Arenen des digitalen Wandels: Banken als Blockchain-Knoten?

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In den letzten 15 Jahren gab es viel Druck auf das Geschäftsmodell von Banken: Minuszinsen, die Digitalisierung im Allgemeinen, Fintechs im Besonderen und neuerdings Krypto-Techs mit einem ganz anderen Technologie-Ansatz. In den letzten 500 Jahren hat sich das „Modell Bank“ gleichwohl als erstaunlich resilient erwiesen. Von Hartmut Giesen*, Business Development & digitale Geschäftsmodelle, Sutor Bank

Auch das Aufkommen der Fintechs in den 2010er-Jahren hat den Banken nicht viel anhaben können. Sicherlich haben sie Bewegung in den Sektor gebracht – manche Fintechs haben Banken gekauft, andere wurden ihrerseits von Banken übernommen. Aber die Revolution, von der einige Propheten glaubten, sie würde über die Banken hinwegfegen, ist ausgefallen. Das Geschäftsmodell ist weiterhin in Takt, und Banken funktionieren auch technologisch weiterhin wie seit jeher, auch wenn die Prozesse zum Teil digitalisiert wurden.

Nun steht die nächste Revolution an, der auch eine Banken-stürmende Kraft nachgesagt wird: die Blockchain-Revolution. Auch diese werden Banken zumindest als regulierte Entitäten überleben – zu wichtig ist die Bank als „Schnittstelle“ zwischen der Wirtschaft und dem Staat, über den dieser finanzpolitisch und gesetzgebend-überwachend auf die Realwirtschaft Einfluss nehmen kann.

Doch die Technologie kann potenziell die technologische Architektur von Banken und damit deren Geschäftsmodell stark verändern. Denn tatsächlich ist sie eine technische Revolution: Sie setzt die Digitalisierung von Informationen, wie wir sie bisher kannten, durch die Digitalisierung von Werten fort. Um das Veränderungspotenzial der Blockchain-Technologie ermessen zu können, lohnt sich ein Blick auf das „Ur-Geschäftsmodell“ von Banken und wie es bisher durch Innovationen verändert wurde.

Das Basis-Geschäftsmodell von Banken
Banken erzeugen, verarbeiten und verbreiten Werte, im Wesentlichen Geld und Wertpapiere. Diese basieren zwar dinglich auf Banknoten und Zentralurkunden, aber durch Banken wurden sie insofern „entdinglicht“, als dass die Aussage einer Bank, dass Banknoten oder Wertpapiere bei ihr hinterlegt sind, als Garantie für ihre Existenz gilt. So konnte die Bank eines Kunden A der weit entfernten Bank eines Kunden B mitteilen, dass z.B. der Kaufpreis für eine Ware eingegangen ist, bevor das Geld dorthin transportiert wurde. Erst diese Entdinglichung von Geld und Wertpapieren hat die moderne Finanzwirtschaft möglich gemacht.

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Bei entdinglichten Werten stellt sich immer die Frage, wie das Eigentum an diesem Wert festgestellt und protokolliert werden kann. Diese Aufgabe lösten Banken, indem sie Konten und Depots einführten, die den Besitz von Geld oder Wertpapieren festhalten, und indem sie den Transfer des Besitzes als vertrauensvolle Dritte protokollieren. Darüber hinaus können Banken Wert in Form von Geld durch die Kreditvergabe selbst erschaffen.

Die IT machte im Laufe der Zeit immer größere Banken mit größeren Bilanzen möglich, denen effizientere Systeme für Zahlungsverkehr, Kreditwesen und Kapitalmärkte zur Verfügung standen, um komplexere Finanz-(Werte-)Transaktionen möglich zu machen. Sieht man von Finanzproduktinnovationen für Spezialanwendungen ab, änderten sich weder das „Basismodell“ Banken noch deren Produkte und Prozesse. Nur liefen sie jetzt mehr oder weniger IT-basierend ab.

Fintechs digitalisieren Frontends
In den 2010er-Jahren begannen Fintechs die Möglichkeiten der digital-mobilen Vernetzung zu nutzen und entwickelten tatsächlich neue Geschäftsmodelle, die Banken bisher nicht angegangen waren: Robo Advising, Peer-to-Peer-Lending, Social Trading oder Crowd Funding. Manches Fintech ist damit zum „Unicorn“ geworden.

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Bei näherem Hinsehen waren aber diese Geschäftsmodelle nur klassische Banking-Services – jedoch mit einer sehr viel höheren Benutzerfreundlichkeit. Die „Finanz-Frontends“ wurden mobilen Apple- und Android-Standards angepasst, „Mobile First“ wurde zum Gestaltungsprinzip und Kundenprozesse, wie z.B. grenzüberschreitender Geldverkehr, die Kreditvergabe oder die Geldanlage wurden effizienter und einfacher gemacht. Hinter jedem Fintech stand aber immer noch eine Bank, die die eigentlichen Finanztransaktionen ausführte und überwachte.

Nicht-digitalisierte Werte und Regulierung schützten Banken
Dass Banken weiterhin im Zentrum jedes Fintech-Geschäftsmodells standen, hatte einen technischen und einen (aufsichts-)rechtlichen Grund. Der technische Grund ist, dass Werte sich bislang zwar schon digital als Daten darstellen ließen, ihr Vorhandensein und ihr Transfer aber weiterhin den vertrauensvollen Dritten benötigt, der dies beglaubigt. Dieser Akt ließ sich nicht digitalisieren. Deshalb blieben die Banken mit ihren Core-Banking-Systemen auch technisch im Zentrum der „neuen“ Finanzwelt.

Der rechtliche Grund: Staaten wollten auch weiterhin, dass Finanzgeschäfte nur Unternehmen durchführen, die von ihnen streng beaufsichtigt werden. Zu wichtig ist ein funktionierender, stabiler Finanzsektor für die Realwirtschaft und die Geldwertstabilität für eine funktionierende Volkswirtschaft.

Deshalb blieb Fintechs nichts anderes übrig, als mit Banken zu kooperieren – was die meisten taten – oder selbst zu Banken zu werden. Ein Weg, den auch einige gingen. Das hat auch verhindert, dass in der Finanzbranche wirklich disruptive Geschäftsmodelle entstehen konnten, wie etwa Streaming- oder Social-Media-Plattformen im Medienbereich, Software-as-a-Service oder Cloud-Computing im Technologie-Sektor oder Plattform-Geschäftsmodelle in Werbung, Handel, Tourismus etc.

Blockchain verändert Banken – aber diese werden überleben
Mit der Blockchain, hier synonym für alle dezentralen Technologien genutzt, ändert sich die technologische Lage jetzt aber auch in der Finanzbranche grundlegend: Das Konzept, das Satoshi Nakamoto für den Bitcoin erstmals entwickelt hat, ermöglicht erstmals die digitale Erzeugung, Verbreitung und Verarbeitung von nicht-dinglichen Werten, ohne dass eine Bank diese Aktivitäten ausführt oder beglaubigt.

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Die digitalen Konsensprozesse, die Teil jeder Blockchain sind, übernehmen jetzt die Aufgabe der Banken. Vertrauen wird digitalisiert, und damit wird die vollständige Digitalisierung von Werten möglich. Werte lassen sich nun wie Informationen schaffen, verarbeiten und verbreiten.

Und da die Blockchains sich als Layer auf die existierende Internet-Infrastruktur legen, gibt es auch schon die Railways für den unbegrenzten Wertetransfer. Die zuerst mit Ethereum entwickelte Blockchain-Erweiterung, mit der Werterzeugung oder -transfer in technisch codierte Bedingungsketten – sogenannte Smart Contracts – eingebettet werden kann, reduziert die Rolle der Banken als einzige Instanz, die Finanztransaktionen ausführen kann, weiter.

Obwohl die Digitalisierung von Werten wahrscheinlich die gleichen umwälzenden Auswirkungen haben wird wie die Digitalisierung von Informationen, werden Banken weiter bestehen. Denn die Staaten werden wie bisher darauf bestehen, dass die Finanzwelt reguliert bleibt. Sie sind unverzichtbar als Regulierungshubs und makroökonomische Transmissionsriemen, über die sich das gesamte Finanzsystem kontrollieren und steuern lässt.

Staaten benötigen Banken weiterhin, damit Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung und sonstige Straftaten im Sinne des GWG verhindert werden. Genauso werden sie von Zentralbanken benötigt, die durch das Setzen von geldpolitischen Parametern die Geldschöpfung und Kreditvergabe von Geschäftsbanken beeinflussen und damit für die Stabilität von Wirtschaft und Geld sorgen.

Banken als Blockchain-Knoten und Wallets – neue Geschäftsmodelle
Aber die technische Infrastruktur von Banken wird künftig wahrscheinlich komplett anders aussehen: Statt Core-Banking- und Wertpapier-Handelssystemen betreiben sie Blockchain-Knoten und bieten Wallets an, in denen digitale Währungen gehalten werden.

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Die Parameter für die Geldschöpfung und Kreditvergabe werden von Zentralbanken in die Protokolle der entsprechenden Blockchains programmiert. Kapitalmarktakteure sind über Blockchains vernetzt, die Schnittstellen zu den Geld-Blockchains besitzen. Die Vergabe von Krediten oder der Handel von Wertpapieren werden durch Smart Contracts automatisiert ausgeführt.

Dass die Banken als regulierte Entitäten erhalten bleiben, heißt nicht unbedingt, dass die heutigen Banken als Unternehmen bestehen bleiben. Denn sie müssen die technische Transformation von der heutigen zentralen „Core-Banking-Architektur“ zu dezentralen Blockchain-Netzwerken schaffen und ihre Prozesse daraufhin ausrichten. Tun sie dies nicht, laufen sie Gefahr, von den heute noch unregulierten Krypto-Techs abgelöst zu werden. Schon jetzt ist sichtbar, dass erfolgreiche Krypto-Unternehmen Lizenzen erwerben oder Banken kaufen, um ihr Geschäft regulierungsfest zu machen.

Optimierungspotenzial der Blockchain zwingt zur Innovation
Schon jetzt wird sichtbar, welche gewaltigen Optimierungspotenziale die Blockchain-Technologie hat. Klar wird dies, wenn man betrachtet, welchen Wandel eine Blockchain-basierende digitale Zentralbankwährung bedeuten würde, an der heute bereits eine Reihe von Staaten inklusive der EU arbeiten (CBDC, Central Bank Digital Currency).

Im Gegensatz zu anderen längst im Gebrauch befindlichen digitalen Geldformen auf Konten, Karten oder Wallets, die eine Forderung der Kunden gegenüber Geschäftsbanken auf die Herausgabe von Bargeld (= Papiergeld) darstellt, sind die CBDC wie Bargeldforderungen gegenüber Zentralbanken. CBDC ersetzen Papiergeld als bisher einzige Form von Zentralbankgeld. Digitales Zentralbankgeld kann von seinen Besitzern in eigenen Wallets statt auf Bankkonten gehalten werden. Seine Besitzer können es direkt transferieren, ohne dass jede Transaktion durch das Bankensystem läuft und nach ein bis drei Tagen abgeschlossen ist. Damit werden Konten und Einlagen bei Banken überflüssig, genauso wie die gesamten Zahlungsverkehrssysteme, die Banken mit großem Aufwand unterhalten. In der Konsequenz fallen wesentliche Säulen des traditionellen Bankengeschäftsmodells weg.

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Darüber hinaus fallen Prozesse und damit verbundene Systeme weg, weil CBDC-Transaktionen in Echtzeit ablaufen und Gegenparteirisiken verschwinden, die bisher Banken als vertrauenswürdige Intermediäre, gewissermaßen als Geldnotare, gemanagt haben. Das bedeutet aber auch, dass Kunden nicht um ihre Einlagen bangen müssen, falls eine Bank einmal in Schieflage geraten sollte; Einlagensicherungsfonds verlieren damit ihren Sinn. Banken werden so – zumindest zum Teil – von Bilanz- zu Service-Unternehmen.

Vom technischen Frontend zur End-to-End-Revolution
War die Fintech-Revolution in erster Linie eine Frontend-Revolution, so ist die sich anbahnende Blockchain-Revolution eine End-to-End-Revolution, die Geschäftsmodelle, Kernprozesse und -technologien betrifft. Die wahren Auswirkungen der Blockchain-Revolution werden wir – Unternehmen und Kunden – aber vielleicht erst in ein paar Jahren erleben und spüren.

Andrew McAfee und Erik Brynjolfsson haben in „Machine, Platform, Crowd“ dargestellt, dass disruptive Technologien erst in der jeweils nächsten Unternehmensgeneration ihr volles Potenzial entfalten. Nach der Erfindung der Elektrizität ersetzten die Unternehmen die zentralen Dampfantriebe zunächst einfach durch zentrale Elektromotoren. Erst später lernten sie das Dezentralisierungspotenzial gezielt einzusetzen und bauten Elektromotoren direkt in die Maschinen an den Aktoren ein, um damit Industrieanlagen mit ganz neuen Ausmaßen zu konstruieren.

Ähnlich wurden in der ersten Digitalisierung in allen Branchen erst nur die Prozesse digitalisiert, bevor damit begonnen wurde, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln – dies waren dann in der Regel die Newcomer, die damit mobile Smartphones oder Plattformen bauten.

Hartmut Giesen, Sutor Bank

Das beobachten wir auch in der Adaption der Blockchain-Technologie: Im ersten Schritt werden bestehende Prozesse „blockchainisiert“, erst dann kommen die Blockchain-basierenden Geschäftsmodelle – mit dem Unterschied, dass die Regulierung für diese Geschäftsmodelle Lizenzen vorschreiben wird. Die Möglichkeiten von dezentraler Geldschöpfung, programmierbarem Geld, Smart Contracts oder der Tokenisierung von Werten aller Art werden erst die Banken der nächsten Generation erkennen und in neue Geschäftsmodelle umsetzen, die wir heute noch gar nicht absehen können. Der Bankensektor wird damit in den nächsten Jahren zu einer der spannendsten Arenen für den digitalen Wandel werden.

*) Hartmut Giesen realisiert für die Sutor Bank digitale Geschäftsmodelle. Zu seinen Aufgaben gehören das Business Development Fintech, Krypto & Blockchain und digitale Partner sowie der Auf- und Ausbau der Sutor-Banking-Plattform.