die Teilnehmer überrascht werden. An Ereignissen, die eine solche hätten auslösen können, mangelte es in der jüngsten Vergangenheit nicht. Doch die Märkte ließen sich von den Nachwehen der Pandemie, stark steigender Inflation und darauf reagierende Notenbanken, dem Angriffskrieg Russlands in der Ukraine sowie der Verschlechterung der Lage zwischen China und dem Westen sowie dem Kriechgang der Wirtschaft in der Volksrepublik nicht verunsichern – oder vertrauten auf das Eingreifen von Staat und Zentralbanken.

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Auch die Angst vor der Rezession konnte den Optimismus nicht beeinträchtigen. Die Anleger gewichteten den florierenden Arbeitsmarkt und den stabilen Konsum höher als die stark gestiegene Teuerung und die sich verschlechternde Lage in der Industrie. Nun scheint ein großes Stück der Talsohle durchschritten, ohne dass es insbesondere an den Börsen zu den erwarteten Verwerfungen gekommen wäre. Ein sich abzeichnender Aufschwung im Halbleitersektor, große staatliche Investitionen in nachhaltige Energieerzeugung und Infrastruktur sowie der Umstand, dass künstliche Intelligenz einen neuen Tech-Zyklus verspricht, eröffnen ein vielversprechendes Umfeld für Aktienengagements.

Inverse Zinskurven als Warnsignal

Am Anleihenmarkt ist die Erfahrung abhandengekommen. Nachdem die Renditen von sicheren Staatsanleihen seit den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in der Tendenz nur sanken, sind viele weniger erfahrene Teilnehmer mit dem komplett veränderten Umfeld der vergangenen Monate überfordert. Nach heftigen Interventionen der Notenbanken als Reaktion auf die stark gestiegene Teuerung dürfte der Erhöhungszyklus auf oder kurz vor dem Zenit stehen. US- Staatsanleihen mit Renditen von 4%, 3% in Deutschland und 1% in der Schweiz bieten kompetitive Erträge. Die Einstiegsgelegenheiten werden aber weniger, da heftige Kursauschläge der Vergangenheit angehören dürften.

In dieser Marktphase empfiehlt das Lehrbuch, dass die Duration erhöht wird. Doch eine Inflation, die beharrlich hoch bleibt, weil Rohstoffe und Lebensmittel und Löhne weiter steigen, würde gegen eine solche Strategie sprechen.

Neue Aktien-Themen trotzen dem Sturm

Die größte Überraschung des bisherigen Aktienjahres dürfte wohl die starke Performance der Börsen sein. Insbesondere der Aktienmarkt USA legte so stark zu wie nur in wenigen ersten Halbjahren der Geschichte. Immer wieder wird dabei darauf hingewiesen, dass die US-Börsen von wenigen sehr großen Technologietiteln wie Nvidia, Apple, Tesla und Amazon getrieben werden. Im Kampf gegen den Klimawandel und mit der Absicht die Abhängigkeit von China zu reduzieren, hat die US-Regierung ein Konjunkturpaket der Superlative auf die Beine gestellt, das neuen Sektoren und Industrien sowie deren Aktien Schub verleihen wird.

Überraschend ist dabei, dass die Einkaufsmanagerindizes – die als verlässliche Vorlaufindikatoren gelten – in den USA und Europa in den vergangenen Monaten deutlich eingebrochen sind. Im Industriebereich künden sie dabei in allen drei Regionen seit einigen Wochen eine Kontraktion an. Als Faustregel gilt, dass man wieder damit beginnt, Aktienengagements aufzubauen, wenn die Einkaufsmanagerindizes unter der Wachstumsschwelle liegen, weil die größte Abschwächung schon vorbei ist und die Vorlaufindikatoren bereits wieder nach oben tendieren. Auch hier zeigt sich, dass die zyklische Aktienkorrektur wahrscheinlich ausbleibt.[…]

Andrea Quapp

Andere alternative Anlagen mit höheren Risiken und ohne – wie etwa Gold – oder ungewissen Ertragsaussichten verlieren im aktuellen Zinsumfeld an Attraktivität. Eine sich abschwächende globale Konjunktur belastet zudem die Rohstoffpreise. Mit einer Produktionskürzung konnten Saudi-Arabien und die OPEC beim Erdöl nur kurz Gegensteuer geben. Nicht täuschen lassen dürfen sich die Anleger vom Vorstoß des weltgrößten Vermögensverwalters in den Kryptobereich. Blackrock hat bei der US-Börsenaufsicht ein Antrag für einen Bitcoin-ETF eingereicht. Finanzinstitute bieten gerne das an, was Kunden nachfragen. Das ändert nichts daran, dass Bitcoin ein digitaler Eintrag in einer dezentralen Datenbank ohne intrinsischen Wert und mit wenig Akzeptanz als Zahlungsmittel bleibt.

*) Andrea Quapp ist Investment Director für Multi Asset Class Solutions (MACS) bei GAM Investments

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