Angst made in Deutschland

Viele Jahrzehnte lang gab es in Deutschland und in den USA Zeiten geteilter wirtschaftlicher Unsicherheit. Aktuell läuft die Schere auseinander. Von Robin Winkler*

Nachrichtenbasierte Unsicherheitsindizes für die USA und Deutschland waren stark korreliert. Von den USA ausgehende Schocks wie der 11. September 2001 oder die Finanzkrise lösten in Deutschland eine erhöhte politische Unsicherheit aus. Und Schocks, die von Europa ausgingen – die Staatsschuldenkrise oder der BrExit – erhöhten die Unsicherheit in beiden Volkswirtschaften. Im Vergleich zu solchen externen Schocks verursachten selbst wichtige wirtschaftspolitische Debatten in Deutschland, wie die Agenda-Reformen Mitte der 2000er Jahre, wenig Unsicherheit.

Dieses historische Muster ist jedoch seit der Corona-Pandemie verschwunden, nachdem es sich in den späten Trump-Jahren bereits abgeschwächt hatte. Zunächst war die Pandemie mit einem Rekordmaß an wirtschaftspolitischer Unsicherheit in den USA verbunden, die sich in Deutschland nicht in gleichem Maße niederschlug. Und dann wurde Deutschland von einem eigenen, idiosynkratischen Schock getroffen: Russlands Einmarsch in der Ukraine und die darauffolgende Energiekrise.

Nach unserer Einschätzung sind es die Auswirkungen dieses Schocks – vielleicht noch mehr als die Folgen der Pandemie –, die in Deutschland nach wie vor für große wirtschaftspolitische Unsicherheit sorgen. Gleichzeitig ist die Unsicherheit in den USA auf ein im historischen Vergleich normales Niveau zurückgegangen. Eine Lesart ist, dass die USA trotz des ungewissen Ausgangs der diesjährigen Präsidentschaftswahlen und des politischen Lärms im anlaufenden Wahlkampf vor weniger grundlegenden wirtschaftspolitischen Herausforderungen stehen.

Deutschland macht die Schere zu den USA auf

Deutschland teilt seine wirtschaftliche Unsicherheit nicht mehr mit den USA; Quellen: Deutsche Bank, Haver Analytics, Inc.

Dies könnte ein Grund dafür sein, warum sich die derzeitige Unsicherheit in Deutschland als so schädlich für die Stimmung erwiesen hat: Anders als in der Vergangenheit wird sie nicht mit den USA geteilt. Aus deutscher Sicht scheint man das Gefühl zu haben, bei der Lösung einer Reihe gewaltiger strukturpolitischer Dilemmata allein dazustehen: Wie kann man Energiesicherheit erreichen und die grüne Transformation vorantreiben?

Wie kann man in den wirtschaftlichen Beziehungen mit China Risiken abbauen und gleichzeitig eine Exportnation bleiben? Wie kann man auf die US-Industriepolitik reagieren und die Post-Bretton-Woods-Ordnung bewahren? Deutschland sollte in der Lage sein, diese Probleme gemeinsam mit seinen europäischen Partnern zu lösen, aber die Abkopplung von den USA trägt unserer Meinung nach zu der derzeitigen düsteren Stimmung bei.

Robin Winkler

*) Robin Winkler ist Chefökonom Deutschland und Head of German Macro and Thematic Research bei Deutsche Bank Research. Seine Lieblingsthemen sind Geld- und Fiskalpolitik, Handel und Kapitalströme.

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