Inflation in Mittel- und Osteuropa

Die Währungen und lokalen Anleihen in Mittel- und Osteuropa werden sich in den kommenden Monaten wahrscheinlich gut entwickeln. Von Alan Wilson*

Der große Inflationsschub hat die Anleger in den letzten 18 Monaten in Atem gehalten. Es war ein perfekter Sturm, als die Nachfrage in der Zeit nach der Covid-Wiedereröffnung auf die angespannten Energiemärkte und die geopolitischen Umwälzungen in Osteuropa traf. Allerdings gibt es jetzt eindeutige Hinweise darauf, dass die Inflation in den Schwellenländern ihren Höhepunkt erreicht hat und in vielen Fällen rasch zurückgeht.

Die strukturellen Megatrends, die die Inflation seit mehreren Jahrzehnten bremsen – wie Technologie, steigende Verschuldung und Demografie – sind nach wie vor intakt und üben erneut einen Abwärtsdruck auf die Inflation aus, da sich die Verzerrungen nach der Pandemie normalisieren.

Während der Inflationsdruck für viele Schwellenländer bereits im Rückspiegel zu sehen ist, war der Preisdruck in den mittel- und osteuropäischen Volkswirtschaften weitaus stärker ausgeprägt. Was ist der Grund für diese Divergenz? Während nur wenige Schwellenländer vom Krieg in der Ukraine und dem daraus resultierenden Anstieg der Lebensmittel- und Energiepreise verschont geblieben sind, standen insbesondere die mittel- und osteuropäischen Volkswirtschaften im Zentrum des Sturms. Die mittel- und osteuropäischen Länder (MOEs) gehören zu den am stärksten geöffneten Volkswirtschaften und sind gleichzeitig bedeutende Rohstoffimporteure – eine starke Kombination, die einen Großteil der Inflationsdivergenzen innerhalb der Schwellenländer verursacht hat.

Abbildung 1: Kumulative Veränderung der Nominallöhne – MOE vs. EM Durchschnitt J/J%; Quelle: HSBC & Eurizon SLJ Capital

Bei näherer Betrachtung der zugrunde liegenden Daten wird deutlich, dass der geopolitische Schock nur einen Teil der Geschichte erzählt. Wir gehen davon aus, dass ein zweiter Faktor im Spiel ist: der Arbeitsmarkt. Unserer Ansicht nach sind die Arbeitsmärkte der MOEs in ihrer Zusammensetzung näher an den europäischen Nachbarn im Westen als an der globalen EM-Peergruppe. Um noch einen Schritt weiter zu gehen, sind die Arbeitsmärkte in den MOEs als Produktionszentrum der EU reifer und bieten den Arbeitnehmern somit eine bessere Verhandlungsbasis als die weiter entfernten in den Schwellenländern.

Da die Inflation durch den Terms-of-Trade-Schock in die Höhe geschnellt ist, haben die Arbeitnehmer in den MOEs erhebliche Lohnerhöhungen ausgehandelt. Beide Faktoren sind zwar auch in anderen Märkten anzutreffen, doch gibt es nur wenige, wenn überhaupt, die in gleichem Maße mit beiden Faktoren konfrontiert sind. […]

Abbildung 2: VPI-Abweichungen vom Trend 2019 – MOE vs. Industrieländer & EM; Quelle: Bloomberg & Eurizon SLJ Capital

Der Ausblick auf die Peak Inflation in den MOE-Ländern ist aus Portfoliogesichtspunkten wichtig. Nach der drastischen Straffung der Geldpolitik im letzten Jahr hat sich in der gesamten Region ein signifikanter Carry Payoff aufgebaut. Vergleicht man den durchschnittlichen Carry der MOE-Währungen gegenüber dem Dollar in Relation zu einem Währungskorb der 20 größten Schwellenländerwährungen, so stellt man fest, dass innerhalb des Ostblocks eine Carry-Prämie von rund 2% pro Jahr besteht (Abbildung 4). Dies ist ein deutlicher Bruch mit der Vergangenheit, in der die MOE-Währungen in den Jahren vor der Pandemie einen negativen Carry im Vergleich zum Dollar aufwiesen.

Abbildung 3: Verbraucherpreisindex der MOE-Länder J/J %;Quelle: Bloomberg & Eurizon SLJ Capital

Wenn die Inflation ihren Höhepunkt erreicht und die Zentralbank in den MOEs eine Kehrtwende vollzieht, werden die Marktteilnehmer wahrscheinlich in die Region zurückkehren, um die angebotene Carry-Prämie zu nutzen. Diese Kalibrierung dürfte sowohl die Währungen als auch die lokalen Anleihen in den MOEs unterstützen. […]

Alan Wilson

*) Alan Wilson ist Portfoliomanager Emerging Market Debt bei Eurizon SLJ Capital,

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