Aktien oder Anleihen: Beide zugleich können nicht Recht haben

Entweder sind die Realrenditen zu hoch oder Aktien notieren deutlich über ihrem fairen Wert. Anleihen signalisieren etwas völlig anderes als Aktien. Von Robert M. Almeida*

Viele Jahrzehnte lang waren Kapital und Arbeit günstig, und es wurde nur wenig investiert. Die Gewinnmargen stiegen auf Allzeithochs. Aber das ist jetzt vorbei. Vielleicht extrapolieren Aktieninvestoren fälschlicherweise und gehen davon aus, dass alles so bleibt, wie es ist.

Aber die Zeiten ändern sich, und die Gewinne geraten unter Druck. Kredite sind knapp und teuer geworden. Gemessen an den Zwölfmonatsgewinnen scheint die Nettoverschuldung der Unternehmen noch immer nicht zu hoch, doch sollte man sich eher an den langfristigen Durchschnittsgewinnen orientieren. Zwar wurde die Pandemie oft für Refinanzierungen genutzt, doch sind Fälligkeiten von Anleihen nur selten der Grund für Zahlungsausfälle. Viel wichtiger sind zu hohe Fremdkapitalquoten.

Aktien oder Anleihen im Recht?

Anfang 2024 werden Investoren endlich beginnen, die höheren Kapitalkosten in ihren Cashflow-Projektionen zu berücksichtigen. Über viele Jahre haben sich die Unternehmen immer mehr verschuldet, um ihre Cashflows aufzublähen, statt in neue Projekte zu investieren. Diese Schulden müssen irgendwann zurückgezahlt werden, aber vorher werden die Kapitalkosten deutlich steigen und die Gewinne fallen.

Auch Arbeitskräfte sind heute knapp, sodass steigende Löhne die künftigen Unternehmensgewinne deutlich schmälern werden. Dieses Jahr melden in den USA immer mehr Unternehmen Insolvenz an, weil sie unter ihrer Schuldenlast zusammenbrechen oder auch nur, weil ihre Geschäftsmodelle in einer Welt mit Kapitalknappheit nicht mehr tragfähig sind. Die Lohnkosten dürften sich normalisieren, wenn das Gleichgewicht wiederhergestellt ist, aber das kann dauern. Bis dahin werden sie die Erträge schmälern.

Und was ist, wenn der Anleihemarkt Unrecht hat? – vielleicht sind Aktien im Recht

Vielleicht sind die Bewertungsaufschläge aber auch eine KI-Prämie, und der Anleihemarkt unterschätzt die Auswirkungen der Künstlichen Intelligenz.

Natürlich kann das sein, doch waren Produktivitätszuwächse nur selten von Dauer. Dafür sorgte der Wettbewerb. Zwar lassen neue Technologien die Gewinne zunächst steigen, weil mit weniger Aufwand mehr produziert werden kann. Doch dann treten neue Firmen mit frischen Ideen auf den Plan, sodass die anfänglichen Gewinnsteigerungen der alten Platzhirsche rasch verschwinden.

Aktien oder Anleihen - wer behält Recht?

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Oft nutzen Disruptoren und Innovatoren die neuen Technologien und stellen damit die Geschäftsmodelle etablierter Firmen infrage. Auch wir glauben, dass die Künstliche Intelligenz unsere Gesellschaft nachhaltig verändert, und vielleicht werden ganz neue Arten von Unternehmen entstehen. Aber das geht zulasten der Firmen in den Benchmarkindizes. Deshalb sind wir uns so sicher, dass aktives Management wichtig bleibt.

Heute sind die Schuldenstandsquoten der meisten Industrieländer hoch wie nie, und die Haushaltsdefizite explodieren. Damit stehen Geld- und Fiskalpolitik vor einem ganz anderen Problem: Nach Jahren der Ruhe könnte jetzt wieder gegen Staatsanleihen spekuliert werden. Auch Länder müssen, ebenso wie die Emittenten klassischer Risikotitel, um das Kapital der Sparer werben. Jetzt sind sie wieder vom Wohlwollen der Anleihemärkte abhängig.

Fazit

Aus vielerlei Gründen dauert es oft lange, bis Aktienmärkte auf schlechtere Finanzbedingungen reagieren. Regelmäßige Leser aktuell wissen, dass ich darüber schon oft geschrieben habe. Zwar können die Renditen, kurz- wie langfristige, nominale wie reale, in gewissem Umfang schwanken, doch hat sich jetzt mehr verändert. Wir halten es für sehr unwahrscheinlich, dass sie wieder auf die Vor-Corona-Tiefs fallen.

Robert M. Almeida, MFS

Die Welt hat sich verändert. Früher konnten schlecht angepasste Unternehmen dank künstlich niedriger Zinsen überleben. Aber das ist jetzt vorbei. Der Zinsaufwand steigt, was zu Problemen führt. Die am schlechtesten angepassten Firmen werden jetzt scheitern und ihre Umsätze und Gewinne an die am besten angepassten verlieren.

Investoren, die wirklich erkennen, welche Unternehmen werthaltig sind und welche nicht, befinden sich in einer beneidenswerten Position.

*) Robert M. Almeida, Jr. ist Global Investment Strategist und  Portfoliomanager bei MFS Investment Management

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