Denkansätze zur Coronakrise und ihrer Folgen

Toilettenpapier

Implikationen für die Inflation

Einige Experten erwarten aufgrund des Missverhältnisses zwischen Geldmenge und Wirtschaftsleistung stark erhöhte Preissteigerungsraten. Diese würden die Zinsen ansteigen lassen und für Besitzer von Anleihen zwischenzeitliche Kursverluste oder gar noch höhere Ausfallraten bedeuten. Allerdings würden höhere Zinsen auch die Refinanzierung der Staaten erschweren, weshalb allein schon ein Interesse an einer Fortführung des jahrelangen strukturell niedrigen Zinsniveaus bestehen dürfte. Die EZB wird aus Ihrer „Hüterin der niedrigen Zinsen“-Rolle im Sinne der südlichen Eurozonen-Mitgliedstaaten kurzfristig nicht entkommen – zumindest nicht ohne eine Neuauflage der Euro-Staatsschulden- bzw. Vertrauenskrise zu riskieren. Somit sind langjährige Wertpapierkaufprogramme nicht unwahrscheinlich, um das Zinsniveau allgemein zu drücken.

Zudem wäre eine erhöhte Inflation aus Sicht der Notenbank sogar wünschenswert, da das EZB-Ziel von nahe 2% in den letzten Jahren – trotz ultra-expansiver Geldpolitik – nie erreicht wurde. Im Gegenteil sind die Inflationserwartungen trotz hoher Auslastung des Arbeitsmarktes und boomenden Wachstums (z.B. in den USA und Deutschland) seit Jahren sogar stetig gesunken.

Aus Sicht eines Schuldners sind niedrige Nominalzinsen und eine relativ hohe Inflationsrate wünschenswert, denn dadurch reduziert sich laufend der reale Wert der Schulden. Hinzu kommen einige grundsätzliche deflationär wirkende Entwicklungen, wie die Digitalisierung, der Wandel von Industrie- zu Dienstleistungsgesellschaften und damit ein niedrigerer gewerkschaftlicher Organisationsgrad sowie die Demografie in den westlichen Industrienationen, die zu einem erhöhten Sparvolumen zulasten der Ausgaben führt.

Kurzfristig ist entscheidend, ob nach der Krise die Nachfrage viel schneller als die Produktion deutlich anspringt und daher über einen längeren Zeitraum nicht mengenmäßig ausreichend bedient werden kann. Selbst dann dürften aber erhöhte Preissteigerungsraten nur vorübergehend eintreten.

Sind möglichst günstige Zulieferer und „just-in-time“ noch gefragt?

Unternehmen werden sich überlegen, ob sie wie vor der Krise wirtschaften können bzw. wollen. So wurde einigen Industrien schmerzlich aufgezeigt, was Abhängigkeiten von einzelnen Zulieferern oder Zulieferer-Regionen bedeuten kann. Fällt die Lieferung eines wichtigen Bauteils aus, steht die komplette Produktion still. Die Kosten dafür dürften selbst jahrelang gesparte Ausgaben durch den vielleicht günstigsten Einkauf in einem Billiglohnland übersteigen. Hinzu kommt, dass auch die vordergründig kostengünstige „Just-in-time“-Produktion, bei der Zuliefer- und Produktionstermine genau aufeinander abgestimmt werden, sehr teuer werden kann, wenn bei Zuliefer-Engpässen kein Lager vorhanden ist. Viele Produktionsprozesse dürften vor diesen Hintergründen eine neue Einwertung erfahren und eine Diversifikation von Zulieferern, ggf. eine tiefere Wertschöpfungskette – also die eigenständige Herstellung von Vorprodukten – und die Investition in Lagerkapazitäten forcieren.

Globalisierung wird hinterfragt

Der Grenznutzen einer weiteren Globalisierung lag schon vor der Krise nahe Null. Die großen Produktivitätsgewinne durch die weltweite Arbeitsteilung und vor allem durch die Nutzung günstigerer Lohnniveaus in Schwellenländern wurden in den vergangenen 30 bis 40 Jahren erzielt. Besonders China kann und will die Rolle als „billige Werkbank der Welt“ angesichts des steigenden Wohlstands und damit steigender Löhne nicht mehr einnehmen. Vielmehr entwickelt sich China weg von der industriellen Massenproduktion und hin zu einem führenden Technologiestandort sowie wahrscheinlich auch der größten Wirtschafts- und Militärmacht der Welt.

Die Krise wird die Ablösung der USA als Wirtschaftsnation Nummer 1 beschleunigen und die Skeptiker der grenzenlosen Globalisierung unterstützen. Auch wird der ungezügelte globale Personenverkehr die Vorkrisenniveaus möglicherweise nicht mehr erreichen. Die Abdeckung strategisch wichtiger Produktionskapazitäten wird verstärkt im Inland vorgenommen (z.B. Gesundheit, strategische Infrastruktur etc.). Um dies zu realisieren, dürften auch Staatskonzerne in bestimmten Sektoren eine Renaissance erleben.

Digitalisierung und Technologisierung erhalten Vorschub

Die Nutzung neuester technologischer Entwicklungen wird eine viel größere Rolle spielen. Einerseits wurde den Menschen in weniger stark digitalisierten Volkswirtschaften zwangsweise ein Schnellkurs in der Nutzung von Online-Tools und -Dienstleistungen gewährt. Die Erkenntnis ist, dass heutzutage vieles online erledigt werden kann und sich z.B. einige ehemals bedenkenlos durchgeführte Dienstreisen und Präsenzveranstaltungen erübrigen. Andererseits helfen Digitalisierung, Robotik, Automatisierung und die Nutzung Künstlicher Intelligenz (KI) dabei, bestehende Abhängigkeiten zu reduzieren, bspw. durch die Möglichkeit einzelne Bauteile über einen 3D-Drucker herzustellen.

Renaissance der Staatswirtschaft?

Das im Zuge der Coronakrise erreichte Niveau an staatlichen Interventionen sowie die enormen Eingriffe in die Privatwirtschaft und in grundlegende Menschenrechte – wie Bewegungsfreiheit oder Datenschutz – war in den letzten Jahr

Ostern 2020

zehnten unvorstellbar. Selbst kleinste Aspekte, wie etwa Abstandsregelungen in Restaurants dürften noch eine längere Zeit ihre Gültigkeit behalten. Wären in den kommenden Monaten zwecks Abfederung der wirtschaftlichen Schäden auch noch staatliche Beteiligungen nötig, würde dies kurzfristig zur Stabilisierung beitragen. Fraglich ist jedoch, ob die Regierungen genauso schnell wie sie geholfen haben, auch den Rückzug aus dem Dirigismus antreten werden bzw. können. Eher ist damit zu rechnen, dass staatliche Eingriffe in persönliche und gewerbliche Freiheiten sowie Beteiligungen ebenfalls noch lange bestehen bleiben und ggf. in einzelnen Bereichen – wie dem Gesundheitswesen – sogar noch erweitert werden.

Schlussfolgerungen für Anleger

Die Zinslandschaft im Segment der Staatsanleihen mit bester Bonität wird sich noch länger auf niedrigsten Niveaus bewegen. Zur Finanzierung der enorm ausgeweiteten Staatsschulden sind Staaten auf niedrige Nominalzinsen angewiesen, am besten unterhalb der Inflationsrate. Die resultierende finanzielle Depression entspricht einer langfristigen sukzessiven Umverteilung vom Sparer bzw. Gläubiger der Anleihen zum Schuldner, der real – also in Kaufkraft gemessen – weniger zurückzahlen muss, als er aufgenommen hat.

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