Law Corner: OLG Stuttgart: Keine Mehrheitsklauseln in Anleihebedingungen außerhalb des SchVG

Dr. Lutz Pospiech & Josepha Rüberg, GÖRG

Der Law Corner Beitrag von Dr. Lutz Pospiech, Assoziierter Partner, und Josepha Rüberg, Associate, GÖRG Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB, München.

In seinem Urteil vom 19.07.2018 hatte das OLG Stuttgart über die Frage zu entscheiden, ob Regelungen in Anleihebedingungen, die eine diese Bedingungen abändernde Mehrheitsentscheidung der Anleger mit Wirkung für alle Anleihegläubiger ermöglichen, auch außerhalb des SchVG zulässig sind. Dies hat das OLG Stuttgart u.a. mit der Begründung verneint, dass eine solche Klausel einer AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle nicht standhalte.

Urteil des OLG Stuttgart (Az. 19 U 28/18)
In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt sahen die Anleihebedingungen der Emittentin einer nicht verbrieften Anleihe die Möglichkeit vor, dass die Gläubiger Änderungen der Anleihebedingungen mit qualifiziertem Mehrheitsbeschluss – mit Wirkung für alle Gläubiger – zustimmen können. Auf dieser Grundlage beschloss eine qualifizierte Mehrheit der Gläubiger, der Emittentin die Option einzuräumen, die Rückzahlung der Anleihe samt Zinsen an Erfüllung statt durch die Übertragung von Aktien erfüllen zu können. Das OLG Stuttgart hat die Wirksamkeit dieses Beschlusses zu Recht verneint.

Keine gesetzliche Legitimation
Das OLG Stuttgart führt aus, dass mangels Verbriefung der Anleihe eine unmittelbare gesetzliche Legitimation für die vorgesehene Mehrheitsklausel nicht aus § 5 SchVG hergeleitet werden könne. Ebenso scheide nach der klaren Rechtsprechung des BGH eine analoge Anwendung des SchVG auf nicht verbriefte Forderungen aus (BGH, Urt. v. 22.03.2018, Az. IX ZR 99/17, vgl. hierzu BondGuide-Ausgabe #18/2018, S. 31).

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Unangemessene Benachteiligung und Verstoß gegen das Transparenzgebot
Auch die konkrete Regelung in den Anleihebedingungen ist nach Ansicht des OLG Stuttgart keine wirksame Legitimationsgrundlage für Mehrheitsentscheidungen zur Änderung der Anleihebedingungen. Die Klausel halte einer AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle nicht stand.

Zunächst stellt das OLG Stuttgart klar, dass die Anleihebedingungen wegen der vorliegenden Direktemission als AGB einzuordnen sind. Das Gericht führt weiter aus, dass die Mehrheitsklausel eine unangemessene Benachteiligung gem. § 307 I 1 BGB darstelle, da sie gegenüber dem gesetzlichen Leitbild des SchVG zu Lasten der Gläubiger erhebliche Abweichungen enthalte. So werde zum Nachteil der Gläubiger u.a. auf wesentliche Verfahrensregelungen des SchVG zur Einberufung und Durchführung der AGV verzichtet.

Zudem verstoße die Mehrheitsklausel gegen das Transparenzgebot des § 307 I 2 BGB, da die Tragweite der Klausel unklar sei. Insbesondere fehle es an einem Katalog möglicher Maßnahmen i.S.v. § 5 III SchVG, der den Anleihegläubigern Anhaltspunkte bietet, welche grundlegenden Änderungen der Anleihebedingungen beschlossen werden können. Auch fehle es an einem klarstellenden Hinweis auf die kollektive Bindung von Mehrheitsbeschlüssen.

Fazit
Das OLG Stuttgart führt die Rechtsprechung des BGH konsequent fort, wonach der Anwendungsbereich des SchVG nur für verbriefte Anleihen eröffnet ist. Ebenso überzeugt u.E. der Begründungsansatz des OLG Stuttgart, dass eine unangemessene Benachteiligung der Gläubiger vorliege, weil die vom SchVG abweichenden Regelungen in den vorliegenden Anleihebedingungen wesentlichen Grundgedanken des SchVG widersprächen. Nicht abschließend durch die Entscheidung geklärt ist indes, ob außerhalb des Anwendungsbereichs des SchVG Mehrheitsklauseln in solchen Anleihebedingungen, die vom Leitbild des SchVG nicht erheblich abweichen, wirksam vereinbart werden können.

Das Urteil des OLG Stuttgart ist noch nicht rechtskräftig; die Revision ist derzeit beim BGH anhängig (Az. II ZR 259/18).

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