mwb Kapitalmarkt-Standpunkt: Der Weg ist das Ziel

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Der Kapitalmarkt-Standpunkt von Kai Jordan, Vorstand der mwb Wertpapierhandelsbank AG. Dieses Mal: die Fahrt auf Sicht – denn der Weg ist das Ziel

Der frühe November ist jedes Jahr kein Moment, in dem die große Liebe als heller Sonnenschein durch die Türe tritt. Die meisten Fußballmannschaften (bis auf den Favoriten des Verfassers) liefern wirkliche Magerkost ab, die weder die Herzen noch den restlichen Körper wärmen. Das ist aber wenigstens vorhersehbar geblieben. Wirtschaftlich ist weltweit das Fahren auf Sicht angesagt und anscheinend muss momentan der Weg das Ziel sein.

Eine ähnliche Situation haben wir in unserem Standpunkt ‚Kabbelwasser oder auch der Hund ist tot‘ im Januar 2021 beschrieben – bloß unter anderen Vorzeichen. Versuchen wir mal alle losen Enden, die es momentan gibt, in die Hand zu nehmen. Die beiden Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten können noch direkte Auswirkungen auf die weltweite wirtschaftliche Entwicklung haben. Eine Energiekrise bei Sperrung der Straße von Hormus kann der sowieso schwächelnden Konjunktur den letzten röchelnden Atemzug bescheren. Der amerikanische Haushaltsstreit, der wie ein Damoklesschwert über uns hing, kann nunmehr in letzter Sekunde durch einen Übergangshaushalt vermutlich beigelegt werden. Trotzdem sind mehrere Dinge noch nicht final absehbar: Was geschieht mit der finanziellen und damit auch militärischen Unterstützung der Ukraine und Israels? Was macht die FED?

Ein weiteres loses Ende: Die europäische und insbesondere deutsche Konjunkturschwäche wird unter den Tisch gekehrt. Wir feiern uns gerade dafür ab – der ehemalige Exportweltmeister –, dass wir wieder gerade mal so aufs Exporttreppchen springen konnten: der dritte Platz, noch nicht mal der erste Verlierer. Wenn alteingesessene und innovative mittelständische Maschinenbauunternehmen wie die MS Industrie AG einen entscheidenden Teil ihrer Produktion in die USA verlegen, weil es dort genügend Fachkräfte gibt und die Staaten sich bei Förderungen überbieten, dann sind dies Alarmsignale für die deutsche Wirtschaft.

Es sind doch nur Marginalien, ob die Wirtschaft um 0,4% schrumpft oder im nächsten Jahr um 0,4% steigen soll. Ein ehemaliger Chefvolkswirt der KfW stellte fest, dass alles unter 0,7% sowieso ein Rechenfehler sei. „Das Vertrauen in den Standort Deutschland sei erschüttert“ lesen wir in der Wirtschaftspresse und die Neigung von Unternehmen abzuwandern oder künftige Investitionen ins Ausland zu verlagern, nimmt zu. Das vor wenigen Tagen verabschiedete Industriestrompreispaket wird wegen der zeitlichen Begrenzung auf fünf Jahre als nicht hinreichend angesehen, um hier Planungssicherheit für langfristige Investitionen zu schaffen.

Zusätzlich gibt es eine handfeste, teilweise durch dilettantische Kommunikation der Politik hausgemachte Immobilienkrise, die das Potenzial hat, dass es gesellschaftlich noch unruhiger wird. Wenn Ende dieses Jahres geschätzt 700.000 Wohnungen fehlen und die Politik keine wirklichen Lösungen hat, dann wird dies auf jeden Fall in weiter steigenden Mieten enden. Das ist die eine Seite der Medaille, auf die wir heute gar nicht eingehen wollen. Ohne Vollständigkeit und ohne Wertung, folgende Immobilienunternehmen aus den unterschiedlichsten Bereichen zeigen zumindest Wunden, die sich lecken, bis hin zur Insolvenz: Adler Group, Eyemaxx, Euroboden, WeWork, Preos, Gore, Helma Eigenheimbau und jetzt auch die Signa-Gruppe.

Alles Missmanagement? Oder Unfähigkeit? Es gibt unterschiedliche Gründe. Wir haben hier bewusst zwei Immobilien-Unternehmen-Gruppen miteinander vermischt. Auf der einen Seite die Bauträger – auf der anderen Seite die Bestandshalter oder sogar Vermieter. Viele haben eines gemeinsam – aber Vorsicht, es gibt auch Ausnahmen: Sie haben auf einen aggressiven Wachstumskurs gesetzt. Nach IFRS konnten sie ihre Pipeline oder ihren Bestand immer weiter nach oben schreiben und sich schön rechnen. Selbstverständlich gaben die Banken das Geld gerne. Es waren ja Sicherheiten vorhanden.

Ehrlicherweise: Diesen Totaleinbruch konnte Niemand erwarten. OK, abgehakt, es ist so wie es ist. Das kann doch kein wirkliches Problem für unsere Wirtschaft sein. Falsch. Das Problem kommt gerade erst bei den Geldgebern an. Die PBB musste ihre Gewinnprognose massiv zurücknehmen. Julius Bär hat angeblich 600 Mio. EUR bei Signa im Feuer. Lebensversicherer wie die R&V sind auch betroffen. Die Hausinvest der Commerzbank scheint wohl auch betroffen zu sein. Städte stehen vor Bauruinen.

Als WeWork an die Börse gekommen ist, wurde die Marktkapitalisierung mit 47 Mrd. EUR bestimmt. Letzte Woche bei der Insolvenz waren es noch 47 Mio. EUR. Zuletzt kam nun noch die Meldung, dass das Bundesverfassungsgericht den Nachtragshaushalt der Ampel für 2021 für verfassungswidrig hält. Damit erlebt die 3er Koalition, die einst so hoffnungsvoll gestartet war, den nächsten Bauchklatscher auf dem Weg zur nächsten Wahl. Gut gemeint ist oft nicht gut gemacht.

Durch diese Wolken kommen aber auch wieder erste Sonnenstrahlen am Horizont. UBS und große US-Banken begannen bereits vor wenigen Tagen für das Jahr 2024 ganze fünf ZINSSENKUNGEN der FED zu prognostizieren und die jüngsten Inflationsdaten in den USA riechen doch sehr stark danach, dass der Markt diesen Weg jetzt einschlägt. Auf dem Weg vor uns liegen Licht und Schatten. Aber der ultimative Treiber allen Wirtschaftens und der Kapitalmärkte ist der Zins. War vor einer Woche noch ‚higher for longer‘ in aller Munde, so keimt nun die Hoffnung, dass die Inflation und damit die Zinsen den nun eingeschlagenen Weg fortsetzen. Dann nimmt das Licht zu, trotz oft dilettantischer Politik.

Und auch, wenn es Licht gibt: Dieses erleichtert auf Sicht zu fahren. Wir müssen weiter den Weg als Ziel verstehen.

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Kai Jordan, mwb

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